Hallo NG, sehr geehrter Herr Selter,
Sie schrieben:
"... die erlaubte Reduzierung auf das Wesentliche (ich zitiere aus unbekannter Quelle): Man wird in Zukunft an seinen Daten, nicht an seinen Taten gemessen! (herzlichen Glückwunsch an dieser Stelle an den Verantwortlichen dieser Redewendung, mein Neid ist Ihnen sicher!)"
Das glaube ich erst, wenn es ein zu Beginn der Abrechnungsrunde festgelegtes gleiches Geld für gleiche Daten (oder doch besser Taten?) gibt.
"Sie haben also auch den Ausführungen von Don Hindle gelauscht!"
Gelauscht nicht, aber bei irgendeiner Krankenhausgesellschaft auf der Webseite gelesen, für mich hervorragende Denkanstöße. Ist der Don Hindle irgendwie nicht okay oder was meinen Sie mit Ihrer Bemerkung?
"Der MDK wird sich bestimmt gerne dieser Aufgabe bei uns widmen. In Zukunft wird er sich auch nicht mehr mit uns streiten, warum der einzelne Patient bei uns so lange gelegen hat, sondern er wird uns fragen warum er so kurz gelegen hat und uns das DRG kürzen."
Gleiches Geld für gleiche Daten? Oder nicht? Oder doch? Oder was denn nun?? Könnte man das vielleicht mal vorher festlegen, bevor man sich die Arbeit mit der Datenübermittlung macht??
"Außerdem steigen die Ausgaben der Kassen ihren eigenen Verwaltungsapparat zu erhalten und auszubauen stetig! Dafür brauchen wir nicht erst auf die DRGs zu warten."
Unnötige Bürokratie, davon wird keiner gesund (Zitat aus unbekannter Quelle). Man sollte >Synergieeffekte nutzen< 
"Übrigens habe ich mich schon vor langer Zeit mit der amerikanischen Struktur auseinandergesetzt und kenne deswegen auch schon seitdem die Kritik an der peer review organisation (Kosten, Qualifikation der Prüfer,...). "Müssen wir denn alle Fehler nachmachen??" Auch hier höre ich wieder D. Hindle: " Do not repeat our mistakes!" Auf der anderen Seite sagte er aber auch, dass die Australier froh sind uns bei der Einführung über die Schulter schauen zu können, um selber zu lernen. Tun wir Ihnen doch den Gefallen."
Hier prallen die angelsächsische und die germanisch-preußische Mentalität unbarmherzig aufeinander. Was halten Sie von D. Hindle`s Äußerungen?
"Die Allgemeinen und Speziellen Kodierrichtlinien, unabhängig von Ihrer persönlichen Einstellung und Wertung, werden Verordnungscharakter haben. Da kann man drüber denken wie man will. Ich finde dort auch lachhafte Erklärungen, besonders in dem `Versuch`einer Erklärung, warum gewisse Prozeduren nicht verschlüsselt werden können/sollen. Ich rate Ihnen also trotzdem, doch Ihre Kollegen damit zu `belästigen`!"
Entweder, die Kodierregeln geben medizinisch einen Sinn, dann lernt man sie im Prinzip schon im Studium bzw. durch die tägliche Praxis und dann werden sie auch *automatisch* beachtet, oder sie sind das Papier nicht wert, auf das sie gedruckt werden, Verordnungscharakter hin oder her. Wenn Sie mir das nicht glauben wollen, bitte ich Sie mal bei Gelegenheit, mir einige der zur Zeit für Sie als Arzt geltenden Verordnungen aufzusagen, aber bitte ohne Fehler und auswendig.
Und wenn die Ärzte sich hier ihre Sachkompetenz durch Verwaltungsbeamte oder -angestellte streitig machen lassen, dann geschieht es ihnen Recht. Apropos Don Hindle: >Der Arzt ist näher an der klinischen Realität< und >Krankenversicherungen versuchen vergeblich, medizinische Probleme mit Verwaltungsvorschriften zu lösen<. Und darin sind wir uns hoffentlich einig: ohne die Mitarbeit der Ärzte geht bei DRGs gar nichts, (zum Leidwesen der Krankenkassen.)
