Hauptdiagnose bei Commotio und Fraktur

  • Hallo Zusammen!
    Ich hab mal wieder was:
    Eine Patientin wird wegen Comotio und Unterkieferfraktur aufgenommen.
    Die Fraktur wird Konservativ behandelt ( Konsil ist gelaufen) Sie bekommt flüssige Kost (Ernährung). Weiterhin läuft ein Vigilanzüberwachung zwecks Comotio.
    Was ist HD und wie kann ich das begründen?

    Gruß
    Maddoc

  • Hallo Maddoc,
    weshalb erfolgte die stationäre Aufnahme, zur Vigilanzüberwachung oder zur konservativen Therapie der Unterkieferfraktur?

    Mit freundlichen Grüßen,

    Lupus

    Wer früher stirbt ist länger tod :k_biggrin:

    • Offizieller Beitrag

    Guten Morgen,

    ich möchte daran erinnern, dass in solchen Fällen nicht primär nach der D002f , sondern nach der 1911a zu kodieren ist:
    Reihenfolge der Kodes bei multiplen Verletzungen
    Im Fall von mehreren näher beschriebenen Verletzungen ist als Hauptdiagnose die Erkrankung auszuwählen, die am schwerwiegendsten ist.

    Man stellt also nicht die Frage \"Weshalb erfolgte die stationäre Aufnahme, zur Vigilanzüberwachung oder zur konservativen Therapie der Unterkieferfraktur?\", sondern \"Was war die schwerwiegendste Verletzung?\". Wenn sich also herausstellt, dass es bei der Commotio blieb ( war es wirklich eine oder nur Schädelprellung? ) und die Kieferfraktur die auch noch über den stationären Aufenthalt hinaus limitierender Verletzung ist, wird man hier ggf. doch das Attribut \"schwerwiegender\" zuteilen können. Ihre Doku sollte das dann hergeben, bzw. der behandelnde Arzt dies bestätigen.

    Mit freundlichen Grüßen

    D. D. Selter

    Ärztlicher Leiter Medizincontrolling

    Berufsgenossenschaftliche Unfallklinik Murnau

  • Zitat


    Original von Selter:
    Guten Morgen,

    ich möchte daran erinnern, dass in solchen Fällen nicht primär nach der D002f , sondern nach der 1911a zu kodieren ist:
    Reihenfolge der Kodes bei multiplen Verletzungen
    Im Fall von mehreren näher beschriebenen Verletzungen ist als Hauptdiagnose die Erkrankung auszuwählen, die am schwerwiegendsten ist.

    Man stellt also nicht die Frage \"Weshalb erfolgte die stationäre Aufnahme, zur Vigilanzüberwachung oder zur konservativen Therapie der Unterkieferfraktur?\", sondern \"Was war die schwerwiegendste Verletzung?\". Wenn sich also herausstellt, dass es bei der Commotio blieb ( war es wirklich eine oder nur Schädelprellung? ) und die Kieferfraktur die auch noch über den stationären Aufenthalt hinaus limitierender Verletzung ist, wird man hier ggf. doch das Attribut \"schwerwiegender\" zuteilen können. Ihre Doku sollte das dann hergeben, bzw. der behandelnde Arzt dies bestätigen.


    Hallo Herr Selter, guten Morgen Forum,
    dieses Dauerärgernis \"B80Z\" bzw. HD S06.0 gibt auch mir wieder Anlass die Validität dieser Kodierrichtlinien in Frage zu stellen.
    Was bedeutet \"schwerwiegendste\"?????????

    Hier kommt es in Begehungen regelmäßig zu Streit zwischen MDK und mir, da bei multiplen Verletzungen und gleichzeitig fraglicher Schädelprellung immer wieder vom MDK argumentiert wird, dass ein stationärer Aufenthalt, selbst wenn keine Commotio vorlag, nur durch die Überwachungspflicht bei \"fraglicher\" Commotio gerechtfertigt ist und diese daher Hauptdiagnose werden muss.Es wurde ja so behandelt \"als ob\" eine Commotio vorgelegen hätte.
    Selbst bei eindeutigen \"Schleudertraumen\" z.B. durch Tritt in den Nackenbereich wird die B80Z gefordert, weil ein \"Schleudertrauma\" halt nicht so leicht nachweisbar ist und auch nicht a priori stationär behandlungsbedürftig.

