Hallo GW,
grundsätzliche ökonomische Überlegungen ("Verteilung begrenzter Ressourcen") werden von Ihnen mit politischen Ansichten ("Leistungsgerechtigkeit") und dann auch noch mit administrativen Überlegungen ("Leistungsdokumentation") verknüpft. Daran ist allerdings überhaupt nichts neu, dies war schon immer so seit Bestehen der gesetzlichen Krankenversicherung in Deutschland (1883). Beitragsmittel (begrenzte Ressourcen) wurden für eine vorher definierte Leistung "Krankenhausbehandlung" (zunächst Reichsversicherungsordnung, nun § 39 SGB V) mit administrativen Überlegungen (Diagnosendokumentation, Bewegungsmeldungen aktuell im Rahmen des § 301 SGB V) verknüpft.
ABER:
Sie unterstellen dann, dass der jetzige meiner Meinung nach unglückliche Versuch der Neugestaltung eines Vergütungssystems nur konstruktiv (um-)gestaltet werden kann, in dem man „mitmacht“. Dass kann ich, aber auch Andere, nun überhaupt nicht teilen. Dieses vermeintliche Argument bringen in schöner Regelmäßigkeit PEPP-Befürworter: "Schaut, immerhin machen schon ein Drittel der deutschen Psychiatrien mit, dass ist der Beweis einer wachsenden Akzeptanz" (so z.B. die neue gesundheitspolitische Sprecherin der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Maria Michalk hier).
Darauf entgegnet zu Recht der derzeitige Vorsitzende der Fachgruppe Psychiatrie im VKD Holger Höhmann, ein unumstrittener Fachmann im deutschen stationären Psychiatriewesen, in seinem Antwortbrief vom 02.12.2015 Folgendes:
"Ihrer Aussage im o.g. Beitrag, dass die psychiatrischen Krankenhäuser aufgrund des getätigten Umstieges auf das neue System, "ein gutes Stück weiter sind" als die Verfasser des Alternativkonzeptes, müssen wir jedoch vehement widersprechen. Die Kliniken, die bereits optiert haben, sind nicht etwa aufgrund eines Zuspruchs zum geplanten System umgestiegen. Vielmehr blieb vielen psychiatrischen Kliniken aufgrund der gravierenden finanziellen Schwierigkeiten keine andere Möglichkeit. Durch die Möglichkeit der Erhöhung der Veränderungsrate - um bis zu 100 % - haben viele Kliniken den Weg des Umstiegs gewählt. Dies nun als Einvernehmen der Kliniken zum PEPP-System zu werten, ist keineswegs der richtige Schluss. Darüber hinaus versuchen viele Kliniken durch eine möglichst frühzeitige Anwendung Erfahrungen mit dem PEPP-System zu sammeln, auch um das wirtschaftliche Risiko zu minimieren, welches ab dem Jahr 2017 mit verringerten Minder- und Mehrerlösausgleichen unmittelbar eintritt. Es ist gerade die konkrete Umsetzungserfahrung von PEPP, die viele Akteure in Verbänden und Fachgesellschaften in der Haltung bestärkt, dass PEPP bereits vom Grundansatz her kein zielführendes leistungsbezogenes Entgeltsystem sein kann. Aus dem Umstieg von Häusern auf die Akzeptanz des Systems zu schließen entbehrt also jeglicher Grundlage. Wir bitten Sie herzlich; im Interesse von Patientinnen und Patienten, das durch eine breite Basis von 17 wissenschaftlichen Fachgesellschaften und Verbänden getragene Konzept zu unterstützen, um dazu beizutragen den gravierenden Fehlsteuerungen von PEPP eine konstruktive Alternative entgegen zu setzen. (...)"
Ihren Vorschlag, das Vorschlagsverfahren des DIMDI zur Änderung unsinniger Prozedurenkodes zu nutzen, teile ich überhaupt nicht. Im Gegenteil suggeriert die Teilnahme am Vorschlagsverfahren, dass man den OPS-Kodes überhaupt etwas Positives abgewinnen kann, weil man sie ja ändern möchte. Dabei wissen wir ja um den hohen administrativen Aufwand bei fehlender Vergütungsrelevanz, die Probleme aufgrund der Unbestimmtheit der einzelnen Hinweise und Merkmale, die dann wiederum zu unfruchtbaren Auseinandersetzungen mit dem MDK im Rahmen der seit PEPP stark gestiegenen MDK-Prüfquote führen, die vom eigentlichen Kerngeschäft der Behandlung psychisch kranker Hilfebedürftiger fernhalten usw.
Und nun folgern Sie (wie leider immer schon) pauschal, dass diejenigen, die dem neuen Entgeltsystem nicht aufgeschlossen gegenübertreten, eine naive, weltfremde Rückwärtsgewandtheit und fehlender ökonomischer Verstand angelastet werden kann.
Dies teile ich ganz und gar nicht und entspricht auch nicht meiner Erfahrung in der Auseinandersetzung mit Kritikern, ganz im Gegenteil! Man muss meiner Meinung nach eben nicht erst am PEPP-System teilnehmen, um konstruktiv daran mitzuwirken, dass das vorgeschlagene Entgeltsystem noch sinnvolle Veränderungen erfährt. Dies kann man auch unabhängig von einer Optierung auf politischem Wege tun. In diesem Zusammenhang lohnt auch immer wieder die Erinnerung daran, dass PEPP nicht etwa auf dem Einigungswege, sondern durch vielfach kritisierte Ersatzvornahme des damaligen FDP-Gesundheitsministers Bahr (Elefant im Porzellanladen) auf den Weg gebracht wurde.
