Vorbemerkung:
Die präemptive Einsortierung von zur eigenen Auffassung konträren Äußerungen als „Shitstorm“ folgt dem gleichen Argumentationsmuster eines im Grunde repressiven Diskussionsstils wie beispielsweise dem des 1. Senats des BSG – sei es mit oder ohne Smiley und unabhängig von nachträglichen Relativierungsbemühungen.
Zur Sache:
Vom damaligen Generalsekretär der CDU, Heiner Geißler, stammt der Satz: „Politische Entwicklungen oder Revolutionen werden heute nicht mehr dadurch in Gang gesetzt, dass man Bahnhöfe oder Telegrafenämter besetzt, sondern dadurch, dass man Begriffe besetzt.“ Dieses „Besetzen von Begriffen“ definiert der Bereich Germanistik der Universität Magdeburg als „lexikalisch-semantische Strategie zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung. Eine „Besetzung der Begriffe“ sei eine „Revolution neuer Art“, eine „Revolution der Gesellschaft durch die Sprache“ (Biedenkopf 1982, 191). Eine solche über Schlagwörter v.a. medial propagierte Parteipolitik folgt der Ansicht, dass in pluralistischen Demokratien moderne Kämpfe um die politische Macht zu einem guten Teil über die Sprache ausgetragen werden, sodass derjenige, dem es gelingt, die gesellschaftlich akzeptierten Bedeutungen der umkämpften Wörter zu bestimmen und deren Interpretationen zu beherrschen, auch die öffentliche Meinung und die Handlungen der politischen Gegner beeinflussen kann (Strauß/Haß/Harras 1989, 34).“
Und genau das findet hier statt. Im allgemeinen (und professionsbezogenen) Sprachgebrauch seit Jahrzehnten völlig klaren, eindeutigen, unmissverständlichen und unstrittigen Begriffen wie Transport, Transportbeginn, (Transport-)Entfernung, Transportdauer usw. wird plötzlich Unschärfe, Unbestimmtheit, fehlende Konkretheit usw. in Bezug auf ihre Verwendung in der Krankenhausversorgung angedichtet und das mit dem Patientenwohl (wer könnte da was dagegen haben?) und der korrekten Abrechnung von Krankenhausleistungen (wer hätte denn kein Interesse an sachlich-rechnerisch korrekten Rechnungen?) begründet. Daraus ergibt sich dann die Einsicht in die Notwendigkeit, dass da Klarheit geschaffen werden muss, und schon tritt die selbst ernannte und über allen irdischen stehende höchste Instanz auf den Plan und schafft die Klarheit und einzige Wahrheit, an der es vermeintlich bisher gefehlt hat.
Entfernung definiert der Duden als den Abstand zwischen zwei Punkten. Transportentfernung ist demzufolge der (räumliche oder/und zeitliche) Abstand zwischen Ausgangs- und Endpunkt des Patiententransports.
Transport ist definiert als die Ortsveränderung von Gütern oder Personen, also die Überbrückung von Räumen mit Hilfe von Transportmitteln (vgl. Gabler Wirtschaftslexikon). Oxford Dictionaries bezeichnet das Transportieren als „take or carry (people or goods) from one place to another by means of a vehicle, aircraft, or ship.”
Last but not least ist z. B. der Transportbeginn und die Transportdauer bzw. die Transportzeit im Rettungs- bzw. Krankentransportwesen eindeutig (!) definiert (vgl. z. B. Hellmich C [2010].Qualitätsmanagement und Zertifizierung im Rettungsdienst. München. Springer; DIN 13050:2015-4. Begriffe im Rettungswesen; Hinkelbein J et al. Zeitpunkte und Zeitabschnitte zur Beschreibung der Struktur- und Prozessqualität im organisatorischen Rettungsablauf. Der Notarzt 2004. 20: 1-8): Danach ist der Transportbeginn „der Zeitpunkt, zu dem sich das Rettungsfahrzeug mit dem Patienten das erste Mal Richtung Ziel in Bewegung setzt“. Und die Transportzeit ist das „Zeitintervall zwischen den Zeitpunkten ‚Transportbeginn‘ und ‚Ankunft am Zielort‘“.
Der 1. Senat BSG unter Vorsitz von Herrn Prof. Dr. Hauck tut hier also nichts anderes als Begriffe zu besetzen, um mittels Deutungshoheit Normen zu verschieben. Stellt sich die Frage, welche Intention dahinter steckt. Wenn man davon ausgeht, daß Vorgehen und Inhalt weder Barolo-bedingt noch durch Unterzuckerung des Blutes wie weiland bei Old Schwurhand zustande gekommen ist, dann geht es ja ganz offensichtlich darum, im Interesse von Krankenversicherungen Gesundheitsausgaben deutlich nach unten zu korrigieren. Da es sich – wie wir jüngst vom gleichen Autor erfahren haben – bei den GKVen um letztlich staatstragende und somit systemrelevante Institutionen handelt, ist das alles nach dem höchstrichterlichen Selbstverständnis, wenn schon nicht göttlich, so doch wenigstens grundgesetzlich legitimiert. Ziel ist dabei sicher nicht, die flächendeckende Versorgung mit Schlaganfallzentren zu liquidieren. Schließlich dürften die betroffenen Kliniken alle auch einen entsprechenden Versorgungsauftrag haben. Nein, die Versorgung von Schlaganfallpatienten soll weiter sichergestellt sein, nur kosten darf es nichts mehr, und das erreicht man durch den Wegfall der Abrechnungsvoraussetzungen.
Wer jetzt – sei es aus Hauck-Hörigkeit, aus Naivität, aus dem Glauben an das Gute im Menschen (und insbesondere derer beim 1. Senat) oder aus Nützlichkeitserwägungen – hierfür Verständnis aufbringt, derartiges verteidigt oder gar Beifall klatscht, der ist der Mission wohl auf den Leim gegangen oder vertritt halt – verständlicherweise – Interessen derer, die davon einen Nutzen haben. Die Argumentation, dieses Urteil diene eben der Bestrafung derer, die „aus privaten finanziellen Interessen die Spielregeln zu sehr zu ihren Gunsten ausdehnen“ wollten, wodurch bedauerlicherweise halt auch einige der Guten in Mitleidenschaft gezogen werden, zielt auf Verständnis der Regenwürmer für die Amsel und ist doch nichts als Heuchelei. Sie folgt dem gleichen Muster wie bei der Rechtfertigung von „Kollateralschäden“ bei Luftangriffen oder den Begründungen für Vorratsdatenspeicherung, flächendeckender Videoüberwachung, Vorbeugehaft usw. Ginge es darum, ein paar Bösewichten das Handwerk zu legen, wäre dies ohne ein solches Urteil jederzeit z. B. über MDK- oder Qualitätsprüfungen und notfalls das Strafrecht möglich. Um einen morschen Baum zu fällen, bräuchte man nicht den Wald abzuholzen!