    Fazit:
    Man lässt sich mit der Zeit auf die Argumentation des MDK ein, da eine gerichtliche Auseinandersetzung hier nicht sehr Erfolg versprechend erscheint.
    (M.E.scheint der MDK in diesen Fällen auch die Widersprüche der \"Beratungsärzte\" von Krankenkassen zu scheuen, mit denen sie fast obligatorisch zu rechnen haben.)

    Grund für dieses Kassen- bzw.MDK-Verhalten sehe ich in der niedrigen RG-Bewertung. Denn bei Überschreitung der OGVD der DRG B80Z, bei der die Langliegerzuschläge aufgrund der kurzen OGVD relativ früh relevant werden, wird häufig umgeschwenkt und entweder eine andere, \"günstigere\" DRG gesucht oder die OGVD-Überschreitung in Frage gestellt.

    Beispiel eines MDK-Gutachtens:

    Fragestellung des Auftraggebers:
    Ist die Verweildauer medizinisch begründet?
    Erfolgte die Kodierung sachgerecht?

    Medizinischer Sachverhalt:
    Akutstationäre Aufnahme des Vers. am 17.01 .06 nach häuslichem Sturz mit kurz dauernder
    Bewusstlosigkeit, begleitend bestand eine Alkoholintoxikation mit 3,3 Promille und eine offene Wunde am
    III. und IV. Finger rechts.


    Hauptdiagnose:
    (S06.O) Commotio cerebri.

    Zusammenfassung/Begründung:
    Im Rahmen der Einzelfaliprüfung im Kreiskrankenhaus XXXX am 08.02.2007 kam es abschließend
    nach Einsicht in die Krankenakte zu folgendem Ergebnis:

    Die Hauptdiagnose und ccl-relevanten Nebendiagnosen sind korrekt.
    Die DRG B80Z wurde korrekt ermittelt.

    Die Überschreitung der oberen Grenzverweildauer ist nicht plausibel.
    Ursprünglich war eine Synkopenabklärung geplant, der Pat. verweigerte dies jedoch.
    Ein internistisches Konsil erfolgte am 19.01.06 mit der Maßgabe der Anfertigung einer HWS in 2 Ebenen,
    Langzeit-EKG und Carotis-Doppler zur Abklärung einer vasovagalen Synkope.

    Aus Sicht des MDK wäre die Abklärung wie auch erfolgt, im ambulant-fachärztlichen Bereich möglich, die
    Überschreitung der oberen Grenzverweildauer ließe sich dadurch nicht begründen.

    Die Klinik gibt weiter an, dass die Wunde am Finger schlecht heilte und daher Handbäder und lx tgl.
    Verbandswechsel bis zur Entlassung erforderlich waren. Aus Sicht des MDK wäre auch dies im
    ambulant-fachärztlichen Bereich möglich gewesen, die Überschreitung der OGVD ist dadurch nicht zu
    begründen. Eine Antibiose erfolgte nicht.

    Die Klinik gibt bei der Begehung an, dass sie ihre ursprünglich an die Kasse übermittelte Hauptdiagnose
    S06.0 in vasovagale Synkope (R55) ändern will, dies ist aus MDK-Sicht nicht sachgerecht.
    Die vasovagale Synkope kann nicht als Hauptdiagnose akzeptiert werden, da diese bei Entlassung nicht
    gesichert war, sie stand lediglich als Verdachtsdiagnose im Raum. Durchgeführt wurde auch eine
    Pupillen kontrolle und Kontrolle der Vitalfunktionen entsprechend der Hauptdiagnose Commotio cerebri.

    Hierüber konnte mit dem Krankenhaus bezüglich der Hauptdiagnose wie der Überschreitung der OGVD
    kein Konsens erreicht werden.

    ______________________________________________________

    Hieran sieht man eigentlich ganz deutlich, wohin der Hase laufen soll: Nämlich in die reguläre \"B80Z\" möglichst noch mit UGVD-Unterschreitung, egal wie hoch der operative oder diagnostische Aufwand lag. Teilweise werden zum Ausschluß von Verletzungen ja auch CT-Untersuchungen notwendig.

    In diesem Jahr hatten wir durch diese Kodierpraxis bereits 92 Fälle mit der DRG B80Z bei insgesamt 116 mal Diagnosestellung S06.0 Gehirnerschütterung. Die multiplen Begleitverletzung reichen von oberflächlichen Kopfverletzungen bis zu Rippen- und Unterarmfrakturen, Thoraxquetschungen Luxationen und Prellungen im Halsbereich.

