• Liebe Kolleginnen und Kollegen,
    ich habe Verständnisprobleme mit dem Qualitätsindikator postoperative Wundinfektion bei Knie-TEP.
    Das BQS-Ergebnis 2006 liegt bundesweit bei 0,55% (Vertrauensbereich 0,51-0,60%) in 125.322 Fällen.
    Der Qualitätsbericht der Asklepios-Kliniken weist aus, dass in 15 von 17 Kliniken nicht ein einziger Wundinfekt vorgekommen ist und in zwei Fach-Kliniken mit je knapp 500 Knie-Prothesen im Jahr soll jeweils ein einziger Wundinfekt vorgekommen sein.
    Wohlgemerkt wird nicht ausschließlich nach schweren Wundinfekten gefragt. Auch leichtere oberflächliche (Naht-)Hautinfektionen sind anzugeben, wenn sie als Infektion gewertet wurden.
    Ist das vorstellbar? 8)
    Kann das sein oder wird hier kollektiv gelogen? :rotwerd:
    Ein Haus mit der Mindestmenge an Knie-TEP (50 STück) könnte sich keine einzige oberflächliche Wundinfektion leisten, da sie bereits mit 2% an der Auffälligkeitsgrenze wäre. :erschreck:

    Wer kann mich aufklären?

    mfG
    Thomas Heller
    QMB/Med Co/OA Gyn
    Haßberg-Kliniken
    Haus Haßfurt/Unterfranken

  • Hallo Herr Heller,

    fragen Sie mal die Pharmaindustrie, wie viele Tonnen Antibiotika sie verkauft. Wenn die BQS-Daten stimmen, müsste die Pharmaindustrie Pleite gehen.

    Ich wundere mich bei offiziellen Statistiken immer wieder mit welcher Selbstverständlichkeit offensichtlich falsch eingehende Daten geglaubt und verarbeitet werden. Die Herstellung der Berichte kostet Unsummen, und die Aussagekraft ist nahezu Null und bringt den ganzen Medizinbetrieb in Mißkredit und Beweisnot, wenn in der eigenen Klinik mal etwas passiert, was durchaus im Bereich der normalen Wahrscheinlichkeit liegt. Ihr Argument mit n=1 entspricht bereits 2% ist da schon ein guter Hinweis.

    Aber schauen Sie mal da rein:

    Winter Th., Weißleder J.; Postoperative Probleme bei Hüft- und Knieendoprothesen ein Vergleich; Orthopädische Praxis 1991 27. JG 580 – 584

    Die Zahlen sind zwar schon etwas alt, aber der Mensch hat sich in der Zwischenzeit nicht geändert.

    Mit freundlichen Grüßen
    Thomas Winter
    Berlin

  • Schönen guten Tag allerseits und insbesondere Herr Heller,

    meine grundsätzliche Kritik an dem BQS Verfahren lässt sich folgendermaßen zusammenfassen:

    • Die Datenerhebung erfolgt zum Zweck der Qualitätssicherung. Dies ist jedem bewusst, der die Daten eingibt. Daher wird (bewusst oder unbewusst) eher im positiven Sinn erfasst.
      .
    • Die Fragebogen sind zu umfangreich. Meine These: Je umfangreicher ein Fragebogen ist, desto oberflächlicher werden die einzelnen Fragen erfasst.
      .
    • Die Daten erfassen nur den aktuellen Krankenhausaufenthalt. Werden alle Knie-TEP Patienten am 3. Tag entlassen (oder verlegt), gibt es keine Wundinfektionen

    Das keine risikoadjustierung stattfindet und kleinere Häuser bereits aus statistischen Gründen schlechter dran sind, ist dann nur noch eine Zugabe.

    Problematisch ist dann der öffentliche Umgang mit diesem großen Datenmüll und die Veröffentlichung im Qualitätsbericht.

    Für interne Zwecke versuche ich, Qualitätsindikatoren aus Routinedaten zu entwickeln. Die Sterblichkeit bei bestimmten Diagnosen beispielsweise, ist zwar kein besonders scharfer indikator, aber hier liegen bundesweite altersbezogene Vergleichswerte vor und eine wesentliche Abweichung zeigt doch an, dass hier nach Ursachen zu forschen ist. Auch die Abfrage eines Zweiteingriffes nach bestimmten Operationen aus den KIS-Daten ist ein schöner Indikator, allerdings mit dem Nachteil, dass er nur auf das eigene Haus bezogen ist.

