Weniger Tote, weniger Kosten – Seite 1

In deutschen Krankenhäusern treffen zwei Welten aufeinander. Einerseits werden chirurgische Meisterleistungen vollbracht, neue Medikamente kommen den Patienten zugute und moderne Technik für Milliarden von Euro wird eingesetzt. Andererseits sterben jedes Jahr mehr als 15.000 Menschen an multiresistenten Keimen.

Sie haben sie sich zum Teil ausgerechnet dort eingefangen, wo sie gesund werden sollten: im Krankenhaus. Denn es gibt zu wenige Pfleger, das Personal desinfiziert sich zu wenig die Hände, die Ärzte verschreiben unachtsam Antibiotika.

Was muss sich ändern, damit weniger Menschen durch diese sogenannten Krankenhauskeime sterben? Was kann Deutschland von anderen Ländern lernen, die erfolgreicher sind im Kampf gegen diese Bakterien?

Mehr Krankenschwestern, mehr Pfleger

Wer schon einmal in einem deutschen Krankenhaus lag, kennt das Problem: Krankenschwestern und Pfleger sind im Dauerstress. Wer klingelt, muss lange warten. Warum das so ist, erklärt ein Blick auf den Personalschlüssel. Während in Norwegen und den USA eine Schwester im Schnitt für knapp fünf Patienten zuständig ist, sind es hierzulande 13 Kranke (Aiken et al. 2012).

Was wäre, wenn man die Zahl des Pflegepersonals erhöht? Nach einer Übersichtsstudie des amerikanischen Forschers Robert Kane sinkt das Risiko einer Erkrankung mit Pneumokokken um 27 Prozent, wenn sich das Zahlenverhältnis von Schwester zu Patient um ein Prozent verbessert (Kane et al., 2007). Das Auftreten anderer Krankenhauskrankheiten nimmt mit jeder Minute ab, die die Schwestern für den einzelnen Patienten mehr haben.

Nicht nur aus Sicht der Patienten ist es sinnvoll, mehr Pflegekräfte einzustellen. Es ist sogar billiger, wie Daleen Penoyer vom Center für Nursing Research in Orlando für die Vereinigten Staaten gezeigt hat (Penoyer et al., 2010). Würden so viele Schwestern eingestellt, dass jede von ihnen 45 Minuten mehr Zeit für die Pflege eines jeden Patienten hätte, würde das die Klinik pro Patient 192 Dollar mehr kosten. Weil es aber gleichzeitig weniger Nachbehandlungen und Wiedereinweisungen gäbe, könnte das Gesundheitssystem 608 Dollar pro Patient einsparen. Ein Plus von rund 415 Dollar käme so zustande.

Woher die tödlichen Keime kommen und warum Multiresistenzen so gefährlich sind.

Dasselbe gelte im Prinzip auch für deutsche Krankenhäuser, sagt Jonas Schreyögg, Gesundheitsökonom der Universität Hamburg. "Das Problem ist aber, dass sich gute Ergebnisse in deutschen Krankenhäusern bisher nicht monetär lohnen, das heißt, sie schlagen sich nicht in der Vergütung nieder."

Weniger Antibiotika

Eine weitere Maßnahme, die gegen multiresistente Erreger hilft und gleichzeitig Geld spart, ist ein besserer Umgang mit Antibiotika. Erst vor wenigen Wochen gab es in dieser Hinsicht eine hoffnungsvolle Nachricht. In Deutschland wurden 2013 weniger Antibiotika verschrieben als vor fünf Jahren. Das reicht aber noch nicht.

Zwar ist die Gesamtmenge an Antibiotikaverschreibungen zurückgegangen. Gleichzeitig kamen aber immer öfter Breitbandantibiotika zum Einsatz, die eigentlich nur für Notfälle gedacht sind. Das ist ein Problem. Denn zum einen bekommen Erreger so die Chance, dazuzulernen und resistent gegen genau diese Antibiotika zu werden. Auf Stationen, die besonders viele Breitbandantibiotika verschreiben, sind deshalb häufiger multiresistente Keime zu finden (Kaki et al., 2011).

Zum anderen verursacht der unnötige Einsatz dieser Medikamente zusätzliche Kosten. Bis zu 900.000 Dollar könnten amerikanische Kliniken sparen, wenn sie seltener Breitbandantibiotika einsetzten (Dellit et al. 2007) – ohne einen Menschen zu gefährden. Selbst wenn die Zahlen für deutsche Krankenhäuser kleiner ausfallen würden: Ein sechsstelliger Betrag ließe sich hierzulande in vielen Kliniken wohl einsparen.

Infektionsberichte für jede Klinik

Ein gezielter Einsatz von Antibiotika verhindert auch unnötige Infektionen. Breitbandantibiotika töten nämlich nicht nur die schädlichen Erreger ab. Sie beseitigen ebenso Bakterien, die lebenswichtig für den Körper sind. Nach einer solchen Behandlung hat es zum Beispiel der eigentlich ungefährliche Clostridium-difficile-Keim leicht, sich in einem geschwächten Darm auszubreiten. Sein Gift kann dann starke Durchfälle auslösen, die für alte und geschwächte Menschen lebensbedrohlich werden können.

