"Noch so ein Sieg, und wir sind verloren," sagte der antike König Pyrrhus, als er im süditalienischen Asculum ein römisches Heer geschlagen hatte. Er musste sich aus dem eroberten Gebiet zurückziehen, weil ihm die Ressourcen fehlten, um es zu beherrschen. Einen solchen Pyrrhussieg hat die römisch-katholische Kirche heute vor dem Bundesverfassungsgericht errungen.

Der zweite Senat des Gerichtes gab einem katholischen Krankenhaus recht. Es hatte seinem Chefarzt gekündigt, als der nach dem Scheitern seiner Ehe ein zweites Mal heiratete. Denn nach katholischer Moral ist eine Ehe unauflöslich und eine Wiederheirat Ehebruch, also schwere Sünde. Das ist weltfremd, und andere Kirchen bewerten das anders. Aber wenn die katholische Kirche das so sieht und Beschäftigten wegen Wiederheirat kündigt, dann fällt das unter ihr Selbstbestimmungsrecht, sagte das Bundesverfassungsgericht. Und korrigierte das Bundesarbeitsgericht. Das hatte zugunsten des Arztes entschieden.

Das Urteil bringt die katholische Kirche in Verlegenheit. Denn die Wirklichkeit ist eine andere. In der Wirklichkeit suchen die Kirche und noch mehr die Caritas, ihr Wohlfahrtsverband, händeringend nach Fachkräften, gleich ob Katholiken, Protestanten oder Muslime. Die Kirche muss sich um Mitarbeiter bewerben und nicht umgekehrt. Dabei findet sie nur noch wenige Katholiken, die ihren Moralansprüchen genügen. Manche katholische Krankenhäuser stellen sogar im Zweifelsfall lieber Protestanten ein. Denn von ihnen müssen sie nicht so viel Loyalität verlangen wie von Katholiken. Tatsächlich aber werden diese kaum wegen ihrer zweiten Ehe entlassen.

Katholiken nur auf Schlüsselstellen

Dass katholische Einrichtungen deswegen mitunter auf Muslime und Protestanten setzen, das beschreibt ein internes Papier für katholische Bischöfe, die am kommenden Montag über Lockerungen im Arbeitsrecht und über seine inneren Widersprüche beraten wollen. Längst gilt in der Caritas die Einsicht, dass man nur einige Schlüsselstellen mit Katholiken besetzen muss, um das Profil eines Unternehmens zu sichern. Von den meisten Beschäftigten braucht ein kirchlicher Arbeitgeber nur zu erwarten, dass sie Grundsätze und Ziele ihres Arbeitgebers bejahen. Es schadet seiner Glaubwürdigkeit, wenn er sein Eheverständnis offiziell per Arbeitsvertrag erzwingen will. Dann wirkt katholisches Arbeitsrecht als Einladung zur Heuchelei.

Mit einer Lockerung des Moralkorsetts will die Caritas ihren Platz in der Gesellschaft behaupten. Sie ist neben der evangelischen Diakonie mit knapp einer halben Million Beschäftigten der größte nichtstaatliche Akteur im Sozialwesen. Kirchliche Krankenhäuser sind nicht nur beliebt. Sie nehmen einen wichtigen Platz in der Gesundheitswirtschaft ein. Deshalb trifft die Frage nach katholischen Chefärzten die ganze Gesellschaft.

Machtkampf innerhalb der Kirche

Doch wollen andere, besonders das Bistum Regensburg, keine Lockerung. Das Gegenargument lautet, eine Liberalisierung des Arbeitsrechts lasse ein zweites Korsett gleich mit rutschen. Denn die katholische Kirche kündigt ja Wiederverheirateten offiziell nicht nur den Arbeitsplatz im Krankenhaus, sondern untersagt ihnen auch die Teilnahme an der Eucharistie. Über das zweite Thema hat gerade in Rom eine Bischofssynode debattiert. Mit Tendenz zur Öffnung.

Konservative fürchten nun, dass ein offeneres Arbeitsrecht die Moral am Altar bedrohlich unterminiert. Das wollen sie verhindern. Der vorige Papst Benedikt XVI. hatte 1972, als er noch nicht Papst war, eine Lockerung für möglich gehalten. In diesem Jahr, als sein Text von 1972 neu herausgegeben wurde, ist sein Ja durch ein "Unmöglich" ersetzt.

Es geht also eigentlich nicht um das Arbeitsrecht. Es geht um die Macht konservativer Katholiken. Es geht um die Deutungshoheit darüber, was katholisch ist, also um einen inneren Konflikt der Kirche. Ein innerkirchlicher Streit wird auf dem Rücken von Mitarbeitern ausgetragen – und zu Lasten des Sozialstaats.