Entscheidung des Großen Senats

  • Guten Morgen,
    ich habe der folgenden Pressemitteilung erhalten.
    Leider habe ich keine Quellenangabe und auf der Seite des Bundessozialgerichtes finde ich auch nichts.
    Dennoch halte ich die Entscheidung für sehr wichtig.
    Bitte um entsprechende Einschätzungen.
    Sollte es einen anderen \"Thema\" dazu geben, habe keinen über die Suche gefunden, bitte umhängen.
    Danke


    Entscheidung des Großen Senats des Bundessozialgerichts zur Krankenhausbehandlung vom 25.09.2007

    Verneinung der „Einschätzungsprärogative“ des Krankenhausarztes


    Nachdem sich die Richter des 1. und 3. Senat des Bundessozialgerichts in zentralen Fragen zur Leistungspflicht der Krankenkassen bei stationärer Krankenhausbehandlung uneinig waren (vgl. den Beschluss des BSG vom 03.08.2006 – Az. B 3 KR 1/06 S), hatte der 1. Senat dem in solchen Streitfällen zuständigen Großen Senat des BSG folgende Rechtsfragen zur Entscheidung vorgelegt:


    1. Setzt der Anspruch erkrankter Versicherter auf vollstationäre Behandlung in einem zugelassenen Krankenhaus voraus, dass allein aus medizinischen Gründen Krankenhausbehandlung erforderlich ist, weil das Behandlungsziel durch andere Maßnahmen der Krankenbehandlung nicht erreicht werden kann?

    2. Hat das Gericht die Voraussetzungen gemäß Frage 1 voll zu überprüfen?


    Durch Beschluss vom 25. September 2007 hat der Große Senat die Vorlagefragen wie folgt beantwortet:


    1. Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist, richtet sich nach medizinischen Erfordernissen. Reicht nach den Krankheitsbefunden eine ambulante Therapie aus, so hat die Krankenkasse die Kosten eines Krankenhausaufenthalts auch dann nicht zu tragen, wenn der Versicherte aus anderen, nicht mit der Behandlung zusammenhängenden Gründen eine spezielle Unterbringung oder Betreuung benötigt und wegen des Fehlens einer geeigneten Einrichtung vorübergehend im Krankenhaus verbleiben muss.

    2. Ob eine stationäre Krankenhausbehandlung aus medizinischen Gründen notwendig ist, hat das Gericht im Streitfall uneingeschränkt zu überprüfen. Es hat dabei von dem im Behandlungszeitpunkt verfügbaren Wissens- und Kenntnisstand des verantwortlichen Krankenhausarztes auszugehen. Eine \"Einschätzungsprärogative\" kommt dem Krankenhausarzt nicht zu.

    Gruß

    MiChu ;)
    Sei nicht unglücklich vor der Zeit, denn was dich, als dir drohend, in Angst versetzt, wird vielleicht nie kommen. (Seneca)

  • Guten Morgen Forum,

    das ist ja der Hammer! :t_firedevil:

    Könnte/sollte man das nicht an alle Mitglieder mailen?

    [f2]Mit freundlichen Grüßen


    Dr. M. Finke
    Oberarzt der Chirurg. Abteilung :i_ritter:
    Rotkreuzklinik Lindenberg[/f2]

  • Hallo Herr Lindenau,

    Fehler beim Öffnen. Datei nicht gefunden. Datei-Typ unklar? Aber Download geht mit Speichern. Danke!

    [size=12]Freundlichen Gruß vom Schorndorfer MDA.

  • Hallo allerseits,

    Zitat

    \"Reicht nach den Krankheitsbefunden eine ambulante Therapie aus, so hat die Krankenkasse die Kosten eines Krankenhausaufenthalts auch dann nicht zu tragen, wenn der Versicherte aus anderen, nicht mit der Behandlung zusammenhängenden Gründen eine spezielle Unterbringung oder Betreuung benötigt und wegen des Fehlens einer geeigneten Einrichtung vorübergehend im Krankenhaus verbleiben muss.\"

    das bedeutet konkret, dass bei der Beurteilung stationärer Behandlungserfordernis Aspekte wie Behinderung, Begleiterkrankung, Demenz und Pflegebedürftigkeit in Zukunft keine Rolle mehr spielen (dürfen). Angesichts des zunehmenden Anteils alter Menschen an der Gesamtbevölkerung eine fürwahr zukunftsweisende Entscheidung des obersten Sozialgerichts!

