Entscheidung des Großen Senats

  • Guten Tag,
    ich wollte die Entscheidung heute im Haus verbreiten und bin dabei auf folgendes \"Problem\" gestossen:

    hat jemand eine griffige Umschreibung für das Wort Einschätzungsprärogative?

    Das mit dem Gesetzgeber und das mit dem Monarchen (was man halt so im Internet auf die Schnelle findet) passt irgendwie nicht so ganz.

    Danke

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • Hallo zusammen,
    vielleicht sehe ich das zu akademisch:
    nach meinen Recherchen ist eine Prärogative die \"Macht, ohne Vorschrift des Gesetzes, zuweilen sogar gegen das Gesetz, nach eigener Entscheidung für das öffentliche Wohl zu sorgen\" (so z.B. John Locke in Zwei Abhandlungen II § 160).
    In der Monarchie werden im engeren und eigentlichen Sinn unter fürstlichen Prärogativen diejenigen Rechte verstanden, welche der Monarch gegenüber den Stände- oder Volksvertretungen hatte und in denen diese kein Mitwirkungsrecht besaßen.
    Und zur Einschätzungsprärogative sagt Wikipedia: Als Einschätzungsprärogative bezeichnet man das Vorrecht des Gesetzgebers, Gesetze entsprechend der eigenen Einschätzung im Hinblick auf tatsächliche Gegebenheiten zu fassen. Die Entscheidung des Gesetzgebers ist insoweit nicht durch Gerichte, auch nicht durch das Bundesverfassungsgericht nachprüfbar. Die Einschätzungsprärogative folgt somit aus dem Prinzip der Gewaltenteilung.

    Es geht also um ein Vorrecht, welches sich mitunter sogar gegen Gesetze richtet und das durch Gerichte nicht überprüfbar ist.

    Demnach müsste die Einschätzungsprärogative des KH-Arztes also die Entscheidung zur stationären Behandlung sein, welche der gerichtlichen Nachprüfbarkeit entzogen ist. Aber das war es doch noch nie, sonst hätten wir doch keine Prozesse wegen der primären Fehbelegung. :sterne: :sterne:

    Aber wahrscheinlich wird es jetzt wirklich zu theoretisch.

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • Nun, Herr Horndasch... ich glaube, Sie sehen das wirklich zu akademisch!
    Die Bezeichnung \"Prärogative\" bezieht sich meiner Ansicht nach in der Tat nur auf die Entscheidungsbefugnis des Arztes, die stationäre Behandlungsnotwendigkeit festzustellen - wie auch bei der Override-Option der AEP Kriterien

    Gruß

    T. Flöser

  • Hallo Herr Horndasch,

    ich sehe das genauso wie Sie - allerdings bin ich kein Jurist.

    Die entscheidende Frage ist wohl, wie das Wort \"Einschätzungsprärogative\" zu interpretieren ist.

    Hier die Definition aus der Wikipedia, die natürlich mit Vorsicht zu behandeln ist: \"Als Einschätzungsprärogative bezeichnet man das Vorrecht des Gesetzgebers, Gesetze entsprechend der eigenen Einschätzung im Hinblick auf tatsächliche Gegebenheiten zu fassen. Die Entscheidung des Gesetzgebers ist insoweit nicht durch Gerichte, auch nicht durch das Bundesverfassungsgericht nachprüfbar.\"

    Sollte diese Definition zutreffend sein, würde sich nicht viel ändern.

    Inwieweit das denn tatsächlich der Fall ist, kann selbstverständlich nur von Juristen beantwortet werden. Solange keine Urteilsbegründung vorliegt, sollte man daher eher den Ball flach halten und abwarten, was denn die Fachleute sagen.

    Grüsse aus Düsseldorf

    Matthias Offermanns

    Deutsches Krankenhausinstitut

    Alte Rheinische Weisheit: "Das Leben ist zu kurz für ein langes Gesicht."

