Hallo Forum,
ich möchte die Diskussion nochmal zusammenfassen. Im §137 (1) SGB V wird von der Selbstverwaltung gefordert, Maßnahmen der Qualitätssicherung zu vereinbaren. Diese Vereinbarungen sollen insbesondere regeln
„3. einen Katalog planbarer Leistungen…, bei denen die Qualität des Behandlungsergebnisses in besonderem Maße von der Menge der erbrachten Leistungen abhängig ist, Mindestmengen für die jeweiligen Leistungen je Arzt oder Krankenhaus ...“
Die Selbstverwaltung ist dieser Aufgabe bislang nicht nachgekommen.
Ich begrüße zwar grundsätzlich die Vorgabe von Mindestmengen bei streng definierten Leistungen, sehe die momentane Diskussion aus verschiedenen nachfolgend genannten Gründen allerdings sehr kritisch.
1. Es besteht die Gefahr, das Wohl des Patienten zugunsten wirtschaftlicher Interessen aus den Augen zu verlieren. Die derzeit diskutierten Indikationen und Leistungsmengen scheinen eher auf die bisher nicht bewiesene Hoffnungsthese ausgerichtet zu sein, „dass durch Zentralisierung und Qualifizierung bestimmter Leistungen die Ausgaben der Krankenkassen gesenkt werden können“ („Nicht bewiesene Hoffnungsthese“, Ernst Bruckenberger, kma 05/2003). Dies zeigt sich deutlich darin, dass seltene und komplexe Eingriffe kaum diskutiert werden, dafür fast ausschließlich Operationen mit hohen Leistungszahlen zur Mindestmengen-Disposition gestellt werden.
2. Das härteste Kriterium für die Einführung von Mindestmengen ist der Outcome-Parameter Letalität. Nur dort, wo ein Zusammenhang zwischen hoher Leistungsmenge eines Krankenhauses und verbesserte Überlebensrate nachweisbar ist, ist das Kriterium erfüllt, kann eine Mindestmengendiskussion beginnen. Die internationale Studienlage ist allerdings dürftig! Ganze 30 akzeptable Studien weisen einen Zusammenhang zwischen Menge und Letalität nach, davon ein Drittel zwischen Leistungsmenge und Arzt und zwei Drittel zwischen Leistungsmenge und Interventionsart. Inwieweit diese internationalen Studien überhaupt auf das deutsche Leistungsgeschehen übertragbar sind, ist nicht geklärt.
3. Nach Ansicht renommierter deutscher Ärzte wie Prof. Bauer aus Altötting, werde ein „Riesenkonfliktpotential“ geschaffen, das eine Lawine von Rechtsstreitigkeiten lostreten werde, wenn es den Verantwortlichen nicht gelänge, den Mindestmengenkatalog wissenschaftlich sauber abzusichern.
4. Laut Prof. Karl Lauterbach ist „weiterhin die Frage nach der Kausalität des Zusammenhanges zwischen Leistungsmenge und Ergebnisqualität“ unzureichend beantwortet (Krankenhaus-Report 2002, Seite 197, Schattauer Verlag, 2003). Auch sagt die Leistungsmenge „nichts über die Angemessenheit der Behandlung aus, d.h. darüber, ob die Behandlung indiziert war oder nicht.“ (ebenda, Seite 196). Die Unterstellung, dass es einen linearen monokausalen Zusammenhang zwischen Operationshäufigkeit und Qualität des Behandlungsergebnisses gibt, ist also mehr als fraglich. Die Realität ist hoch komplex und nicht so einfach, wie es das Fallpauschalengesetz unterstellt.
5. Die Auswirkungen, die eine Mindestmengen-Regelung mit sich bringen, bedrohen durchaus auch das eigentliche Ziel, die Verbesserung der Behandlungsqualität. Die Einschränkung der Berufsausübung des Krankenhaus-Arztes führt eben auch zu einer Einschränkung der Weiterbildungsinhalte. Die Expertise lokaler Ärzte für notwendige Notfalleingriffe könnte reduziert werden, da erforderliche Fähigkeiten für eine Notfallversorgung nicht mehr erworben werden konnten. Die Anfahrtswege für Patienten verlängern sich und damit auch der Zugang zu einer adäquaten postoperativen Versorgung. Ob der in den Mindestmengen induzierte Machtzuwachs der Krankenkassen für die Versorgungsqualität förderlich ist, ist ebenfalls zu hinterfragen. Und schließlich, wie macht man Patienten klar, dass Landesbehörden aus krankenhausplanerischen Gründen Leistungen aus dem Katalog bestimmen können, bei denen die Mindestmengen nicht angewendet werden, sozusagen als ein „Sicherstellungszuschlag für unqualifizierte Leistungen“.
6. Doch die eigentliche Brisanz der vorgegebenen Mindestmengenregelung liegt in der Verrechtlichung und der zunehmenden Komplexität des Gesamtsystems. Der bürokratische Aufwand wird nochmals enorm zunehmen.
Ich stelle mir die Frage, ob man statt einer Mindestmengenregelung die Steuerung der Qualität nicht dem Markt und dem Nachfrageverhalten der Patienten überlassen sollte. Dies wäre sicherlich weniger bürokratisch und vor allem im Interesse der Beitrags- und Steuerzahler weniger aufwändig. Die Basis für einen funktionierenden Qualitätswettbewerb ist Transparenz und genau die wird mit einem (im Detail noch festzulegenden) Qualitätsbericht ab 2005 gewährleistet. Insgesamt würde der Verzicht auf eine Mindestmengenregelung (auch aufgrund der noch unzureichenden Studienlage) einen weiteren Schritt zu mehr Wettbewerb im Gesundheitswesen bedeuten, der ja eigentlich von allen Akteuren begrüßt wird.
Grüße
Dr. med Stefan Simmel