THEMA: WAHLEN UNGARN 2014

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(c) Pester Lloyd / 04 - 2014 WIRTSCHAFT 22.01.2014

 

Multiples Versagen

Notspritzen für chronisch unterfinanziertes Gesundheitswesen in Ungarn

18,2 Milliarden Forint, rund 60 Mio. EUR will der Staatshaushalt 2014 "zusätzlich" dem Gesundheitswesen zukommen lassen. Dabei handelt es sich jedoch nur um eine Reduzierung der letztjährigen Einsparungen, die man gleichzeitig mit der Verstaatlichung fast aller Krankenhäuser vor zwei Jahren eingeleitet hat und die zu enormen Problemen bei der Patientenversorgung führten. Auch die Ärzteabwanderung ist nicht zu stoppen.

Von den "zusätzlichen" Mitteln sollen 1,6 Mrd. HUF in die ambulante Pflege fließen, womit man dem Hausarzt-Exodus entgegenwirken will, 770 Mio. HUF gehen in die Ausweitung der Computertomographie für Krebspatienten, was in etwa zwei weiteren CT-Geräten samt Personal entspricht, weitere 790 Mio. HUF sollen investiert werden, um die ellenlangen Wartelisten für "nicht lebensnotwendige Operationen", also z.B. Hüft- und Kniegelenke, abzuarbeiten, die teilweise zu Wartezeiten von mehr als zwei Jahren führen.

Der zuständie Super-Minister Balog meinte bei der Präsentation der Zahlen, dass damit rund 1.300 Patienten ein neues Knie- oder Hüftgelenk erhalten könnten, "grundsätzlich jene, die am längsten auf der Warteliste stehen"... Die Listen sollen insgesamt 10% kürzer werden, "vorausgesetzt, die vorliegenden Listen spiegeln wirklich den aktuellen Stand." Das glaubt das Gesundheitsministerium den Krankenhäusern nämlich nicht, ein Staatssekretär bezeichnete die Wartelisten als "puren, politisch motivierten Alarmismus"...

1 Mrd.Forint (3,3 Mio. EUR) soll in diesem Jahr mehr der Notfallmedizin zur Verfügung stehen, weitere 2,4 Mrd. Forint in die Einführung "neuer Behandlungsmethoden" investiert werden. Der größte Betrag, rund 9 Mrd. Forint geht in die nicht näher spezifizierte "Effizienzsteigerung" der Krankenhäuser. Es ist davon auszugehen, dass es sich hierbei in erster Linie um die Bezahlung offener Rechnungen handelt, denn die Schulden der Krankenhäuser sind in den letzten drei Jahren so massiv angestiegen, dass viele Zulieferer nur noch gegen Bargeld oder Vorabüberweisung liefern. Mehrmals musste der Staat im abgelaufenen Jahr mit Last-Minute-Interventionen die Zahlungs- und damit Arbeitsunfähigkeit von Krankenhäusern unter seiner Verantwortung abwenden.
Mehr zu den Schulden der Krankenhäuser.

Kleinere Summen fließen in Sonderprojekte, so gehen 134 Mio. HUF in ein Darmkrebsvorsorgeprogramm, 65 Mio. HUF werden für die frühkindliche Gesundheitsbetreuung bereit gestellt, für Pflege- und Behindertenbetreuung gibt es ein Mehrbudget von 300 Mio. HUF (1 Mio. EUR) gegenüber dem Vorjahr.

Minister Balog behauptet weiter, dass es ihm 2013 aufgrund von Stipendien- und anderen Programmen gelungen sei "1.600 Ärzte" im Lande zu halten. 600 Medizinstudenten erhalten monatlich 100.000 Forint (330.- EUR) Stipendium, verpflichten sich damit aber, für die Länge der Stipendiumslaufzeit später im Lande zu arbeiten. Krankenhausärzte
erhielten 2013 nochmals höhere Löhne, denn "es sei viel leichter hiesige Ärzte im Lande zu halten, als einmal Weggezogene wieder zurückzuholen", referierte ein Staatssekretär an der Seite Balogs.

 

Während die regierungsnahe Ärztekammer schweigt, weisen Vertreter des Krankenhausverbandes sowie medizinische Kapazitäten die Lobeshymnen zurück. Die Situation in den Spitälern sei so prekär wie eh und je, die Abwanderung nach wie vor sehr hoch, vor allem die Besten suchten immer noch das Weite, wozu die massiven Einsparungen und das administrative Chaos seit den Verstaatlichungen wesentlich beitrügen. Ein höheres Gehalt nutze wenig, wenn es 1. immer noch zu gering sei und 2. sich die Arbeitsbedingungen (Überstunden, Nachtarbeit, Einsatzorte, Patientenzahlen, Mitarbeiterpool, Materialausstattung) immer weiter verschlechterten. Ca. 6.000 Mediziner fehlen dem Land, jeden Tag kehrten ihm 2-3 den Rücken.

Die Zahl der Niederlassungsbewilligungen ist 2013 gegenüber 2012 nochmals um 14% gesunken, Ärzteorganisationen sprechen mittlerweile von "enormen Engpässen" bei der Versorgung auf dem Lande, vor allem im Osten Ungarns. Fachorganisationen fordern nach wie vor vergeblich eine wirkliche Strukturreform und eine "nationale Anstrengung", um das Gesundheitswesen des Landes nachhaltig auf Vordermann zu bringen.

red.

Ein moralischer Tiefpunkt der Entwicklung war im Vorjahr die Deckelung von Krebstherapien, verbunden mit der Aufforderung an die Ärzte, nur solche Patienten für Therapien zu selektieren, bei denen diese "sinnvoll" erscheinen.
 

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