  • Schönen guten Tag allerseits,

    zunächst eine andere Quelle:

    Zitat

    lat. praerogativus, Adj., vor anderen
    um seine Meinung gefragt, zum PPP.
    praerogatus von lat. praerogare, V., vorher
    fragen zu lat. prae, Prä ; p., Prä ; f., vor,
    lat. rogare, V., fragen

    es geht hier schon darum, dass der dritte Senat bisher der Entscheidung des Krankenhausarztes einen hohen Stellenwert eingeräumt hat, in dem die Entscheidung des Krankenhausarztes nach Ansicht des Senats lediglich \"vertretbar\" sein musste. Das heißt, dem Krankenhausarzt musste die \"nicht Vertretbarkeit\" seiner Entscheidung, d. h. letztlich ein Verstoß gegen die ärztlichen Regeln nachgewiesen werden, was sich zum Teil der gerichtlichen Überprüfung entzieht.

    Nach der Entscheidung des großen Senats muss das Gericht die Notwendigkeit der stationären Behandlung überprüfen, d. h. das Krankenhaus muss diese nachweisen können. Letztlich ist dies eine Beweislastumkehr. Da es aber vorher schon nicht immer so einfach war, wie es der eigentliche Sinn von \" Prärogative \" impliziert, ändert sich in diesem Punkt nicht unbedingt viel.

    Viel wesentlicher finde ich den ausdrücklichen Hinweis des Großen Senats darauf, dass fehlende Unterbringung oder mangelnde konkrete Behandlungsalternativen nicht zu Lasten der Krankenkasse gehen dürfen.

    Ich wünsche noch einen schönen Tag,

  • Hallo Herr Offermanns,
    für mich ist ziemlich klar, was mit der \"Einschätzungsprärogative\" gemeint ist.
    Die Meinungsverschiedenheit zwischen dem 1. und 3.Senat bestand doch genau darin, dass der 3.Senat schon 1996 (AZ 3 RK 2/96) im sog. Münchhausen-Urteil sich auf den Standpunkt gestellt hat, dass der aufnehmende Arzt durch seine Entscheidung, den Patienten stationär aufzunehmen (natürlich unter Anwendung des §39 SGB V), über die Leistungspflicht der Krankenkasse mitentscheidet. Nur eine Entscheidung, von der man schon bei Aufnahme eindeutig sagen konnte, dass sie falsch war
    (....medizinische Notwendigkeit fehlt insbesondere bei einem Pflegefall, bei sozialer Indikation, bei Maßnahmen, die nicht der Behandlung einer Krankheit im versicherungsrechtlichen Sinne dienen, und bei einer Unterbringung aus Gründen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (es sei denn, daß zugleich eine krankenhauspflegebedürftige
    Erkrankung vorliegt))

    konnte die KK nachträglich von der Leistungspflicht befreien.
    Diese Entscheidung des Gerichts implizierte das teilweise auch von LSGen geübte Verhalten, die Entscheidung des Arztes gar nicht mehr in Frage zu stellen, bzw. den Fall medizinisch nicht mehr begutachten zu lassen.

    Mit Aufkommen der Kataloge zum Vertrag nach §115b und der Definition, was ist ambulant, was ist teilstationär, was ist stationär kam erst die Unsicherheit und die Diskussion, ob und wann eine stationäre Behandlung gerechtfertigt ist.
    Und hier kam der 1.Senat und hat die \"Entscheidungsprärogative\" des aufnehmenden Arztes angezweifelt und musste damit auch den Gerichten vorschreiben, dass der Fall auch medizinisch aufgerollt werden muss, um zu entscheiden, ob die stationäre Aufnahme auch gerechtfertigt ist.