Die amerikanische Seuchenbehörde CDC schätzt deshalb, dass rund 26 Prozent der Infektionen mit Clostridium difficile in Kliniken vermeidbar wären, wenn 30 Prozent weniger Breitbandantibiotika verschrieben würden (Fridkin et al., 2014). Ähnliches zeichnet sich in Deutschland ab. Mit der steigenden Anwendung von Breitbandantibiotika wie den Cephalosporinen wuchs zuletzt die Zahl der Clostridium-difficile-Infektionen.

Infektionsberichte für jede Klinik

In Deutschland muss seit 2005 jedes Krankenhaus einen Qualitätsbericht veröffentlichen. Doch Zahlen zu Infektionen mit Krankenhauskeimen sucht man darin vergebens. Klinikbetreiber und Gesundheitsämter befürchten, dass Patienten die Zahlen falsch interpretieren könnten und Krankenhäuser, die unverschuldet hohe Infektionszahlen haben, darunter leiden.

Eine Studie aus Kanada zeichnet jedoch ein anderes Bild. Seit dem 1. September 2008 ist im Bundesstaat Ontario jedes Krankenhaus verpflichtet, Infektionen mit Clostridium difficile öffentlich zu berichten (Daneman et al., 2012). Patienten mieden Kliniken infolge hoher Fallzahlen keineswegs. Trotzdem sanken innerhalb von zwei Jahren die Infektionen mit dem Darmkeim um ein Viertel.

Forscher begründen diesen Effekt damit, dass das Personal eine höhere Motivation gehabt habe, sauber zu arbeiten und so Infektionen vermieden worden seien. Vergleichbare Effekte zeigen sich in Großbritannien. Dort wird seit 2001 eine Statistik über die MRSA-Infektionen  geführt, die zeigt, welche Krankenhäuser besonders betroffen sind. Nachdem hier 2004 die Zahl der MRSA-Infektionen noch einmal in die Höhe schnellte, ist die Zahl der jährlichen Fälle mittlerweile von 7.700 auf weniger als 900 gesunken.

Desinfektionsmaßnahmen im ganzen Krankenhaus

Fachleute sprechen gerne kryptisch von "horizontalen Maßnahmen", wenn sie gefragt werden, wie MRSA und andere Keime bekämpft werden sollen. Sie meinen damit Desinfektion, und zwar als Rundumschlag.

Alle Patienten sollen bei der Aufnahme in der Klinik mit speziellen desinfizierenden Cremes und Sprays behandelt werden, die Keime in der Nasenschleimhaut und auf der Haut abtöten. Des Weiteren sollen Patienten grundsätzlich mit Einmal-Handschuhen angefasst und alle Flächen desinfiziert werden. Dass alle Patienten erst nach Handreinigung von Ärzten, Schwestern und anderem Pflegepersonal berührt werden, versteht sich von selbst.

Die Idee dieses Maßnahmenpakets ist nicht neu, es wird in anderen Ländern schon eingesetzt. Neu ist, dass Experten empfehlen, alle Patienten nach dieser Methode zu behandeln, anstatt die Menschen zunächst auf die verschiedenen Keime hin zu untersuchen und anschließend zu entscheiden, ob sie behandelt werden sollen.

Die amerikanische Medizinerin Susan Huang und ihr Team teilten neu eingewiesene Patienten in drei Gruppen ein (Huang et al., 2013). Die erste Gruppe wurde auf den MRSA-Erreger untersucht und je nach Ergebnis von anderen Patienten isoliert. Bei der zweiten Gruppe wurden die Patienten nicht nur untersucht und anschließend je nach Fall isoliert, sie wurden auch mit den speziellen Salben und Sprays behandelt, sofern sie den MRSA-Erreger mit sich trugen. In der dritten Gruppe hingegen wurde gar nicht geprüft, ob die Patienten den Erreger hatten oder nicht. Sie wurden alle mit den Salben und Sprays behandelt. Das Ergebnis: In der dritten Gruppe traten Blutvergiftungen, verursacht durch MRSA oder andere Erreger, besonders selten auf.

Mehr frischen Wind

"Ordentlich durchlüften", so geht man in Büros gegen Müdigkeit und Muff vor. Auch im Kampf gegen Keime kann Frischluft helfen.

Schon 1968 machten die britischen Mikrobiologen Henry Druett und K.R. May auf dem Dach eines Labors  eine überraschende Entdeckung (May et al. 1968). Sie nahmen einen Kamm, umwickelt mit Spinnenweben, streuten den Darmkeim Escherichia coli darauf und setzten ihn einer frischen Brise aus. Zwei Stunden später waren alle zuvor aufgebrachten Bakterien abgetötet.

Was genau die Keime an der frischen Luft abtötet, wissen Wissenschaftler bis heute nicht. Dennoch empfiehlt die Weltgesundheitsorganisation WHO Krankenhäusern, möglichst für natürliche Belüftung zu sorgen (Atkinson et al., 2009). Offene Fenster also statt Hightech-Klimaanlagen.

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