(...) "der Grund auf Verzicht dieser Lektüre" (... der Kodierregeln...) "liegt meist nicht im Bereich des auflehnenden Aktionismus, sondern im Bereich Keine-Lust-drauf-Bin-Arzt-Hab-Anderes-Zu-Tun-Bin-Auch-Schon-Weg. Ich mache da überhaupt Niemandem einen Vorwurf, diese Einstellung hatte ich früher auch. Mir war es verhältnismäßig Wurscht, ob da jede Leistung oder Diagnose mit dem richtigen Kode verschlüsselt war. Ich hatte unter Umständen seit 33 Stunden nicht mehr geschlafen und gab mich mit den Schlüsseln zufrieden, die am schnellsten im System erschienen und akzeptabel waren (d.h. aber nicht eine genaue Beschreibung). Damals war das auch gar nicht so dramatisch, für die Abrechnung hatte es in 99% der Fälle eh keinen Unterschied gemacht, in Zukunft läuft das halt anders. Und das Verlangen nach Datenqualität ist mit meiner Position selbstverständlich dramatisch angestiegen. So ändern sich die Perspektiven...."
Über die besonderen Arbeitszeitbedingungen erzählen Sie mir, wie Sie sich denken können, keine Geheimnisse. Bemerkenswert finde ich in diesem Zusammenhang, wie der Ärztetag und der mb gerade die Einführung der DRGs instrumentalisieren, um ihre selbstverschuldeten Sünden der Prä-DRG-Ära zu beichten. Und die DKG erdreistet sich noch, auf ihrer Webseite in einem Brandbrief ans BMG "die bewährten Arbeitszeitregelungen an deutschen Krankenhäusern" zu verteidigen.
Vielleicht sollte man aber tatsächlich von diesen 33 Stunden Abstand nehmen, denn da hilft auch kein clinical coder weiter. Damit dieser einer geregelten 37,5 Std.-Woche nachgehen kann, soll dann der Assistent nach deswegen (Stellenplankürzung zugunsten des coders) dann 34 Std. Arbeitszeit eine gute medizinische Dokumentation abliefern, da er sonst zusammen mit dem clinical coder noch die 35. und 36. Std. "nachsitzen" muss, um die Dokumentationsversäumnisse des Nachtdienstes auszubessern, schließlich gilt §301 und eine Übermittlungsfrist von 48 h für die Aufnahme- und die Entlassanzeige.
Jetzt mal auszugsweise, sonst wird es endlos:
"Dokumentation bedeutet auch Ihrem Verständnis nach Verschlüsselung nach ICD/OPS, oder nicht?"
Jein, eigentlich interessiert mich mehr die Möglichkeit, mich als Arzt standardisiert so ausdrücken zu können, dass ich alle behandlungsrelevanten Zustände und Vorgänge unmißverständlich aufzeichnen kann. Dieses unabhängig von jeder Abrechnungsoptimierung, aber so, dass es meiner Art, Medizin zu machen, entspricht. Wenn ich "einfache" Medizin mache, will ich mich "einfach" ausdrücken, wenn ich "spezialisierte" Medizin mache, möchte ich mich "spezialisiert" ausdrücken, mache ich "alternative" Medizin, möchte ich mich "alternativ" ausdrücken können. Um dies zu erreichen, müsste der ICD ein wenig, der OPS ein wenig mehr erweitert werden. Es dürfte sogar Redundanz hereinkommen. Ich verstehe nicht, was mir die Kodierregeln vorschreiben sollen.
Das ganze System ist ja lebendig, es lebt mit denen, die Medizin machen. Es verändert sich laufend, ich brauche also eine Anpassung der Schlüssel, so wie sich das Telefonbuch ändert oder der Fahrplan, so ändern sich die Einzelheiten, die ich dokumentiere. Und weil das niemand voraussehen kann, halte ich Einzelregeln eigentlich für überflüssig, es sei denn einerseits als Anleitung für Nichtärzte oder wenn für Ärzte, dann nur aus ganz wenigen Grundregeln bestehend, die da lauten: Dokumentiere alles, was deiner Meinung nach (wer sollte es sonst entscheiden, wenn nicht der Arzt) *relevant* für Diagnostik, Therapie oder Pflege ist. Ich bin davon überzeugt, dass der Arzt hierdurch automatisch neben der medizinischen auch die wirtschaftliche Relevanz abdecken wird.
