Explosionsverletzung der Halsweichteile

  • Liebe Kodierprofis,

    hier mal ein kurioser Fall zur Diskussion:

    Patient wird mit offener grösserer Weichteilverletzung am Hals am Strassenrand aufgefunden. Amnamnestisch hat er sich wohl in suizidaler Absicht mit dem Hals auf einen explodierenden Salutböller gelegt. :erschreck:
    Anschliessend wurde er spoantan atmend in den Schockraum verbracht, und dort vorsichtshalber intubiert. Die Diagnostik (CT) erbrachte zunächst keine Verletzung der inneren Halsorgane (Trachea, Ösphagus, Kehlkopf), Gefässe oder Nerven, allerdings bestand ein Mediastinalemphysem. Nach augiebigier operativer Wundversorgung mit Nekrosenabtragung bis in die Tiefe, konnte der Patient rasch extubiert werden. Anschliessend war allerdings auf Grund einer zunehmenden subglottischen Schwellung eine Reintubation notwendig.

    Was soll ich nun als HD nehmen ?)
    Ich hab mich für die S11.01 entschieden, da ich die laryngeale Schwellung als \"Kehlkopfbeteiligung\" ansehe.
    die X84.9! dazu
    und die J98.5 für das Mediastinalemphysem als ND

    So ganz sicher bin ich mir allerdings nicht.

    Für weitere Vorschläge wäre ich dankbar,

    Stefan Stern

    Dr. Stefan Stern :sterne:
    Klinik für Anästhesiologie
    Klinikum der Universität München

  • Hallo Herr Stern,

    hier ein Teillösungsvorschlag. Nach DKR 1911a haben Sie ja die einzelnen Verletzungen entsprechend der Art und Lokalisation so genau wie möglich zu kodieren. Zudem haben Sie (und hier ist dann doch Willkür möglich), die schwerwiegendste Erkrankung als HD zu wählen.

    Ihrer Einschätzung, dass die Halsverletzung schwerwiegender als das Mediastinalemphysem ist kann ich folgen. Den Kode S11.01 (Offene Wunde mit Beteiligung des Kelhkopfes) halte ich für nicht richtig. Nach meinem Verständnis bezieht er sich auf eine unmittelbare, durch die Wunde verursachte Beteiligung der Kehlkopfes. Nach Ihrer Schilderung scheint dies aber nicht vorzuliegen. Eher handelt es sich um eine Beteiligung im Rahmen des Barotraumas. Ich sehe hier eher die S11.9 als richtig an, zusammen mit einem Kode für die laryngeale Schwellung wie z. B. J38.4 (Larynxödem) oder J04.0 (akute Laryngitis).

    Mit freundlichen Grüßen

    D. Duck

  • Hallo Herr Duck,

    das Mediastinalemphysem wurde deswegen nicht als HD gewählt, da es als Zufallsbefund im CT diagnostiziert wurde, eine Ursache hierfür (z.B. Trachealruptur) sich nicht finden liess und es sich ohne weitere spezifische Therapie zurückbildete. Ob die Larynxschwellung durch die Verletzung oder die OP bedingt war, lässt sch im nachhinein kaum mehr entscheiden. So oder so sehe ich sie als Folge der Verletzung an. Die S11.9 halte ich persönlich für zu unspezifisch da die Verletzung ja nicht \"nicht näher bezweichnet\" ist, sondern nur ein genau passender Schlüssel im ICD-10 fehlt.
    Eine akute Laryngitis ist mit Sicherheit etwas völlig anderes und würde ich hier nicht verschlüsseln, das Larynxödem (J38.4) hingegen wurde von mir als ND angegeben.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Stefan Stern

    Dr. Stefan Stern :sterne:
    Klinik für Anästhesiologie
    Klinikum der Universität München

  • Hallo Herr Stern,

    da haben Sie sich aber ein schönes Ei an Land gezogen. Die Expolsionsverletzung ist nicht nur ein Barotrauma sondern, das der Feuerwerkskörper in Hautnähe explodierte auch sicherlich eine Verbrennung dritten Grades.

    Zunächst einmal dürfte die X84.9! in Ordnung sein. Die J98.5 klingt nach Erkrankung und nicht nach Verletzung. Außerdem wäre die J98.2 der richtigere Code. Ich würde daher die S27.88 vorziehen, denn auch die T79.7 bezeichnet ein subcutanes Emphysem. Außerdem ist es keine Frühkomplikation, sondern eine unmittelbare Traumafolge. Das Barotrauma ist mit der T70.8 besser abgedeckt und die Verbrennung dritten Grades ist die T20.3 + T31.ff. Die S11.01 schließen Sie mit Ihrem CT-Befund selbst aus. Ich würde daher die S11.80 vorziehen. Die subglottische Schwellung wäre dann eine Frühkomplikation T79.8 + J38.4.

