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Teures Gesundheitssystem Was Deutschland von Kenia lernen kann

Das deutsche Gesundheitssystem gilt als eines der besten der Welt - und als teuer, bürokratisch und unfair. Um die Vorsorge weiterzuentwickeln, lohnt ein Blick ins Ausland. Sogar Entwicklungsländer wie Kenia taugen laut Experten als Vorbild.
Klinik in Nairobi: Immer mehr Kenianer sichern sich für kleine Beträge ab

Klinik in Nairobi: Immer mehr Kenianer sichern sich für kleine Beträge ab

Foto: Corbis

Hamburg - Zugegeben, der Vergleich der Gesundheitssysteme wirkt auf den ersten Blick absurd. In Kenia liegt die Wirtschaftsleistung pro Einwohner bei knapp tausend Dollar im Jahr. In Deutschland ist es das 40fache. Von 43 Millionen Kenianern sind nur 600.000 krankenversichert. Die staatliche Gesundheitsversorgung in dem ostafrikanischen Land ist desaströs. Und dennoch: Der kenianische Gesundheitsmarkt, so rudimentär er auch ist, bietet Entwicklungen, die aus deutscher Sicht durchaus Vorbildcharakter haben.

Aus der Not heraus hat sich in Kenia ein dritter Weg bei der Krankheitsvorsorge herausgebildet. Noch überwiegt zwar das Over-the-Counter-Prinzip, sprich die Barzahlung vor der Behandlung. Immer mehr Kenianer sichern ihre Gesundheit jedoch mittlerweile für kleine Beträge selbst ab. Für maximal 30 Dollar im Monat schließen sie Verträge mit Firmen wie Jubilee Care, Avenue und APA Insurance. Deren Geschäft erinnert eher an eine Bank als an eine Versicherung: Die Kunden legen Geld an, und im Notfall wird ihre Behandlung aus dem Angesparten bezahlt. Die Beiträge orientieren sich nicht am gesundheitlichen Risiko, sondern am Betrag, den der Einzelne aufbringen kann.

Aus der Sicht von Europas größter Volkswirtschaft klingt das sehr rückständig. Politiker und Lobbyisten feiern das deutsche Gesundheitssystem gerne als bestes der Welt. Und zweifellos gehört die medizinische Versorgung in der Bundesrepublik auch zum modernsten und professionellsten, was es weltweit gibt. Doch es gibt auch Probleme: Das deutsche System ist teuer, bürokratisch und ungerecht. Die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) funktioniert nur mit Milliardenzuschüssen aus der Staatskasse, das private Gegenmodell (PKV) wird trotz Altersrückstellungen für immer mehr Rentner zur Armutsfalle. Rund ein Viertel des Geldes fließt Experten zufolge in die Verwaltung. Besonders beunruhigend: Hunderttausende können oder wollen sich keine Vorsorge mehr leisten - trotz der Versicherungspflicht, die seit 2009 gilt.

Netzwerke mit eigenen Kliniken und Ärzten

Für Peter Schramm, Versicherungsmathematiker und PKV-Experte, lohnt ein Blick auf andere Länder. Am kenianischen System lobt er das Prinzip der "Micro Insurance" - für geringe monatliche Beiträge erhalten die Kunden eine Grundversorgung, also ambulante und stationäre Akutbehandlung, aber keine aufwendige Vorsorge. "Häufig sind die Firmen als Netzwerke organisiert", sagt Schramm. "Diese Netzwerke betreiben eigene Kliniken und beschäftigen Ärzte." Vergleichbares gebe es auch in den USA. Der Vorteil: Die Kosten lassen sich deutlich reduzieren. Die kenianische Firma Avenue etwa setzt in ihren Kliniken auf ein simples Sparmodell: "Wir geben dem Patienten, was er wirklich braucht. Aber nicht mehr." Im Klartext: Extras wie Essen oder Pflege sind nicht drin. Das übernehmen in Kenia die Angehörigen.

Dieser Punkt ist sicher kein Vorbild für Deutschland, doch was die Netzwerke aus Versicherern, Kliniken und Arztpraxen angeht, sind Entwicklungsländer wie Kenia tatsächlich weiter.

In Deutschland ist das Sparpotential bislang stark begrenzt. Grund sind die Fallpauschalen für Kliniken und die Gebührenordnung für Ärzte. So können Mediziner für Privatpatienten je nach Leistung das 2,3fache bis 3,5fache des GKV-Satzes abrechnen. "Die privaten Krankenversicherer würden die Behandlungspreise gerne drücken, auch durch vereinbarte Behandlungsstandards", sagt Schramm. "Das ist aber durch die gesetzlichen Vorgaben kaum möglich."

Nur in Ausnahmefällen können Gesellschaften Kosten drücken. Ein Beispiel ist der Zahnersatz. Hier gibt es Angebote, bei denen die Patienten sparen können, wenn sie einen bestimmten Arzt aufsuchen, erzählt PKV-Experte Schramm. "Wenn der Kunde dann einen Zahnarzt des Netzwerks aufsucht, bekommt er 90 Prozent seines Heil- und Kostenplans erstattet. Bei einem Mediziner, der keinen Vertrag mit dem Versicherer hat, dagegen nur 80 Prozent." Das Kalkül ist klar: Pro Behandlung wird zwar weniger gezahlt, doch dafür garantiert die Mitgliedschaft im Netzwerk einen steten Zustrom an Patienten. Letztlich ein Mengenrabatt, wie er bei vielen anderen Produkten auch üblich ist. Auch bei einer Kfz-Versicherung bieten viele Gesellschaften Rabatte an, wenn der Kunde nur Werkstätten aufsucht, die Teil des Netzwerks sind.

Dritter Weg über Solidargemeinschaften

Was kaum ein Patient in Deutschland weiß: Auch hierzulande gibt es Solidargemeinschaften von Versicherten, die dem kenianischen Konzept ähneln. So bietet etwa der Verein Samarita die Möglichkeit an, Krankheitskosten außerhalb des dualen Systems von GKV und PKV abzusichern.

Die Solidargemeinschaft ist ein Beispiel für einen dritten Weg im Gesundheitssystem. Die Beiträge richten sich wie in Kenia nach dem Einkommen - und nicht nach dem gesundheitlichen Risiko. Ein 60-Jähriger, der 2000 Euro brutto verdient, zahlt genauso viel wie ein 30-Jähriger. Ab 120 Euro können sich Auszubildende absichern, ab 265 Euro im Monat können Freiberufler, Selbständige und Beamte sich dem Verein anschließen. Bis zu einem Einkommen von 3000 Euro kostet die Mitgliedschaft 420 Euro, ab 5000 Euro Gehalt werden 475 Euro fällig.

Die Leistungen sind nicht im Detail festgeschrieben, entsprechen aber laut dem Samarita-Mitbegründer Urban Vogel einer umfassenden Gesundheitsversorgung. Vogel sagt, der Verein orientiere sich bei Ausgaben immer an der Frage: "Was ist erforderlich?"

Schramm hält den Ausbau von Solidargemeinschaften wie Samarita für durchaus vorstellbar: "Es gibt einen Bedarf von Bürgern, die keine Vollkaskoabsicherung wünschen, sondern für geringere Beiträge ihre Akutversorgung absichern möchten."