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Insider-Informationen Lobbyisten umwerben Mitarbeiter von Abgeordneten

Ein Vortrag, dann das schöne Abendessen: Im Wettbewerb um die Aufmerksamkeit der Politik wenden sich die Lobbyisten in Berlin und Brüssel verschärft einer neuen Gruppe zu: Sie umgarnen die Mitarbeiter von Abgeordneten. Korruptionswächter sind alarmiert.
Von Philipp Alvares de Souza Soares

Berlin - Eine Bouillabaisse "nach Art des AOK-Bundesverbandes", dann Nantaiser Ente mit Orangensauce und als Dessert eine Crème brûlée - die rund 34 Mitarbeiter von Bundestagsabgeordneten erwartete am Abend des 26. Februar ein exquisites Menü. Die AOK hatte eingeladen, zum Kochen in der hauseigenen Kantine. "Man muss sich in Berlin schon etwas einfallen lassen", rechtfertigt eine AOK-Sprecherin das Diner auf Kosten der Krankenkasse.

Nicht nur das Menü hatte die AOK sorgsam komponiert, auch die Zielgruppe war mit Bedacht gewählt: Es waren vor allem Mitarbeiter von Mitgliedern des Gesundheitsausschusses, der über Reformen befindet, die sich direkt auf die Finanzen der Krankenkassen auswirken. Eine "Plattform zum Kennenlernen", so die AOK, sollte der Abend bieten. Zu Anfang einer Legislaturperiode gebe es viele neue Gesichter, und man habe künftig öfters miteinander zu tun.

Dass sich die AOK so viel Mühe gibt, ist nicht ungewöhnlich. "Die Mitarbeiter von Politikern sind zu einer der Hauptzielgruppen von Lobbyisten geworden", sagt Christian Humborg, Chef von Transparency International Deutschland (TI). Viele Mitarbeiter bestätigen das SPIEGEL ONLINE: Die Zahl der Veranstaltungen, Reisen und Fortbildungen, die Lobbyisten extra für Mitarbeiter anbieten, hat zugenommen.

Wettbewerb unter den Lobbyisten

Nun ist es nicht verboten, Kontakte zu pflegen und um Vertrauen zu werben. Regelmäßige Treffen mit Lobbyisten sind für Politiker oder ihre Mitarbeiter normal. Sie sind darauf angewiesen, die Positionen von verschiedenen Gruppen in der Gesellschaft zu verstehen, bevor sie über ein Gesetz im Sinne der Allgemeinheit entscheiden können.

Die Entwicklung reflektiert vielmehr den härteren Wettbewerb unter Interessenvertretern: In Berlin oder Brüssel kämpfen Tausende Verbände, Vereine und Konzerne um Aufmerksamkeit. Doch die Terminkalender der Politiker sind voll. Da lohnt es, sich ihrem direkten Umfeld zuzuwenden: Abgeordnete vertrauen ihren Assistenten, harte Wahlkampfwochen haben sie zusammengeschweißt. Die Mitarbeiter schreiben die Reden ihrer Chefs, bereiten Gesetzesvorhaben vor oder erklären ihnen komplizierte Sachverhalte - eine ideale Zielgruppe für Lobbyisten.

Zum Basisangebot der Lobbyisten gehören vor allem Abendveranstaltungen. Die meisten Events sind für die Abgeordneten selbst gedacht, oftmals schicken sie aber ihre Mitarbeiter, weil sie selbst keine Zeit haben. Die Sekretärin eines Abgeordneten hat nachgezählt und kommt auf durchschnittlich zehn Angebote pro Woche, die sie an ihre Kollegen weiterreicht - Einladungen wie diese:

  • Parlamentarischer Abend "Forum Zahn- und Mundgesundheit Deutschland", 18. März 2014, Berlin. An diesem Abend - Ablauf: Aperitif, Impulsreferate, Buffet - läutet das Forum die neue Legislaturperiode ein. Worum es genau gehen soll? Unklar.
  • Informations-Tour der Automatenwirtschaft, 26. März 2014, Berlin: "Am Gerät zeigen wir Ihnen die wichtigsten Unterschiede und informieren über die aktuelle Hintergrunddiskussion mit Blick auf den ... Glücksspielstaatsvertrag und die bevorstehende Novellierung der Spielverordnung." Danach: Abendessen am Hackeschen Markt.
  • Info-Reise für MdB-MitarbeiterInnen zur KfW nach Frankfurt, 25./26. März 2014 (Reisekosten werden übernommen). Man möchte über "internationalen Finanzierungen" informieren, insbesondere über die "finanzielle Zusammenarbeit mit Entwicklungsländern".
  • Parlamentarischer Abend "Energie und Fußball" des Bundesverbands Wärmepumpe, 11. März 2014, Sky Lounge, Berlin: In "lockerer Runde" will der Verband erläutern, warum für die Energiewende auch der "Wärmesektor" wichtig sei. Nebenbei schauen die Gäste das Spiel Bayern gegen Arsenal.

Die Lobbyisten erhoffen sich von den engen Beziehungen zu Mitarbeitern exklusive Informationen, etwa um Gesetzesvorhaben frühzeitig zu beeinflussen. "Wir sind da eine vorzügliche Quelle", sagt der Büroleiter eines Abgeordneten. Beide Seiten würden mit Insiderkenntnissen handeln, sofern es den eigenen Interessen diene. Der Büroleiter sieht darin kein generelles Problem: "Gewisse Grenzen darf man dabei natürlich nicht überschreiten." Mit der Tabakindustrie rede er zum Beispiel grundsätzlich nicht. Seinen Namen möchte er hier nicht lesen - seine Kontakte wären sonst dahin.

Mysteriöse Kontaktaufnahme

Einen offiziellen Verhaltenskodex für den Umgang mit Reisen und Präsenten gibt es nicht. Laut einem Standardarbeitsvertrag für die Mitarbeiter von Parlamentariern (Stand Juli 2011), dürfen sie "Belohnungen und Geschenke", die einen Bezug zu ihrer Arbeit im Bundestag haben, mit Erlaubnis ihres Arbeitgebers annehmen.

Im Frühjahr 2013 war das verstärkte Buhlen um die Assistenten sogar Thema im Ältestenrat des Bundestags. Volker Beck von den Grünen monierte dort am 18. April, dass neue Mitarbeiter und Praktikanten von Fraktionskollegen schon kurz nach ihrer Einstellung Einladungen zu Veranstaltungen der Tabakindustrie bekamen. Dabei waren ihre Namen weder auf der Abgeordneten-Website noch an einer anderen Stelle veröffentlicht worden. Nur eine Quelle schien plausibel: ein internes Verzeichnis des Bundestags.

Die Parlamentsverwaltung konnte den mysteriösen Fall bis heute nicht aufklären: "Es erscheint wahrscheinlich, dass das bundestagsinterne Telefonverzeichnis dem Verband vorlag", sagte eine Bundestagssprecherin auf Anfrage. Nach Informationen von SPIEGEL ONLINE soll es sich um Einladungen des Deutschen Zigarettenverbands (DZV) gehandelt haben, der die Nutzung einer internen Bundestagsquelle jedoch bestreitet. Man arbeite bei "der Verteilerrecherche" mit einem Dienstleister zusammen, von dem man entsprechende Daten beziehe, teilt ein Sprecher auf Anfrage mit. Diese seien "allgemein zugänglich". Den Namen des Dienstleisters nannte der Sprecher nicht.

Für Volker Beck von den Grünen ist die Geschichte "einer der seltsamsten Fälle von Lobbyismus, die ich bislang erleben durfte".

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