    __________________________________________________________

    Manchmal passiert aber auch Unerwartetes im \"Lernenden System\".

    Bei einem typischen Unfall verletzen Patienten werden folgende Diagnosen kodiert:

    HD S06.0 Gehirnerschütterung mit der Sek.Diagn. S06.70 Bewußtlosigkeit weniger als 30 min
    ND S13.4 Verstauchung und Zerrung der HWS
    ND S30.0 Prellung der LWS und des Beckens
    ND S62.32 Fraktur eines Mittelhandknochens: schaft
    ND S62.61 Fraktur eines Sonstigen Fingers: proximale Phalanx
    ND S80.0 Prellung des Knies
    ND S92.3 Fraktur der Mittelfußknochen

    Soweit, so gut.
    Alle Verletzungen wären -isoliert betrachtet- wie der Gutachter im o.a. Gutachten vorgeht, auch ambulant behandelbar gewesen. Daher wird (aus schlechter Erfahrung) die S06.0 als HD ausgewählt.

    Durch die versorgung der Verletzungen und damit einhergehender OPS-Kodierung von
    5-790.1c Drahtspickung der Endphalange
    5-795.3b Plattenosteosynthese des Mittelhandknochens
    5-795.1v Plattenosteosynthese des Mittelfußknochens

    kommt es nach Grouping in die DRG 901D mit deutlich erhöhtem Relativgewicht im Vergleich zur B80Z.

    Was passiert????? Dreimal dürfen Sie raten???? :d_gutefrage:

    Prüfauftrag der KK!

    Hier das Gutachten des MDK:

    Fragestellung des Auftraggebers:
    Kodierung korrekt?
    VWD med. plausibel?

    Aufenthalt vom 01 .06.2007 bis 09.06.2007

    Effektivgewicht:
    901D -> 2,008 vs I20E -> 0,829


    Medizinischer Sachverhalt:
    Die stationäre Aufnahme des Vers. erfolgte durch den Notarzt nach Verkehrsunfall. Im Notarztprotokoll
    wurde keine Bewusstlosigkeit dokumentiert, keine Amnesie für den Unfallhergang, keine Ubelkeit oder
    Erbrechen.
    Röntgenologisch wurden Frakturen im Bereich des Mittelfußes V rechts und im Bereich der Mittelhand IV
    sowie im Bereich des Grundgliedes des Zeigefingers links festgestellt, außerdem multiple Schnittwunden.
    Die Frakturen wurden osteosynthetisch versorgt, die Patientin überwacht.

    Zusammenfassung!Begründung:
    Im Rahmen der Einzelfallbegutachtung im Kreiskrankenhaus XXXX am 26.02.2008 kam es
    abschließend nach Einsicht der Behandlungsakte, im Konsens (
    ist nicht korrekt, muss Dissens heißen) mit der Klinik, zu folgendem Ergebnis:

    Eine Commotio als Aufnahmediagnose kann hier nicht nachvollzogen werden, es ist auch kein
    Schädelhirntrauma belegt.

    Als Hauptdiagnose, auch vom Ressourcenverbrauch her, kommt hier die Mittelfußknochenfraktur (S92.3)
    in Betracht.
    Es resultiert die DRG I20E.

    Bemerkung meinerseits: Natürlich stand bei den Chirurgen wie immer die Versorgung der Verletzungen im Vordergrund und dominiert die Dokumentation. Es fand aber selbstverständlich eine Pupillenkontrolle und Vigilanzkontrolle statt.

    Natürlich trifft es für die meisten der \"B80Z\" -Fälle zu, dass im Notarztprotokoll nichts von der Dauer der Bewußtlosigkeit zu finden ist. Im Gegenzug reicht es dem MDK schon, wenn dokumentiert ist, dass sich der Patient nicht genau an den Unfallhergang erinnern kann, um die HD S06.0 durchzusetzen (wenn es denn billiger ist).

    Ich hoffe, ich habe die Problematik ausreichend dargestellt.

    Meine Frage ist: :sterne:

    Ist die MDk-Praxis in dieser Form auf Nordbayern beschränkt oder wird bundesweit so verfahren?

    Hat sich irgendjemand schon mal getraut, zu klagen?

    Gibt es Ideen, wie man die Kodier-Richtlinien hierzu verbessern könnte?