    Übrigens ist die für uns gültige Definition von stationär, teilstationär und ambulant rein deutsch. Eine schweizerische Kollegin erklärte mir neulich, dass tagesklinische Eingriffe in der Schweiz nicht ambulant sondern \"teilstationär\" genannt werden. Vielleicht hätten wir uns mit dieser Abgrenzung auch einiges an Missverständlichkeiten erspart. :sterne:

    Wenn die Politik sich nicht baldigst hier einmischt und klarere Verhältnisse, zu der die Selbstverwaltung anscheinend nicht in der Lage ist, schafft, drohen ins in Zukunft überall \"Bayerische Verhältnisse\" wo eine große Kasse sich schon lange Ärzte hält, die Alles daran setzen, mehr als die §301-Daten zu bekommen, um dem MDK vorzuschreiben, wie er sich in bestimmten Situationen verhalten muss. :d_neinnein:
    O-Ton: \"Ich bohre solange beim MDK, bis ich alles über den Fall weiß.\"
    Diesen \"Kollegen\" war die \"Entscheidungprärogative\" schon lange ein Dorn im Auge. :boese:

    mfG
    Thomas Heller
    QMB/Med Co/OA Gyn
    Haßberg-Kliniken
    Haus Haßfurt/Unterfranken

  • Guten Morgen,
    nach dem ich etwas darüber nachgedacht habe, komme ich auch zu dem Ergebnis, dass es deutlich mehr als bisher zur Überprüfung der Ersteinschätzung des KH-Arztes kommen wird. Da wird dann auch die Fremdanamnese mit einbezogen, dia zwar nicht zur Verfügung stand - (\"aber wenn er sich bemüht hätte, hätte er sie bekommen\"); da werden Verweise auf theoretisch aber nicht praktisch exisiterende niedergelassene Kollegen gemacht werden. Auch die Verordnung von Thrombosestrümpfen nachts um 23:00 Uhr nach Diagnostik einer US-Thrombose und Ausschluß LE wird wohl als quasi \"nicht Problem der KK\" gesehen werden.
    Ich würde mir lediglich wünschen, dass dann mitten in der Nacht (oder am Sonntag) auch die Ansprechpartner der KK da sein werden, um ihren Versicherten die Rechtslage zu erklären. Denn über kurz oder lang werden die KH sich wohl an die Vorgaben halten und \"den Hotelbetrieb aufgeben\".

    Herzliche Grüsse aus Mittelfranken
    E. Horndasch

  • Guten Morgen,

    hier die vorläufige Einschätzung der DKG in einem aktuellen Rundschreiben zur Einschätzungsprärogative:

    \"Fraglich ist jedoch, ob sich durch die Feststellung des Großen Senats, dem Krankenhausarzt komme keine Einschätzungsprärogative zu, tatsächlich für die Frage und Überprüfung der medizinischen Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung etwas ändert. Die Frage, ob eine stationäre Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist, konnte auch vor der Entscheidung des Großen Senats im Streitfall von den Gerichten uneingeschränkt überprüft werden. Auch wenn der 3. Senat des BSG von einem Anscheinsbeweis für die Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit des Patienten ausging, so konnte auch dieser Anscheinsbeweis erschüttert werden, wenn eine Krankenhausbehandlungsbedürftigkeit aus medizinischen Gründen tatsächlich nicht gegeben war. Krankenhäuser konnten dementsprechend auch vor der Entscheidung des Großen Senats Patienten nicht willkürlich stationär aufnehmen, sondern mussten die medizinischen Gründe dokumentieren und im Streitfall darlegen können.

    Wichtig ist die Aussage des Großen Senats, dass bei einer gerichtlichen Überprüfung der Frage, ob eine stationäre Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist, von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes auszugehen ist. Dadurch werden die behandelnden Ärzte nach wie vor in Fällen, in denen es aufgrund eingeschränkter Erkenntnismöglichkeiten bei der Aufnahme des Patienten zu möglichen Fehleinschätzungen kommen kann, davor geschützt, das Kostenrisiko tragen zu müssen. Ob in diesem Zusammenhang der Begriff der \'Einschätzungsprärogative\' weiterhin zum Tragen kommt, dürfte eine eher untergeordnete Rolle spielen. Entscheidend ist, dass es nach wie vor auf den im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Erkenntnisstand des behandelnden Arztes ankommt.\"

    Grüsse aus Düsseldorf

    Matthias Offermanns

    Deutsches Krankenhausinstitut

    Alte Rheinische Weisheit: "Das Leben ist zu kurz für ein langes Gesicht."