Die Geschäftsführerin des Klinikverbunds Südwest, Elke Frank, und der Sprecher der Ärztlichen Direktoren, Hans-Georg Leser, skizzieren, wie die stationäre Gesundheitsversorgung im Landkreis in zehn Jahren aussehen könnte.

Leonberg – - Bei der momentanen Diskussion um die Zukunft der Krankenhäuser im Kreis haben vor allem die Kommunalpolitiker das Wort. Doch was bedeutet ein Umbau der Klinikstrukturen aus medizinischer Sicht und für die Patienten? Dazu geben Hans-Georg Leser, der Sprecher der Chefärzte im Klinikverbund, und die Geschäftsführerin Elke Frank Auskunft.
Frau Frank, als wir vor knapp zwei Jahren hier saßen, kurz nach Ihrer Wahl zur Geschäftsführerin, war das Zimmer ein Meer aus Blumen. Und sie schwammen auf einer Euphoriewelle. Wo befinden Sie sich im Moment? Eher am Grund des Ozeans, kurz vor dem Ertrinken?
Frank Nein, ich bin nach wie vor mit meiner Überzeugung und meiner Euphorie am Start. Was mir allerdings das Leben schwer macht, ist, dass momentan zwei Ebenen vermischt werden: Es gibt die kommunalpolitische Ebene und die medizinisch-wirtschaftliche Ebene – bei beiden geht es um das zukünftige Medizinkonzept. Wie das Thema im Moment diskutiert wird, da fällt es mir schwer, die Füße still zu halten. Der Status quo ist, dass die Gutachter ein Konzept vorgestellt haben; dazu haben sie 72 000 Datensätze verarbeitet. Ich habe bereits im vergangenen Jahr bei einer Klausurtagung mit den Kommunalpolitikern und den Chefärzten gesagt: Wenn das Gutachten vorliegt, müssen wir es übersetzen, also erklären, was das für den Verbund und unsere Kliniken bedeutet. Und für diese Übersetzungsphase brauchen wir Zeit bis mindestens April 2014. Erst dann kann ein Beschluss des Kreistags und des Aufsichtsrats kommen und erst danach werden wir mit der Umsetzung beginnen. Bei der momentanen Diskussion habe ich allerdings den Eindruck, als wären wir bereits in der Umsetzung.
Wie meinen Sie das?
Frank Nun, wir bekommen Anrufe wie: Kann ich noch ins Leonberger Krankenhaus, oder ist das schon zu? Dabei ist eine Schließung des Hauses überhaupt nicht angedacht. Das sieht auch das Konzept nicht vor. Es gibt lediglich den Vorschlag der Gutachter, die Krankenhäuser neu zu strukturieren – darüber diskutieren wir gerade.
Leser Man hat bei der Diskussion den Eindruck, das Medizinkonzept ist die Bibel. Es ist aber lediglich eine Diskussionsgrundlage.
Vielleicht können Sie auch uns die grobe Linie des Medizinkonzepts übersetzen. Wie soll der Klinikverbund in zehn Jahren aussehen?
Frank Es wird an allen Standorten eine medizinische Versorgung geben. Die Häuser in Böblingen und Sindelfingen sind dann unter einem Dach als Zentralklinikum des Verbundes. Und die Häuser Herrenberg, Leonberg, Calw und Nagold sind Häuser der wohnortnahen, stationären Versorgung mit Hochleistungsmedizin: Es wird dort natürlich eine Innere Medizin geben, eine Chirurgie, eine Frauenheilkunde. Und nichts anderes haben wir dort zurzeit auch.
Aber schwere Fälle sollen nur am Zentralklinikum behandelt werden?
Frank Nehmen wird das Beispiel aus der Geburtshilfe – hier besteht heute schon die Kooperation. Eine Risikoschwangere aus Herrenberg geht zu den Untersuchungen ins Herrenberger Krankenhaus. Dort überweist man sie nach Böblingen – weil wir hier ein Zentrum für Risikoschwangere und eine Kinderklinik haben und deshalb dort die Frau am besten behandelt werden kann. Die Nachsorge kann dann aber wieder in Herrenberg stattfinden. Umgekehrt können wir auch einer gesunden jungen Schwangeren aus Böblingen den von Hebammen geführten Kreissaal in Herrenberg empfehlen.
Was ist mit den Chefärzten?
Frank Ich weiß nicht, warum dieses Thema so stilisiert wird. Ein chefarztfreies Krankenhaus war nie geplant – weder von uns noch von den Gutachtern. Aber es geht nicht um Chefärzte, sondern um die Leistungen, die wir unseren Patienten im Verbund anbieten können.
Gerade aus Leonberg kommt von einigen Medizinern aber der Vorwurf: Wir brauchen Chefärzte, die Patienten anziehen.