    Vielleicht wäre auch bei der BQS weniger mehr, eine Beschränkung auf Routinedaten aus den Krankenhäusern aber auch aus den Krankenkassen sinnvoller. Bei den Krankenkassen liegen nämlich in der Regel auch Daten über einen längern Verlauf vor, und gerade die Frage einer Re-Operation (Hausübergreifend) oder von mir aus einfach die Zeit der AU nach bestimmten Eingriffen wären doch schöne Indikatoren. Statt dessen darf man jetzt zukünftig selber verschlüsseln, ob man eine Pneumonie erfassen möchte, oder nicht ( ICD U69.-! in 2008 ).

    Ich wünsche noch einen schönen Tag,

  • Hallo Forum, Hallo Herr Heller,

    In NRW wurden 2005 3 Qualitätsberichte prämiert, die u.A. auch ihre BQS-Ergebnisse teilweise veröffentlicht hatten. Auch bei diesen hatten 2 von 3 Wundinfektionsraten von 0%. Die Durchschnittswerte und der Vertrauensbereich, der von Ihnen genannt wurde, dürfte mit der Realität ebenfalls nichts zu tun haben, Im internationalen Schrifttum geht man ja von 4-8% Wundinfektionen aus. Die Daten stammen dann aber aus Arbeiten, die sich gezielt mit der Ermittlung der Wundinfektion beschäftigt haben.

    Im BQS-Verfahren besteht die Gefahr, dass der ehrliche der Dumme ist. Im übrigen ist die meist retrospektive Erfassung kaum geeigent, alle Fakten rund um den Behandlungsfall tatsächlich abzubilden.

    Gruß

    merguet

  • Liebe Kollegen,
    besten Dank für Eure Antwort.
    Ich bin eigentlich dem Externen Qualitätssicherungsverfahren gegenüber nicht so negativ eingestellt, wie ich es aus Euren Beiträgen heraushöre.
    Mein Selbstverständnis als Arzt ist immer gewesen, dass ich die Qualität meiner Arbeit wissen möchte. Ich habe in meinem ganzen Berufsleben (23 Jahre) bei Kollegen nie einen Ansatz für ein ähnliches Bedürfnis erlebt. Selbst junge Kollegen konnten und wussten immer Alles (besser)!
    Ein eigenes Komplikationsbüchlein zu führen galt unter Kollegen schon als verwerflich. Als Oberarzt noch mehr als als Assistent.
    Wenn jetzt ein derart \"harmloses\" Verfahren wie die BQS-Fragebögen zeigt, dass ein ganzer Berufstand aus vermeintlichem Eigennutz kollektiv lügt und betrügt, erschüttert mich das zutiefst.
    Sicherlich kann man über die Aussagekraft und die Vergleichbarkeit von Daten treffliche Streitgespräche führen. Die Interpretation von solchen Auswertungen sollte sicher immer mit größter Zurückhaltung erfolgen und die Abweichungen immer besonders sorgfältig analysiert werden.
    Aber wenn eine solch offensichtliche Fehldokumentation vorgenommen wird ist das mit meinem Ethos nicht mehr vereinbar.

    Selbst Funktionäre des Externen Qualitätsmanagements versuchen mit tröstenden Worten diese Ungeheuerlichkeit zu bagatellisieren. \"Man wisse ja, dass die Qualitätsindikatorenauswahl dazu verleite, unwahre Angaben zu machen bzw. die Ergebnisse zu schönen\"
    Ich bezeichne das als Betrug :t_teufelboese:

    Als Medizincontroller würde ich die absichtliche Fehlkodierung ähnlich einstufen. Im Einzelfall mag das aus Nachlässigkeit oder unbeabsichtigt vorkommen. Bewusst und regelhaft durchgeführt halte ich es für einen Straftatbestand.

    Mit traurigen Grüßen

    mfG
    Thomas Heller
    QMB/Med Co/OA Gyn
    Haßberg-Kliniken
    Haus Haßfurt/Unterfranken

  • Schönen guten Tag lieber Herr Heller,

    Zitat

    Ich bin eigentlich dem Externen Qualitätssicherungsverfahren gegenüber nicht so negativ eingestellt, wie ich es aus Euren Beiträgen heraushöre.

    Meine Kritik richtet sich nicht grundsätzlich gegen externe QS-Verfahren sondern gegen die derzeit gängige Methodik. Gegen eine valide externe Qualiätssicherung aus Routinedaten der Krankenhäuser und der Krankenkassen habe ich nichts einzuwenden. Ich könnte mir eine Art §21 Datensatz der Krankenkassen vorstellen, der hervorragende krankenhaus- und sogar sektroübergreifende Qualitätsindikatoren zuließ. Die Daten sind da!


