Neurologische Komplexbehandlung

  • Guten Abend,

    mir wird hier aus dem Kollegenkreis die Frage gestellt, wie denn der Begriff \"umittelbar\" im Zusammenhang mit den Maßnahmen der Komplexbehandlung interpretiert werden darf. Meine persönliche Interpretation geht in Richtung \"in direkter zeitlicher Folge auf die Indikationsstellung\". Gibt es eventuell eine offizielle Definition oder Festlegung?

    Gruß aus Hamburg

    Manfred Nast

  • Hallo Herr Nast,

    ich nehme an, Sie meinen die in den Kriterien für die Neurologische Komplexbehandlung des akuten Schlaganfalls (8-981.-) genannten \"unmittelbarer Beginn von Maßnahmen der Physiotherapie etc.\" sowie den \"unmittelbaren Zugang zu neurochirurgischen Notfalleingriffen..\".
    Bei letzterem Punkt ist die Beantwortung einfach, denn hier ist eine Transportentfernung von max. 30 Min. in eine entsprechende Einrichtung (oder natürlich eigene Abteilung im Hause) im Text gefordert, so dass bei entsprechender Indikation (ICB,SAB) eine adäquate Versorgung gewährleistet ist.
    Der Punkt davor ist in der Tat begrifflich etwas unscharf und wird in der derzeit in Vorbereitung befindlichen Neufassung des Kodierleitfadens Schlaganfall 2006 (download unter http://www.dsg-info.de/ ) genauer zu bestimmen sein. Üblich (und gefordert) in den DSG-zertifizierten Stroke Units ist ein Behandlungsbeginn spätestens einen Werktag nach Aufnahme.
    Hierzu wird es wie gesagt Anfang 2006 eine mit der Deutschen Schlaganfallgesellschaft konsentierte Empfehlung geben, eine (verbindliche) offizielle Kodierrichtlinie hierzu gibt es derzeit nicht.

    Mit besten Grüßen,
    Ihr

    Dr. K. Kessler
    Oberarzt/DRG-Beauftragter
    Neurologische Klinik
    Kliniken Maria Hilf GmbH
    41063 Mönchengladbach

  • Hallo Dr. Kessler,

    vielen Dank für die fundierte Information!

    Gruß aus Hamburg

    Manfred Nast

  • Hallo Herr Nast,

    ich erfahre gerade, dass die betreffenden Fachgesellschaften schon aktiv waren, und zwar hat offenbar das DIMDI die DSG bereits um Spezifizierung gebeten, woraufhin der Vorstand der DSG in Abstimmung mit der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) einen Vorschlag für die Interpretation dieses Items beim DIMDI gemacht hat. Dieser Vorschlag (s.u.) wird in Kürze auf der Internetseite des DIMDI im FAQ-Bereich erscheinen:

    \"Von Montag bis Freitag wird eine 12-stündige Präsenz eines Arztes in der
    spezialisierten Einheit (= Stroke Unit) verlangt. Dieser Arzt kann ein
    Facharzt oder ein Assistenzarzt in der Weiterbildung zum Facharzt sein.
    In der klinischen Realität bedeutet dies, dass werktäglich ein
    Zwei-Schicht-Betrieb für die Stroke Unit einzurichten ist. Die Ärzte in
    diesem Zwei-Schicht-Betrieb sollten während dieser Zeit nur für die
    Schlaganfallpatienten zuständig sein.

    Am Wochenende muss die Versorgung der Schlaganfallpatienten durch einen
    in der Schlaganfallbehandlung bereits erfahrenen Arzt sichergestellt
    sein. Darüber hinaus muss eine tägliche Visite durch einen Facharzt für
    Neurologie erfolgen, der in der Schlaganfallbehandlung besonders
    erfahren ist.

    Um die „Leitung eines in der Schlaganfallbehandlung erfahrenen
    Facharztes für Neurologie“ sicherzustellen, muss pro werktäglicher
    Hauptschicht ein Facharzt für Neurologie anwesend sein, in der Regel
    sollte es sich um den für die spezialisierte Einheit zuständigen
    Oberarzt handeln. In den übrigen Schichten und am Wochenende muss ein
    solcher Facharzt für Neurologie über Rufbereitschaft verfügbar sein..