    :g_kotz2:

    Markus Hollerbach

  • Hallo,

    ich seh das jetzt mal nicht so eng. :augenroll:

    Warum?
    Darum!
    AOP Vertrag 2007 §2 Abs. 2:
    \"Aus dem als Anlage 1 zu § 3 des Vertrages beigefügten „Katalog ambulant durchführbarer Operationen und stationsersetzender Eingriffe“ kann nicht die Verpflichtung hergeleitet werden, dass die dort aufgeführten Eingriffe ausschließlich ambulant zu erbringen sind. Der Arzt ist verpflichtet, in jedem Einzelfall zu prüfen, ob Art und Schwere des beabsichtigten Eingriffs unter Berücksichtigung des Gesundheitszustandes des Patienten die ambulante Durchführung der Operation nach den Regeln der ärztlichen Kunst mit den zur Verfügung stehenden Möglichkeiten erlauben. Zugleich muss sich der verantwortliche Arzt vergewissern und dafür Sorge tragen, dass der Patient nach Entlas-sung aus der unmittelbaren Betreuung des operierenden Arztes auch im häuslichen Bereich sowohl ärztlich als gegebenenfalls auch pflegerisch angemessen versorgt wird. Die Entscheidung ist zu dokumentieren.\"

    Und darum:
    Ob einem Versicherten vollstationäre Krankenhausbehandlung zu gewähren ist,
    richtet sich nach medizinischen Erfordernissen.


    Solange dokumentiert ist, dass ein Patient aufgrund seiner Nebenerkrankungen nicht ambulant behandelt werden kann, kann/muss er stationär behandelt werden.

    Was mich vielmehr stört, oder besser stören wird, ist, das einige KKn dies als Freifahrtschein zur pauschalen Ablehnung von stationär erbrachten, im AOP Katalog vorhandenen, OPs ansehen werden.
    :keule:

    Gruß
    papiertiger

    Sport: eine Methode, Krankheiten durch Unfälle zu ersetzen.

  • Hallo allerseits, hallo Herr Hollerbach,
    die Entscheidung ist allerdings von großer Tragweite

    Zitat


    Original von mhollerbach:
    Hallo allerseits,


    das bedeutet konkret, dass bei der Beurteilung stationärer Behandlungserfordernis Aspekte wie Behinderung, Begleiterkrankung, Demenz und Pflegebedürftigkeit in Zukunft keine Rolle mehr spielen (dürfen). Angesichts des zunehmenden Anteils alter Menschen an der Gesamtbevölkerung eine fürwahr zukunftsweisende Entscheidung des obersten Sozialgerichts!

    :g_kotz2:

    Markus Hollerbach


    Hier hat der Große Senat anscheinend die Entscheidung des 3. Senats aus 2003 (B3-KR-18-03-R) kassiert, in der es hieß:

    Die Entscheidung, ob ein Versicherter wegen einer behandlungsbedürftigen Krankheit in einem
    Krankenhaus versorgt werden muss, kann ein die Einweisung ins Krankenhaus
    verordnender niedergelassener Arzt (§ 73 Abs 2 Satz 1 Nr 7 SGB V iVm § 27 Abs 1
    Satz 1 Nr 5 SGB V) oder die Aufnahme ins Krankenhaus anordnender
    Krankenhausarzt (§ 39 Abs 1 Satz 2 SGB V) stets nur mit Blick auf die in Betracht
    kommenden ambulanten Behandlungsalternativen treffen. Dies gilt in gleicher Weise
    bei der Entscheidung eines Krankenhausarztes, ob ein bereits stationär
    untergebrachter Patient bei fortdauernder Behandlungsbedürftigkeit weiterhin im
    Krankenhaus zu behandeln ist oder entlassen werden kann, weil die erforderliche
    medizinische Versorgung außerhalb des Krankenhauses sichergestellt ist.

    Das Erfordernis einer konkreten Betrachtungsweise bedeutet, dass es nicht
    ausreicht, von theoretisch vorstellbaren, besonders günstigen
    Sachverhaltskonstellationen auszugehen, die den weiteren Krankenhausaufenthalt
    entbehrlich erscheinen lassen, sondern dass zu prüfen ist, welche ambulanten
    Behandlungsalternativen im Einzelfall konkret zur Verfügung stehen
    , weil nur so die
    kontinuierliche medizinische Versorgung eines Versicherten gewährleistet werden
    kann. Die Problematik wird besonders deutlich, wenn ein Patient auf Grund seines
    körperlichen, geistigen oder seelischen Gesundheitszustands einstweilen oder auf
    Dauer nicht mehr in die eigene Wohnung zurückkehren kann, in der er vor dem
    Krankenhausaufenthalt gelebt hat. Eine Entlassung aus dem Krankenhaus kommt in
    solchen Fällen erst in Betracht, wenn geklärt ist, wo der weiterhin
    behandlungsbedürftige Patient nach der Entlassung - wenn auch möglicherweise
    zunächst nur vorübergehend - leben bzw wohnen wird und ob dort die notwendige
    medizinische Versorgung sichergestellt ist. Solange dies nicht geklärt ist, sondern
    nur theoretische Möglichkeiten im Raum stehen, kann ein Patient nicht aus dem
    Krankenhaus entlassen werden; die stationäre Behandlung ist dann weiterhin
    \"erforderlich \" iS des § 39 Abs 1 SGB V.