"Sie kennen doch die FAQ`s von DIMDI. Ich würde dann gerne die Reaktion der Ärzte in Deutschland sehen, wenn da stehen würde: Wir müssen Ihnen doch nicht erklären, was sie dokumentieren müssen!!"
Ich kenne die FAQ`s und ich finde sie oft sehr amüsant. Und ich meine tatsächlich, dass jeder Arzt selber wissen sollte, was er zur Charakterisierung seines individuellen Patienten zu dokumentieren hat. Sonst sollte er lieber noch ein paar Semester länger studieren. Anders ist es, wenn er zwar genau weiß, was er diagnostiziert und getan hat und er dies auch "in Klarschrift" aufgezeichnet hat, aber kein passender Code vorhanden ist. Dann haben wir genau den Fall vorliegen, in dem der Arzt dem DIMDI zu sagen hat, das hier eine Ziffer fehlt, und nicht das DIMDI dem Arzt irgendeine nicht exakt definierte Hilfskonstruktion anbietet. Ich glaube, so habe ich mich in meinen Beiträgen in der DIMDI-NG mehrfach geäußert. Das Auffinden eines vorhandenen Schlüssels sollte allerdings über eine jedem Arzt zugängliche Software ermöglicht werden.
"Wie bitte wollen Sie dem Grouper welche Regeln mitteilen??"
Die Regeln, nach denen der Grouper arbeitet, sind im Definitions Manual festgelegt, sie sind eine Abfolge von Ja/Nein-Entscheidungen, ein Algorithmus, ein Computerprogramm. Es besteht durchaus eine Wechselwirkung zwischen Kodierregeln und Grouper, führend ist aber zwangsläufig der Grouper. Hier steckt viel medizinisches, statistisches und kalkulatorisches Wissen drin aber letztlich ist er ein "Blechtrottel".
"Nur der Arzt kann z.B. korrekt eine Hauptdiagnose festlegen, relevante von nicht relevanten Nebendiagnosen unterscheiden (gemeint sind hier die relevanten ND im Sinne der Kodierrichtlinien, nicht nach CCL). Die Auswertungen sind systemimmanent."
Das der Arzt die Hauptdiagnose festlegt, ist für mich kein Streitpunkt.
Ich behaupte, dass man einerseits durch Anpassungen am ICD-Schlüssel manche Kodierrichtlinie ersetzen kann (z. B. mehr eigene Schlüsselnummern für nicht relevante anamnestische Angaben oder erneutes Zulassen eines >Z<ustand nach) bzw. dass andererseits der Grouper durch entsprechende Abfragen durchaus in der Lage ist, auch aus umfangreichen Rohdaten die wesentlichen Informationen herauszufiltern, er also relativ fehlertolerant ist.
"Was aber ganz bestimmt erforderlich ist, ist die stetige Kontrolle der Datenqualität. Diese Strukturen gilt es zu etablieren, natürlich immer in Zusammenarbeit mit den Datenlieferanten, den Ärzten. Wir beteiligen aber auch die Pflege bei der Datenerhebung mittels ihnen zugeordneten pflegerelevanten Diagnosen (die Eingabe wird trotzdem von den Ärzten durchgeführt). Diese Verfahren wird von allen akzeptiert."
Ich bin der Meinung, dass es eine gute Sache wäre, jedem Arzt eine Echtzeitkontrolle über das jeweilige Groupingergebnis zur Verfügung zu stellen, integriert in die EPA, dann wird es mit der Datenqualität keine Probleme geben.
"Dann verstehe ich nicht Ihre Position in der von Ihnen erwähnten Form. Sie sagten, dass Sie den Auftrag der Geschäftsführung zur Verbesserung der Datenqualität im Rahmen der DRG-Einführung erhalten haben. Wenn also bei Ihnen nicht mehr und nicht weniger als schon immer dokumentiert wird, ist Ihr Auftrag erfüllt oder zumindest frustran... "
Das hat mir zu denken gegeben. Aber eigentlich halte ich unsere Datenqualität gar nicht für so schlecht. Dadurch, dass wir unsere EDV ausgebaut haben, steigen auch die Chancen, von der Papierakte wegzukommen. Mit Ihrem Schlusswort bin ich im Großen und Ganzen zufrieden. Die speziellen Kodierrichtlinien müssen wir ja sowieso noch abwarten, vielleicht decken sie sich ja sogar mit dem gesunden Menschenverstand.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. Bernhard Scholz