    Darüber hinaus wurde auch eine Präzisierung zum Bereich Physiotherapie,
    Logopädie und Ergotherapie abgegeben:

    Die Physiotherapie soll spätestens 48 Stunden nach Aufnahme beginnen und
    mindestens eine Behandlungseinheit pro Tag umfassen. An den Werktagen
    Montag bis Freitag wird diese Maßnahme von Physiotherapeuten
    durchgeführt. An Wochenenden (Sa/So) und an durch Feiertage verlängerten
    Wochenenden soll an einem dieser Tage dieselbe Regelung gelten. An den
    übrigen Tagen kann die Physiotherapie auch als mobilisierende Maßnahme
    von hierfür speziell angeleiteten Pflegekräften geleistet werden.

    Logopädie und Ergotherapie sowie neuropsychologische Therapiemaßnahmen
    sollten werktäglich, also von Montag bis Freitag, bei Vorliegen eines
    entsprechenden Defizits geleistet werden.\"

    Nun haben wirs glaub ich ganz klar,

    nochmals beste Grüße
    Ihr

    Dr. K. Kessler
    Oberarzt/DRG-Beauftragter
    Neurologische Klinik
    Kliniken Maria Hilf GmbH
    41063 Mönchengladbach

  • Hallo,

    beim DIMDI habe ich noch keine nähere Spezifizierung gefunden. Wurden die o.g. Strukturkriterien anderweitig bereits veröffentlicht, oder \"verabschiedet\" ?

    Wie ist denn die werktägliche 12-Stunden-Präsenz mit der mi OPS geforderten 24-Stunden-Arztpräsenz vereinbar ?

    Hat irgendjemand eventuell Veto eingelegt ?

    mfG

    C. Hirschberg

  • Guten Tag,

    ich möchte noch einen zusätzlichen Ball ins Feld rollen, der mit Sicherheit herrlich bei der MDK-Prüfung gekickt wird: Bestandteil der Komplexbehandlung ist auch die

    Durchführung einer Computertomographie oder Kernspintomographie des Kopfes innerhalb von 6 Stunden nach der Aufnahme, bei Lyseindikation innerhalb von 60 Minuten

    Da der Stroke ein Notfall ist und ganz häufig nachts, am Wochenende und auch an Feiertagen die Kliniken beschäftigt, wird vor allem hinsichtlich der Sicherstellung der radiologischen Versorgung der eine oder andere ins Grübeln (dann ins Umdenken) kommen (müssen). Schon deswegen, weil der Time-Stamp für ein CCT immer auf den Bildern steht und im Vergleich mit der Aufnahmezeit keine Diskussion möglich ist.

    Gruß aus DU
    Dr. med. Andreas Sander
    Evangelisches und Johanniter
    Klinikum Niederrhein

  • Darf ich im Hinblick auf den Beitrag des Kollegen Kessler einmal nachfragen, wie denn eine \"Empfehlung\" des DIMDI zu werten ist? Die Ausführungen zur Arztpräsenz sind auf den DIMDI-Seiten lediglich als solche gekennzeichnet. Es handelt sich, zumindest nach meinen Informationen, um ein \"Vorpreschen\" einer Fachgesellschaft, dieses wird offenbar von vielen Neurologen sehr kritisch gesehen. Das Verfahren ist schon durch ein ordentliches Maß an Intransparenz gekennzeichnet...

    Im Fall der Intensivmedizinischen Komplexbehandlung hat das DIMDI eine eindeutige Klarstellung publiziert, hier reicht es nur zur \"Empfehlung\".

    Ich gehe daher zunächst weiterhin davon aus, daß die im offiziellen Text genannte \"Anwesenheit\" sich nicht auf die spezielle Einheit bezieht, so wie dies bei der Intensivmedzinischen Komplexbehandlung der Fall ist, sonst hätte man es wohl a priori gleichlautend formuliert.

    Wie ist die Meinung im Forum hierzu?

    Viele Grüße,

    V. Blaschke

    _____________________
    Dr. med. Volker Blaschke

  • Hallo Herr Blaschke,

    an der Formulierung dieser \"Empfehlungen\" waren immerhin Vertreter der Deutschen Schlaganfall-Gesellschaft, der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, des MDK, der Krankenkassen und des DIMDI beteiligt.