Leser Wir diskutieren im Detail zu sehr den Begriff des Chefarztes. Wir brauchen an jedem Standort einen Verantwortlichen, der autark arbeiten kann – egal auf welcher Hierarchiestufe er steht. Es kann nicht so sein, wie sich das der Laie vielleicht vorstellt, dass man in ein Krankenhaus geht und der dortige Arzt erst in Böblingen beim Chefarzt anrufen muss, um zu wissen, wie der den Patienten behandelt. So etwas kann nicht funktionieren. Im Übrigen ist die Medizin heute so spezialisiert, dass ein Chefarzt gar nicht mehr alles machen kann. Was wir brauchen, sind Spezialisten im Verbund.
Aber die Chefärzte sollen alle auf dem Flugfeld sitzen?
Frank Das ist kein Automatismus. Ein Beispiel: Wir suchen momentan einen Chefarzt für die Radiologie in Böblingen. Nun haben wir in Leonberg einen ausgezeichneten und überlegen, ob er nicht eine standortübergreifende Chefarztstelle annehmen möchte: für ein Radiologiezentrum Leonberg-Böblingen. Das wäre eine Option, die im Aufsichtsrat noch diskutiert und entschieden werden muss.
Wo hätte der seinen Sitz?
Frank Er hätte vermutlich sein Büro in Leonberg, eine Außenstelle in Böblingen.
Leser Die Frage, wo ein Chefarzt sein Büro hat, ist aber eigentlich unerheblich. Es geht um das medizinische Angebot im Verbund, nicht an einzelnen Häusern. Unser Ziel ist: wenn ein Patient zu uns kommt, egal in welches Haus, ist da ein Arzt, der eine Erstuntersuchung macht. Er schaut, was dem Patienten fehlt und in welche Richtung die Behandlung gehen soll. Ein Beispiel: Lungenentzündung eines älteren Patienten. Da ist ganz klar: einen solchen Patienten fahre ich nicht in der Gegend herum, sondern er wird selbstverständlich vor Ort behandelt – an jedem Standort. Wir werden auch weiterhin an jedem Standort eine Endoskopie haben, wenn jemand mit Magenblutungen kommt. Aber ob wir deshalb dann dort dafür auch einen Chefarzt brauchen, das ist eine andere Frage.
Aber viele Mediziner sagen, jedes Krankenhaus braucht einen Leuchtturm, damit die Patienten kommen. Nun will man Leonberg seinen Leuchtturm, die Gefäßchirurgie, wegnehmen.
Frank Die Gefäßchirurgie jetzt zu schließen, das wäre ein riesiger Fehler. Aber wir werden uns sehr wohl überlegen, was wir machen, wenn der Neubau auf den Flugfeld steht. Wie wollen wir dann die Gefäßchirurgie organisieren? Aber das wird frühestens 2020 der Fall sein.
Leser Das mit den Leuchttürmen, das ist Unsinn. Wir brauchen nicht einzelne Chefärzte als Leuchttürme, sondern was zählt, ist das Team. Und es kommt nicht darauf an, an welcher Klinik welche Abteilung angesiedelt ist, sondern auf das Gesamtangebot des Klinikverbunds. Was aber auf jeden Fall klar ist: Die Zeiten, in denen man in jedem Krankenhaus alles angeboten hat, die sind definitiv vorbei. Und das hat nicht nur ökonomische Gründe, sondern auch medizinische. Heute hat sich alles sehr spezialisiert, Generalisten gibt es nicht mehr.
Frank Und wir werden von der Gesundheitspolitik zu solchen Diskussionen gezwungen. Es gibt rigide Vorgaben für unsere Arbeit. Wir haben von den Kassen klare Mengenvorgaben. Und wir müssen das alles stemmen. Wir haben 2013 ein Defizit von 25 Millionen Euro, wenn man die Investitionen abzieh, sind es immer noch elf Millionen.
Sie hatten vor zwei Jahren versprochen, 2013 eine schwarze Null zu schreiben. Was ist schief gelaufen?
Frank Nein, für 2015 war die schwarze Null avisiert. Das werden wir nicht ganz schaffen, aber sicher 2016.
Die Esslinger Klinken haben es bereits geschafft. Was machen die besser?
Frank Die haben das getan, woran wir gerade sind: zu optimieren, Strukturen abzubauen. So ist es uns immerhin gelungen, das ursprünglich prognostizierte Betriebsergebnis um sechs Millionen zu verbessern. Der Umbau geht weiter. Das Medizinkonzept wird ein weiterer Baustein sein, das Defizit langfristig zu verringern und gleichzeitig eine wohnortnahe, stationäre Patientenversorgung anzubieten.