    [blink]Diese konkrete Betrachtungsweise gilt nicht nur für die beteiligten Ärzte und
    Krankenhäuser, sondern gleichermaßen für die Krankenkassen und den MDK
    .[/blink]
    Auswirkungen hat dies insbesondere bei der Prüfung von Anträgen auf
    Kostenübernahme für eine stationäre Behandlung, also bei Erstanträgen zwecks
    stationärer Aufnahme sowie bei Folgeanträgen nach befristeten Kostenzusagen bzw
    bei Verlängerung eines Krankenhausaufenthalts
    .
    Da die Krankenkasse dem
    Versicherten die notwendige medizinische Behandlung als Sachleistung schuldet (§
    2 Abs 2, § 27 SGB V) und sie gegenüber dem Versicherten nach § 14
    Sozialgesetzbuch Allgemeiner Teil (SGB I) zur Beratung über seine Rechte und
    Pflichten aus dem Sozialversicherungsverhältnis verpflichtet ist, kann sich die
    Krankenkasse nicht allein damit entlasten, dass sie auf denkbare ambulante
    Behandlungsalternativen verweist, solange sie diese nicht in konkreter und
    nachprüfbarer Weise aufzeigt
    .

    Aus forensischen Gründen wird man im Krankenhaus trotzdem nicht umhinkommen, Patienten stationär zu behalten, die man nicht einfach auf die Strasse setzen kann, weil der MDK-Kollege oder der Beratungsarzt der KK der Meinung ist, das hätte man jetzt auch ambulant weiter behandeln können.
    Gerade auf dem Lande, wo es in manchen Bereichen schon Versorgungsengpässe gibt, ist diese Entscheidung des \"Großen Senats\" fatal, manchmal vielleicht auch letal.
    Natürlich wird im Zweifelsfall immer der entlassende Arzt zur Rechenschaft gezogen und nie der MDK-Kollege. :t_teufelboese:
    Ich weiß nicht, warum man der Bundesregierung nicht endlich mal steckt, dass die blutige Entlassung längst an der Tagesordnung ist, weil viele MDK-Kollegen der Meinung sind, dass man Patienten mit (blut-) födernden Drainagen ambulant weiterbehandeln kann. Dass das Krankenhaus 25 km entfernt ist und nicht ganztägig im Falle einer Nachblutung ein Fahrer zur Verfügung steht, interessiert doch die Kasse nicht. Der Rentner kann sich doch ein Hotelzimmer in Krankenhausnähe für die weiterführende ambulante Behandlung buchen.

    Zur Ansicht der Bundesregierung s. http://dip.bundestag.de/btd/16/061/1606184.pdf
    :laugh: :totlach: :boese: :a_traenenausbrech:
    Beachten Sie bitte die Antwort auf Frage 9. :i_respekt:

    mfG
    Thomas Heller
    QMB/Med Co/OA Gyn
    Haßberg-Kliniken
    Haus Haßfurt/Unterfranken

  • Guten Abend,
    das ist wohl auch die Meinung des MDK. Wir hatten einen Pat. in völlig derangiertem Zustand aufgenommen, der Krach zu Hause hatte, dann hyperventilierte, krampfte und Thoraxschmerzen hatte. Wir argumentierten, dass der Pat. nicht in die Umgebung zurückkonnte, die ihn krank gemacht hatte. Die Meinung des MDK war, wenn der Pat. nicht nach Hause kann, soll er sich doch ein Hotelzimmer nehmen. Voilá.

    OKIDOCI 8)

  • Schönen guten Tag allerseits,

    auch wenn diese Entscheidung duchaus eine gewisse Tragweite hat, muss man den Zusammenhang sehen.

