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Psychiatrie-Entgelte Regierung will bei umstrittener Finanzierung nachbessern

Das geplante Finanzierungssystem für psychiatrische Kliniken stößt zunehmend auf harsche Kritik. Vor allem die Versorgung schwer Kranker sei in Gefahr, fürchten Psychiater und Patientenschützer. Die Regierung scheint die Warnungen jetzt zu erhören.
Patient in der Psychiatrie: Über das neue Entgeltsystem Pepp wird heftig gestritten

Patient in der Psychiatrie: Über das neue Entgeltsystem Pepp wird heftig gestritten

Foto: Corbis

Ob Depression, Schizophrenie oder Suchtprobleme: Landet ein Betroffener in einer Klinik, ist der Behandlungsverlauf oft schwer abzusehen. Und mitunter sind wochen- oder gar monatelange Aufenthalte auf der psychiatrischen Station nötig.

Dort aber prallen medizinische Erwägungen häufig auf wirtschaftliche. Was ökonomische Anreize bewirken, hat sich seit Einführung der sogenannten Fallpauschalen  gezeigt. Für Behandlungen wie etwa eine OP erhält die Klinik eine Pauschale, unabhängig davon, wie viele Tage der Patient auf der Station bleibt. Die Folge: Der Druck, Patienten schnell zu entlassen und stattdessen mehr zu operieren, ist gestiegen.

Für psychiatrische und psychosomatische Kliniken gilt das Fallpauschalensystem nicht. Doch Ärzte und Patienten fürchten, dass die aktuellen Pläne der Politik auch die Psychiatrie in ähnliche Probleme manövrieren könnten. Der Stein des Anstoßes heißt "Pepp". Die knackige Abkürzung steht für "Pauschalierendes Entgeltsystem für Psychiatrie und Psychosomatik".

Pepp ist ebenfalls ein leistungsorientiertes Vergütungsprinzip, das vom Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (Inek) entwickelt wurde - und seit dessen Einführung 2012 durch den damaligen Gesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) scharf kritisiert wird . Jetzt aber kommt die hitzige Debatte um die Zukunft des Systems in eine entscheidende Phase, denn im kommenden Jahr soll es verpflichtend eingeführt werden.

Komplizierte Patienten rechnen sich nicht mehr

Hauptgrund für die Kritik an Pepp ist, dass es zu vorzeitigen Entlassungen verleiten könnte. Zwar wird in der Psychiatrie für jeden Aufenthaltstag eine Pauschale gezahlt. Je nach Erkrankung sollen die Tagessätze während des Aufenthaltes allerdings abnehmen. Das Nachsehen hätten dann womöglich Patienten mit schweren Erkrankungen und längeren Behandlungen, weil sie sich für Kliniken dann schlicht nicht mehr rechnen.

Brigitte Richter vom Nürnberger Selbsthilfeverein Pandora befürchtet, dass psychisch instabile Patienten künftig zu früh nach Hause geschickt werden. Mit Unterstützung weiterer Verbände hat sie eine Petition beim Deutschen Bundestag eingereicht . 43.656 Menschen sind darin für eine Verschiebung der Einführung von Pepp. "Ich fürchte, dass es in Zukunft zu einer stärkeren Medikation kommt, damit Patienten möglichst schnell entlassen werden können", sagt Richter. Sie weiß wie es in psychiatrischen Kliniken zugeht: Fünf Jahre lang arbeitete sie selbst auf einer Akutstation.

Patienten könnten zudem eine Diagnose erhalten, die finanziell am günstigsten ist, denn bei Pepp entscheiden Erkrankung und deren Schwere über die Höhe der Tagespauschalen. Für Patienten sei dies besonders heikel, sagt Richter. Schließlich habe jede Diagnose für das Sozial- und Arbeitsleben weitreichende Folgen.

Auch Karl Lauterbach sieht diese Gefahren. "Statt Pepp einzuführen, müssen Strukturen geändert werden", sagt der gesundheitspolitische Sprecher der SPD. Er bemängelt, dass Pepp bei der Verzahnung ambulanter und stationärer Versorgung - ein wichtiger Baustein, damit Patienten möglichst reibungslos in ihr altes Lebensumfeld zurückkehren können - keinen positiven Impuls setze. Dabei sei schon jetzt die Situation mangelhaft.

System ist reformbedürftig

In Augen der Ärzteschaft könnte das neue System auch schwere Folgen für kleinere Kliniken in ländlichen Regionen haben. Es sei wichtig, dass dort die Personalausstattung sowie die Aufwendungen für die regionale Pflichtversorgung gesichert seien, sagt Thomas Pollmächer, Vorsitzender der Bundesdirektorenkonferenz der Psychiater. Doch genau das stünde auf dem Spiel, weil es den freien Marktkräften überlassen werden soll. Pollmächer fürchtet, dass Patienten deshalb künftig immer weitere Wege in das für sie zuständige Krankenhaus auf sich nehmen müssen.

Gleichzeitig sieht er auch Handlungsbedarf, denn eine eine Reform des bisherigen Systems ist dringend nötig: Die Klinikbudgets sind historisch gewachsen und entsprechen nicht mehr direkt den Leistungen der Krankenhäuser. Das alte Entgeltsystem ist intransparent und führt ebenfalls zu Ungerechtigkeiten.

Allerdings benötigen Kliniken und Krankenkassen Zeit, um sich auf die verpflichtende Einführung von Pepp einzustellen. Im Koalitionsvertrag hatte sich die Bundesregierung auch darauf geeinigt, Pepp genau zu prüfen und systematisch zu ändern. Das Inek analysiert derzeit, inwiefern eine stärker tagesbasierte Berechnungsweise die Anreize für zu frühe oder auch zu späte Entlassungen verhindern kann. In einer Studie  hatten Psychiater herausgefunden, dass es so möglich sein könnte, die finanziellen Fehlanreize zu minimieren.

Doch die bisherigen Untersuchungen des Inek "können nur ein erster Schritt sein", sagt Iris Hauth, designierte Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN). Auch die Bundesärztekammer appellierte kürzlich an die Bundesregierung , die Einführung von Pepp auszusetzen und in der Zwischenzeit alternative Modelle zu testen.

Offenbar mit Erfolg: Am Mittwoch nahm Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) in einer nicht-öffentlichen Sitzung des Gesundheitsausschusses Stellung dazu - und stellte eine Verschiebung der verpflichtenden Phase von Pepp um zwei Jahre in Aussicht.