Nach so viel Schelte nun meine Systemkritik mit Verbesserungsvorschlägen, die ich Fachleuten und Politikern immer wieder aufzeige, auf die Sie gern eingehen können:
- Das geplante (eindimensionale, Diagnosen zentrierte) Entgeltsystem setzt –trotz Verbesserungen– auch weiterhin falsche Anreize (möglichst kurze VWD, möglichst schwere Diagnosen).
- Das neue Entgeltsystem hat, wie oben beschrieben, einen großen bürokratischen und zudem unsinnigen Aufwand zur Folge (Dokumentation, Prüfaufwand), der vom Kerngeschäft Behandlung fern hält.
- Die originäre Intention des Gesetzgebers/der Krankenkassen zur Reform 2009, Transparenz zu schaffen, wird aus heutiger Sicht nicht erfüllt werden.
- Mit der Fallzusammenfassung erfolgt im Sinne einer Risiko-Umkehr eine Übertragung finanzieller Lasten von der gesetzlichen Krankenversicherung auf den Leistungserbringer für wiederkehrende stationäre Behandlungsbedürftigkeit bei Patienten aufgrund
- psychosozialer Umstände,
- konstitutioneller Faktoren und/oder
- anerkannter Behandlungssettings!
- Bei einer bestehenden Versorgungsverpflichtung (bei uns gem. § 15 NPsychKG) gibt es für ein Krankenhaus kaum Steuerungsmöglichkeiten im Unterschied zu Mitbewerbern ohne eine solche Verpflichtung, die „Rosinenpickerei“ betreiben könnten!
- „Blutige“ Entlassung: in Folge der Regelungen zur Fallzusammenfassung müssen Krankenhäuser zukünftig aus finanziellen Gründen (fehlende Kostendeckung) prüfen, ob Pat. im Folgeaufenthalt bereits frühzeitig entlassen werden müssen, auch wenn aus sozialpsychiatrischer Sicht eine Entlassung noch nicht zwingend erforderlich wäre.
- Warten auf Wiederaufnahme: in Folge der Regelungen zur sog. Fallzusammenfassung müssen Einrichtungen der Eingliederungshilfe zukünftig damit rechnen, dass auch bei psychischen Krisen eine sofortige Wiederaufnahme nicht zwingend möglich sein wird (21-Tage-Regelung), es sei denn, es besteht Versorgungsverpflichtung.
- Der geplante Wegfall der Psych-PV zum Jahre 2019 und die Beauftragung des G-BA, (bisher ergebnislos) Personalstandards zu schaffen kann katastrophale Folgen für psychisch kranke stationär Behandlungsbedürftige haben.
- Hier befürchten wir die Absenkung von Standards, die gewinnorientierte Krankenhausbetreiber nutzen könnten, das kostenintensive Personal abzubauen, um Leistungen billiger zu machen, was kommunale oder gemeinnützige Häuser infolge der Absenkung von Bewertungsrelationen in erhebliche Schwierigkeiten bringen könnte!
- Besser wäre eine (leitliniengerechte) Weiterentwicklung der Psych-PV.
- Die gesamte Diagnosen zentrierte InEK-Systementwicklung setzt auf die ICD-10-GM auf. Ab 2018 wird jedoch die ICD-11 eingeführt, die einen ganz anderen Ansatz als die ICD-10 verfolgt. Fraglich ist, wie sich dies nun, kurz nach einer möglichen verpflichtenden PEPP-Einführung, auswirkt. Man denke nur an die Anwenderprobleme in der Umstellung der ICD-9 zur ICD-10…
- Ein neues Entgeltsystem sollte Sektorengrenzen überwinden können (und nicht diese zementieren):
- innerhalb des SGB V betrifft dies die Sektoren ambulante, teilstationäre und vollstationäre Behandlung (personelle Kontinuität, Home-Treatment).
- darüber hinaus wäre es hilfreich, die Sektoren zwischen SGB V und SGB IX zu überwinden.
- Möglich wäre dies z.B. durch ein sog. „Regionalbudget“.
- Ein Vergütungskompromiss könnte ansonsten über die Kopplung der ausschließlich diagnoseorientierten Gruppierung von Patienten in einige wenige Fallgruppen mit dem vom InEK entwickelten und für die Kostenkalkulation bereits verwendeten „Betreuungsintensitäten-Modell“ erreicht werden. Dies würde z.B. die wenig nützlichen, aber extrem administrationsaufwendigen OPS-Prozeduren, die so viel Widerstand auslösen, m.E. überflüssig machen.
Ich könnte die Aufzählung noch fortführen, beschränke mich jedoch aus Platzgründen auf die o.g. Punkte.
Wir haben ja nun des Öfteren festgestellt, dass wir inhaltlich durchaus ähnliche Überlegungen betreiben (siehe aktuell die Überlegungen zur Sektorengrenzen-Überwindung). Trotzdem möchte ich nun noch einmal Ihrer Polemik begegnen, die ich nicht teilen kann.
Auf Kritik zu meiner Kritik freut sich
mfG,
ck-pku