    Zitat

    Das Verfahren des 1. Senats betrifft einen Versicherten, der wegen einer psychischen Krankheit unter Betreuung steht und eine Heimunterbringung benötigt. Wegen eines akuten Krankheitsschubs wurde der Patient seit 1996 stationär in einem psychiatrischen Krankenhaus behandelt. Ab Juli 1998 war nach Auffassung des medizinischen Dienstes der Krankenversicherung sein Zustand so weit stabilisiert, dass eine Behandlung mit den Mitteln eines Krankenhauses nicht mehr erforderlich war, sondern die weitere ärztliche Behandlung ambulant erfolgen konnte. Da das Krankenhaus anderer Auffassung war und eine Fortführung der stationären Behandlung für notwendig hielt, verblieb der Patient in der Klinik. Die Krankenkasse des Versicherten weigert sich, die ab Juli 1998 durch die Unterbringung im Krankenhaus entstandenen Kosten zu tragen. An ihrer Stelle hat der Sozialhilfe­träger diese Kosten übernommen und verlangt nunmehr mit der Klage deren Erstattung.

    Im Ausgangsverfahren geht es also nicht um einen Streit zwischen Krankenhaus und Krankenkasse, sondern zwischen Sozialhilfeträger und Krankenkasse. Und es geht um einen Psychiatriefall. Der Beschluss bezieht sich daher auch ausdrücklich auf die Kostenübernahme durch die Krankenkasse ( \"...so hat die Krankenkasse die Kosten auch dann nicht zu tragen...\" ). Ich weiß, dass dies ein wenig akademisch ist und in der praktischen Konsequenz natürlich dennoch schwierigkeiten bringt.

    In der Somatik ist der nahezu ausschließliche Bezug auf die medizinische Notwendigkeit dem Grunde nach sowie schon lange gegeben. Auch in den AEP Kriterien gelten mangelnde häusliche Versorgung o.ä. nur sekundär.

    Was tatsächlich wegfällt ist die Möglichkeit des Krankenhauses, sich auf die einfache \"Vertretbarkeit\" der Entscheidung des Krankenhausarztes zu berufen. Hier muss - aber auch das ist eigentlich nichts neues - eine weitgehend nachvollziehbare Dokumentation die medizinsiche Notwendigkeit der Krankenhausbehandlung in einer für ein Gericht überprüfbaren Form begründen.

    Im Übrigen: \"Kassiert\" wurde gar kein anderes Urteil, der Große Senat kann wohl kaum durch einen Beschluss Urteile des gleichen Gerichtes in ihrer Wirkung auf den jeweiligen Fall aufheben. Es ist allerdings eine neuer Tenor der Rechtsprechung des BSG, d.h. man kann sich in zukünftigen Verfahren nicht mehr auf die mit einem anderen Tenor gesprochen Urteile des 3. Senats beziehen.


    Ich wünsche dennoch einen schönen Tag,

  • Hallo Herr Schaffert,
    wir haben ja bisher nur die Pressemitteilung.
    Es ist ja beliebt, immer auf den speziellen Einzelfall abzuheben. Aber hier ging es ja um Grundsatzentscheidungen zwischen 1. und 3. Senat.
    Ich darf daran erinnern, dass es gerade darum ging, ob der Krankenhausarzt mit seiner Entscheidung, einen Patienten im Krankenhaus zu behalten oder aufzunehmen, den Leistungsanspruch der KK auslöst, wenn ihm nicht grob fahrlässiges verhalten bei dieser Entscheidung vorgeworfen werden kann.
    siehe auch BSG, Urteil vom 13. 12. 2001 - B 3 KR 11/ 01 R
    Über die Erforderlichkeit der Krankenhausbehandlung entscheidet zunächst der Krankenhausarzt. Eine Zahlungspflicht der KK für die stationäre Versorgung eines Versicherten entfällt nur dann, wenn sich die Entscheidung des Krankenhausarztes nach seinen jeweiligen Erkenntnismöglichkeiten als nicht vertretbar herausstellt

    Der erste Senat wollte dies nicht so stehen lassen und die Entscheidungsmacht des Krankenhausarztes zu Gunsten der KK einschränken. Damit hat sich der erste Senat anscheinend jetzt durchgesetzt.

    Auch ein Vertreter des BMG hält diese Entscheidung für unglücklich, da das Risiko, nicht schnell genug einen geeigneten Weiterversorgungsplatz zu finden, hiermit voll auf die Krankenhäuser abgewälzt wird. Dies kann m.E. nur eine gesetzliche Regelung noch verhindern.

    Lieber Herr Schaffert, wir werden sehen, was die KK in nächster Zeit daraus machen. Auch das Kieler \"Weisheitszahn-Urteil\" wurde von allen Kassen verwendet, um Argumente gegen kurzstationäre Behandlung zu haben.
    Ich glaube, dass es jetzt ähnliche Auslegungen geben wird.
    Schau ma ma (Kaiser Franz) :i_baeh:

    mfG
    Thomas Heller
    QMB/Med Co/OA Gyn
    Haßberg-Kliniken
    Haus Haßfurt/Unterfranken