    In die Kalkulation der B80Z des DRG-Browsers HA Version 2008 sind 15519 Fälle eingegangen, bei denen der OP-Bereich und Anästhesiebereich fast keine Kosten verursacht hat.
    D.h. bei fast sämtlichen Kalkulationshäusern sind Fälle mit versorgungsbedürftigen Verletzungen nicht in der DRG B80Z.
    Bei uns hat schätzungsweise jeder zweite eine derartige Verletzung und muss dennoch (nach MDK-Sichtweise) in die Commotio-DRG, wenn es denn günstiger ist.

    Ich hoffe auf viele Beiträge!!!

    Schönes Wochenende :i_drink:

    mfG
    Thomas Heller
    QMB/Med Co/OA Gyn
    Haßberg-Kliniken
    Haus Haßfurt/Unterfranken

  • Wenn Commotio wie die Unterkiederfraktur jeweils für sich allein eine stat. Behandlung begründen, dann erfolgt die Wahl der HD nach DKR (Erkrankung mit größtem Aufwand).

    Gruß
    Ordu

  • Hallo Ordu,
    das klingt reichlich unrealistisch!
    Es gibt bei entsprechenden Unfällen schnell mal Patienten mit einer ganzen Reihe von (Extremitäten-)Verletzungen, die für sich alleine geplant und ohne Schockeinwirkung sicherlich ambulant behandelbar wären.
    Vom Schreibtisch aus kann man dann schnell die Forderung nach ambulanter Behandlung erheben.

    Als Beispiel:
    Bei dem im zweiten MDK-Gutachten von mir geschilderten Fall hatte der Notarzt eine Sedierung wegen Hyperventilation handschriftlich vermerkt. Im Zusammenhang mit einem Verkehrsunfall ist das sicherlich so zu interpretieren, dass ein gewisser Schockzustand vorlag. Vielleicht hat der Patient mitansehen müssen, wie ein anderer Unfallbeteiligter an der Unfallstelle starb oder stark blutete.
    Eine Behandlung einer Hyperventilationstetanie einer 15 jährigen Schülerin in der Pause ist dagegen sicherlich nur in den seltensten Fällen stationär behandlungsbedürftig.
    Aber man kann doch nicht hingehen und einem Unfall-Verletzten die stationäre Behandlungsnotwendigkeit absprechen, weil die Einzelverletzungen an sich jeweils isoliert betrachtet ambulant möglich gewesen wären.

    :t_teufelboese: Gibt es eigentlich Erfahrungen vom Zugunfall in Eschede, wieviel Menschen unberechtigt stationär behandelt wurden? :t_teufelboese:

    mfG
    Thomas Heller
    QMB/Med Co/OA Gyn
    Haßberg-Kliniken
    Haus Haßfurt/Unterfranken

  • Hallo Forum,:i_hallo:

    okay, mein post weiter oben ist relativ lang. Es wäre viel zu lesen.
    Aber vielleicht könnte doch der Eine oder Andere mal seine Erfahrungen oder Meinung dazu kundtun wie es außerhalb Bayerns gehandhabt wird.


    :i_help: :d_klatsch:

    mfG
    Thomas Heller
    QMB/Med Co/OA Gyn
    Haßberg-Kliniken
    Haus Haßfurt/Unterfranken

  • Hallo Thomas,

    zumindest bei uns in Unterfranken hast Du die Realität schön beschrieben!!
    Wir sehen uns vielleicht am 22.7. in Wü!

    Ciao

    riol

    Viszeralchirurg/Unfallchirurg

  • Hallo Olaf,
    ich bin am 22.7. wohl eher in Regensburg in der Donau-Arena zur gemeinsamen Kundgebung von Verdi und BKG gegen die Gesundheitspolitik.

    Danke für Deine Bestätigung der \"Commotio-Realität\". Leider gibt es außerhalb des weiß-blauen Freistaats (bei den Preußen) keine Meinung dazu. Vielleicht laufen die auch alle mit Schutzhelm rum und es gibt gar keine Commotio.:keule:

    mfG
    Thomas Heller
    QMB/Med Co/OA Gyn
    Haßberg-Kliniken
    Haus Haßfurt/Unterfranken

  • Hallo Thomas,

    obacht geben, ich bin auch ein Preuße und leiste in Bayern gerade Entwicklungshilfe .... :totlach:

    Viel Spassss in Regensburg!

    Olaf

    riol

    Viszeralchirurg/Unfallchirurg