Der Medizinische Dienst der baden-württembergischen Krankenkassen findet trotz heftiger Vorwürfe über Missstände keinen Grund zur Beanstandung. Die Staatsanwaltschaften in Konstanz und im Schweizer Kanton Thurgau ermitteln weiter.

Konstanz - Die Krankenkassen in Baden-Württemberg lassen das umstrittene Herzzentrum Bodensee vorerst weitgehend unbehelligt seinen Betrieb fortführen. Ein Gutachten des Medizinischen Dienstes, das die Landesverbände der Krankenkassen und der Verband der Ersatzkassen Ende November 2013 in Auftrag gegeben hatte, kommt zu dem Schluss, dass die deutsch-schweizerische Doppelklinik in Konstanz und Kreuzlingen zumindest vorläufig keinen Grund zur Beanstandung bietet.

 

„Nach derzeitigem Ermittlungstand“ lägen „keine ausreichenden Hinweise“ vor, die eine Kündigung des Versorgungsvertrages „zum jetzigen Zeitpunkt“ rechtfertigen“ würde, teilte Christopher Hermann, der Landesvorsitzende der AOK, jetzt mit. Die Expertise kommt zu dem Schluss, die Klinik habe ihre medizinische Leistungsfähigkeit, die personelle Besetzung sowie die Räumlichkeiten und deren Ausstattung entsprechend den gesetzlichen Anforderungen nachweisen können.

Gleichwohl werde man die Klinik „im Auge behalten“, verspricht der AOK-Landeschef Hermann. Parallel laufen Ermittlungen der Staatsanwaltschaften Konstanz und Thurgau zu mehreren Komplexen sowie Überprüfungen durch das Gewerbeaufsichtsamt am Landratsamt Konstanz. Außerdem hatte das baden-württembergische Sozialministerium die Landesärztekammer eingeschaltet: an der Doppelklinik soll sowohl das Narkosemittel Propofol verabreicht als auch eine Verödung bei Vorhofflimmern vorgenommen worden sein, beides ohne die zwingend erforderliche Anwesenheit eines zweiten Arztes. Weiter soll wegen veralteter Geräte für Patienten teilweise ein schlechter Strahlenschutz bestanden haben. Die Klinikleitung hat diese Vorwürfe bestritten.

Staatsanwaltschaften in Konstanz und im Thurgau ermitteln

Die Stuttgarter Zeitung und SWR-Info hatten diese und andere Missstände aufgedeckt. Die in die Kritik geratene Klinikleitung um die Eigner Dierk Maass und den Geschäftsführer Martin Costa sowie dessen Ehefrau und Vizedirektorin Antoinette Airoldi räumten daraufhin einige der Vorwürfe ein, andere wiesen sie zurück.

Unter anderem ging es um die Beschäftigung von Ärzten ohne Approbation, den Schmuggel von Leichen über die deutsch-schweizerische Grenze und die Verletzung des Arztgeheimnisses, ferner um eine mangelhafte Notfallversorgung sowie um die Unterschlagung von Sozialversicherungsbeiträgen von Ärzten und Pflegepersonal, die in der Schweiz angestellt, aber an der deutschen Klinik in Konstanz eingesetzt worden waren.

Zu diesen Vorwürfen haben die Staatsanwaltschaften im Thurgau und in Konstanz Ermittlungen aufgenommen. In der Schweiz stehen möglicherweise auch unerlaubte In-sich-Geschäfte mit Medizinprodukten auf dem Prüfstand. Den Klinikverantwortlichen wird vorgeworfen, sie hätten über eine von ihnen kontrollierte Briefkastenfirma im schweizerischen Oberägeri im Kanton Zug Millionengewinne erzielt und damit die Schweizer Krankenkassen und den deutschen Fiskus geschädigt.

Hohe Millionengewinne bei In-sich-Geschäften?

Deutsche Staatsanwälte scheint dieser Zusammenhang wenig zu interessieren, obwohl bei den Geschäften hohe Millionenbeträge aufgelaufen sein sollen. Inzwischen liegt ein Abschlussbericht der zuständigen Kriminalpolizeidirektion in Konstanz vor, der nun – ebenso wie die Stellungnahmen der Anwälte der Klinik – geprüft werden.

Danach werde entschieden, ob Anklage erhoben werde oder ob noch weitere Ermittlungen notwendig seien, erklärte die Staatsanwaltschaft Konstanz. Geprüft wird derzeit der Fall des Chefarztes, der ohne Approbation in Deutschland gearbeitet haben soll. Ein Ergebnis ist nach Auskunft einer Sprecherin noch im Frühsommer zu erwarten.

Eingestellt hat die Behörde inzwischen die Ermittlungen wegen der Vorwürfe der verletzten Aufsichtspflicht und wegen des Leichenschmuggels. Diese Delikte seien ebenso verjährt wie der Vorwurf, Gerätschaften hätten sich nicht auf dem neuesten Stand befunden.

Gutachter bestätigen die kritisierte Notfallregelung

Die Ermittlungen über die Verwendung nicht zugelassener Herzklappen, die von der Universitätsklinik Prag stammen sollen, werden zumindest in der Schweiz nicht verfolgt. Das Gesundheitsdepartement des Kantons Thurgau hatte ihren Einsatz schon länger für zulässig erklärt, ebenso die Gabe von Propofol durch Anästhesiepersonal. In der Schweiz sei das erlaubt, obwohl das Narkosemedikament gefährlich ist.

Auch an der von Klinikärzten gegenüber der Stuttgarter Zeitung als unzureichend kritisierten Regelung für den Notfall fand die Kantonsbehörde nichts auszusetzen. So ist im Bereitschafts- und Rufdienst nach wie vor nur ein Mediziner für beide Häuser zuständig – nur bei Bedarf steht ein Notfallteam „im Hintergrund“ bereit. Auch der Medizinische Dienst der deutschen Kassen gibt hierzu seinen Segen. Gibt es allerdings zur gleichen Zeit einen zweiten Notfall (was nach Aussagen von Ärzten vorgekommen war), „müsste dieser gegebenenfalls abgewiesen werden“, heißt es.

Allein die arbeitsrechtliche Konstruktion, wonach alle Ärzte und Pflegekräfte an der Kreuzlinger Klinik angestellt sind, beurteilen die Kassengutachter kritisch. Es sei zu prüfen, ob diese Arbeitskräfte tatsächlich der Konstanzer Klinik zugerechnet werden dürften. Dazu seien „weitere Nachfragen“ und „Bewertungen der vertraglichen Vereinbarungen“ notwendig. In dieser Sache erwartet die Staatsanwaltschaft bald einen Zwischenbericht.