    Zitat

    Mein Selbstverständnis als Arzt ist immer gewesen, dass ich die Qualität meiner Arbeit wissen möchte.

    Dies wird jedoch zunehmend erschwert. Ich kann mich noch an Zeiten erinnern, da war es noch kein allzu großes Problem, Patienten nach der Primärbehandlung noch einmal einzubestellen. Dies ist zwar keine objektive Qualitätssicherung, aber man konnte selbst den Verlauf verfolgen. Mit zunehmender Einschränkung der Ermächtigungen wird dies für die Krankenhausärzte nicht mehr möglich. Ob das zur Qualitätsverbesserung beiträgt, wage ich zu bezweifeln.


    Zitat

    Die Interpretation von solchen Auswertungen sollte sicher immer mit größter Zurückhaltung erfolgen und die Abweichungen immer besonders sorgfältig analysiert werden.

    Leider ist dies ebenfalls problematisch. Die Reaktionen auf derlei Auswertungen sind eher menschlich:

    Ist ein Indikator auffällig, so ist dies nach Ansicht der betroffenen (Chef-)Ärzte in der Regel ein Problem falsch erfasster Daten, und die Schuld bei der Schlampigkeit der nachgeordneten Dienste zu suchen. Gesucht werden die Fälle, die angeblich das Ergebnis verfälschen, anstatt die Fälle zu analysieren, die korrekt ein Qualitätsproblem darstellen.


    Die BQS und die Politik dagegen rühmt sich der durch die Auswertungen angeblich bewiesenen Qualiät in deutschen Kliniken. Die Daten mit 0,00% Komplikation werden nicht hinterfragt. Von Zurückhaltung und sorgfältiger Analyse also keine Spur.

    Zitat

    Ich bezeichne das als Betrug

    In der Qualitätssicherung wie im Medizincontrolling werden Sie immer das Problem haben, dass es einzelne Beteiligte gibt, die ökonomisch oder in der Qualitätsdarstellung das Maximum herausholen wollen und dabei auch Grenzen überschreiten. Die Grenzen sind allerdings fließend und nicht jede Erlös- oder \"Qualitätsmaximierung\" ist gleich ein Straftatbestand. Auch dies ist letztlich in einem System, in dem politisch \"mehr Wettbewerb\" gefordert wird, menschlich.

    Zitat

    Mit traurigen Grüßen

    Kann ich schon verstehen. Ich wünsche dennoch einen schönen Tag,

  • Lieber Herr Heller, Hallo Herr Schaffert,

    Die grundsätzliche Schwäche der Selbstbeauskunftung wird hier deutlich. Ich halte es allerdings für zu hoch gegriffen, wenn hier sofort Betrug unterstellt wird.
    Mögliche Ursachen sind:

    - Unkenntnis der klinischen Sachlage bei Demjenigen, der den BQS-Bogen fertigstellt,
    - Zu späte BQS-Dokumntation
    - Mangelhafte Wahrnehmung der klinischen Realität
    - Schlechte Dokumentation in der Krankenakte
    - Abgrenzung der Wundinfektion
    - Angst vor \"Selbstanzeige\"
    - Bewußtes Verschweigen (=Betrug?)

    Das Validierungsverfahren überprüft allerdings durchaus auch Nullwerte.

    Die Bundeweiten Werte sind sicher zu niedrig, dem liegen alle diese Ursachen zugrunde.

    Möglich Auswege können auf Ebene de KH sein:
    -Kriteriendefinition
    -Verpflichtung zu einheiltlicher Dokumentation
    - Das ganze muss \"Thema\" sein
    - Kontrollvisiten / Wundmanager

    Gefahren: Die ermittelten Werte werden weit über dem Bundesdurchschnitt liegen. Es darf als sicher gelten, dass zukünftig die aus den QB gefüllten Datenbanken der Kostenträger derartige (richtige) Werte als negative Ausreisser darstellen werden, dies gilt besonders auch für die Laienöffentlichkeit.

    Dennoch: Freiwillige vor, ggf. ist das ja in einer FA eines Hauses zunächst unproblematisch, zumal wenn derjenige, der die Daten kennt auch noch klinisch tätig und in gewisser Verantwortungsfunktion steht (z.b. in der Gyn).

    Gruß

    merguet