    Zur Behandlung sagen Sie recht wenig. Ich kann mir nicht denken, dass es bei dem einen Debridement 5-922.3 und den beiden Intubationen (8-70ff) geblieben ist.

    Dies sozusagen als Anfang.

    Mit freundlichen Grüßen
    Thomas Winter
    Berlin

  • Lieber Herr Winter,

    vielen Dank für ihre ausfühhrliche Antwort. Das mit der Frühkomplikation finde ich eine sehr gute Idee.
    Allerdings sind alle Schlüssel, die sie Vorschlagen sehr allgemein und unspezifisch.
    Ausserdem haben sie natürlich Recht, eine Explosion erzeugt die verletzung durch Druck und Flamme. Allerdings verstehe ich unter Barotrauma etwas anderes. Und leider ist bei den Aufnehmenden HNO-Kollegen keine Verbrennung dokumentiert (Sicher eher ein Dokumentationsproblem der HNO-Abteilung).
    Die HNO-Kollegen verschlüsselten ihre OP mit der 5-900.y. Eine weitere OP gab es nicht.

    Allerdings ist all unsere Diskussion nicht erlösrelevant geworden, da der Patient auf Grund einer Gerinnungsstörung rezidivierende Lungenembolien entwickelte, was in einen langen Intensivaufenthalt mit über 500 Beatmungsstunden mündete ( :grouper: A09C) :i_baeh: .

    Trotzdem vielen Dank für alle Diskussionsbeiträge,

    Stefan Stern

    Dr. Stefan Stern :sterne:
    Klinik für Anästhesiologie
    Klinikum der Universität München

  • Hallo Herr Stern,

    haben Sie vielen Dank für Ihre weiteren Ausführungen. Spezifischer konnte ich Ihre bisherigen Angaben nicht codieren. Dabei kommt erschwerend hinzu, dass viele Traumen nicht spezifischer codiert werden können, da sonst der OPS Milliarden von Einzelbegriffen codierfähig hätte vorhalten müssen, was schlicht nicht geht.

    Das Barotrauma ist als Trauma mit plötzlichen Luftdruckschwankungen definiert. Üblicherweise gehören Tauchunfälle, Caisson-Krankheit usw. dazu. Aber auch Explosionen und Knalltraumen (geplatztes Trommelfell). Hier hat aber die ICD vorgesorgt deshalb schlug ich auch den Code T70.8 (sonstige Schäden…; Explosionstrauma) statt einer der anderen Alternativen, in denen im Kleingedruckten das Barotrauma auftaucht, vor.

    So wie Sie den Verlauf schildern, dürfte aber auch noch eine Verbrennung/Schädigung der Lunge durch heiße Gase/Druckwelle oder ein schwerer Schaden durch die mediastinale Mitbeteiligung oder Muskel-, Sehnen- oder Fascienverletzungen am Hals eine Rolle gespielt haben, die als Verletzung und/oder Verbrennung zu codieren wären; ganz zu schweigen von den rezidivierenden Lungenembolien und der Gerinnungsstörung, die ja eine Ursache haben muss, als Komplikationen.

    Da kommt also noch eine Menge hinzu. Bei der 5-900.y kommen mir allerdings die Tränen. Da hat man es sich wirklich zu einfach gemacht. Neben der Langzeitbeatmung ist sicherlich noch mehr angefallen.

    Wenn auch all die Codes nicht erlöswirksam sein sollen, so kommt es nicht darauf an, nur alles Erlöswirksame zu codieren, sondern alles Codierpflichtige. Denn heute weiß Niemand, was in zwei Jahren drg-pflichtig sein wird, wenn die Daten von 2005 für 2007 wichtig werden. Außerdem stehen wir erst am ungewissen Anfang der sachgerechten Berücksichtigung von Mehrfachschäden und deren Behandlung, aber ohne Daten kommen wir nicht weiter. Es wäre also eine Art von Selbstbetrug codierpflichtige Daten, die (noch) nicht erlöswirksam sind, wegzulassen.

    Mit freundlichen Grüßen
    Thomas Winter
    Berlin

  • Lieber Herr Winter,

    mit ihreren Anmerkungen für die Kodierung nicht-erlösrelevanter Daten rennen sie bei mir offene Türen ein. Auch ich habe das DRG-System und deren Weiterentwicklung begriffen.
    Ich wollte nur bemerken, dass der Fall sich so entwickelt hatte, dass die Verschlüsselung des des Traumas (zumindest 2005) keine entscheidende Rolle mehr spielt für die Eingruppierung spielt.

    Mit freundlichen Grüßen,

    Stefan Stern

    Dr. Stefan Stern :sterne:
    Klinik für Anästhesiologie
    Klinikum der Universität München