    Ob es sich dabei nun formal um eine \"amtliche\" Veröffentlichung handelt oder nicht: solange Sie sich bei einer Gegenargumentation nicht auf die offizielle Stellungnahme einer Fachgesellschaft stützen können, dürften Sie wahrscheinlich schlechte Karten haben...

    Mit freundlichen Grüßen

    Markus Hollerbach

  • Hallo Herr Hollerbach,

    es ist ja nichts wirklich neues, daß es innerhalb der Fachgebiete unterschiedliche Meinungen gibt, in diesem Fall scheint zumindest den Neurologen nicht ganz klar, mit welchem \"Mandat\" die Beteiligten hier gesprochen haben, so sagten mir jedenfalls unsere Kollegen.

    Sehr erstaunlich finde ich nun, daß das DIMDI dies als \"Empfehlung\" veröffentlicht. Entweder das DIMID legt sich als offizielle Stelle fest oder läßt es einfach. Aber eine \"Empfehlung\", hinter der man dann irgendwie doch nicht so ganz stehen mag, ist wirklich für niemanden hilfreich.

    Ich habe beim DIMDI diesbezüglich nachgefragt, eine Antwort steht noch aus.

    Viele Grüße,

    V. Blaschke

    _____________________
    Dr. med. Volker Blaschke

  • Liebe Diskussionsteilnehmer,

    zu diesem Komplex bekomme ich langsam Komplexe. Aber bevor ich nun als hysterisch eingestuft werde:

    Irgendwann wird man sich wohl mal entscheiden müssen, ob ein Einzelleistungsnachweis mit Datenübermittlung von Datum/Uhrzeit nicht besser wäre als eine Komplexziffer, die von einem \"Experten\" anhand von wie in diesem Fall 10 Kriterien, davon die Hälfte Strukturmerkmale hin- und herjongliert werden muss. Wenn alle Leistungen im obligaten OPS enthalten wären, könnte man sicher einen Programmierer finden, der den DRG-relevanten \"Komplex\" anhand der Einzelmerkmale \"zusammenbaut\". Dies soll es bei den Blutprodukten auch schon geben.

    Für die Erfassung der Einzelkomponenten spricht, dass bestimmte Leistungen wie z.B. Bildgebung sogar minutengenau nachzuweisen sind, z.B. das CCT in Verbindung mit der Lyse. Die bisherige Komplexziffer führt doch nur dazu, dass die eigene \"Dummy-Erfassung\", viel Papier oder gar noch mancherorts Rö-Tüten hinterhegeschoben werden müssen, um der Prüfungswut der Kassen Genüge zu tun. Offensichtlich ist aber ein Bürokratieabbau in diesem Bereich von manchen Interessengruppen nicht gewollt, so unproduktiv die ganze Angelegenheit auch sein mag.

    Zum Thema Fachgesellschaften (hier gibt es 2 Leitfäden von z.T. gleichen Experten) und DIMDI: Alle diese mehr oder weniger amtlichen Informationen sind erst im März d.J. erschienen. Ich halte es für skandalös, dass es 15 Monate nach Einführung der Ziffer und 3 Monate nach deren Abrechnungswirksamkeit erst offizielle Informationen gab. Leider hat diese Verzögerung keineswegs dazu geführt, dass es nun eine einheitliche Interpretation zwischen Kliniken und MDK gibt, sondern nach meinem Eindruck wird bei den Prüfungen nur ein einziges Ziel verfolgt: Selbstverständliche Fälle downcoden, wenn nur ein einziger Monitorausdruck nicht an der richtigen Stelle abgeheftet ist. Das nennt sich dann \"Objektivität\".

    Ich wünschte mir, dass die Verantwortlichen in entsprechenden Gremien die Diskussion in diesem Forum zum Anlass nähmen, nur noch Komplexziffern einzuführen, bei denen nicht nur die Verwendung, sondern auch detaillierteste Dokumentationsvorschriften vor Inkrafttreten glasklar geregelt sind, so dass sie auch vom Idioten anwendbar sind.

    Ich denke, dass die meisten ärztlichen Kollegen so wie ich sich nämlich immer noch lieber um Behandlungsprozesse und Ergebnisqualität anstatt um eine verfehlte Diskussion über \"Buchstabentreue\" und Abheften von Papier kümmern würden.

    Liebe Grüße murx