WELTGo!
Journalismus neu erleben und produktiver werden
Ihr Assistent Journalismus neu erleben und produktiver werden
WELTGO! ENTDECKEN
  1. Home
  2. Politik
  3. Deutschland
  4. System der Fallpauschale in Kliniken wackelt

Deutschland Gesundheitspolitik

System der Fallpauschale in Kliniken wackelt

Ressortleiterin Politik
Eine Studie zur Finanzlage der deutschen Kliniken offenbart Reformbedarf Eine Studie zur Finanzlage der deutschen Kliniken offenbart Reformbedarf
Eine Studie zur Finanzlage der deutschen Kliniken offenbart Reformbedarf
Quelle: dpa
Die Finanzlage der Krankenversicherungen ist schlecht, in Kliniken herrscht deutlicher Reformbedarf. Ein Gutachten gibt reformwilligen Politikern Rückenwind. Zur Disposition stehen die Fallpauschalen.

Offiziell gibt es überhaupt noch keine genaue Diagnose, aber der Ruf nach einer schnellen und umfassenden Therapie wird schon lauter. Denn der Befund, der sich bereits abzeichnet, ist alarmierend und akut. Wenn nicht bald mit einer wirksamen Therapie gegengesteuert wird, droht eine chronische Gefahr für die Gesundheit vieler Patienten und für die Finanzlage der gesetzlichen Krankenversicherung. Auf dem Behandlungstisch: die Krankenhäuser in Deutschland.

Den Verdacht auf eine Schieflage gibt es schon länger. Denn wie lässt es sich eigentlich erklären, dass in Deutschland die Zahl bestimmter Eingriffe wie Knie- oder Hüftgelenksoperationen stetig ansteigt – und damit weit über den europäischen Durchschnitt anwächst. Es geht um die Frage, ob die Gelenke der Deutschen wirklich anfälliger oder die Ärzte an den Kliniken hierzulande fürsorglicher sind – oder ob in viel zu vielen Fällen weniger die medizinischen Gründe den Ausschlag für eine Operation geben und stattdessen die finanziellen Interessen der Klinikleitung überwiegen.

Die Krankenhäuser weisen den Verdacht zurück, die Krankenkassen beharren auf ihren Vorwürfen. Deshalb gaben beide Konfliktparteien auf Druck der Bundesregierung eine gründliche Untersuchung in Auftrag. Am Donnerstag sollen die Ergebnisse des wissenschaftlichen Gutachtens offiziell veröffentlicht werden – die Grundzüge sind aber bereits vorher schon bekannt geworden.

Fallpauschalen stehen zur Disposition

„Die Ergebnisse bestätigen, dass manche Operationen häufiger vorgenommen werden, sobald ihre Vergütung lukrativer wird“, sagte der SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach der „Welt“. Dazu zählten etwa Kniegelenksoperationen. Zugleich werde in dem Gutachten aber auch deutlich, dass finanzielle Interessen nicht allein die Zunahme der Fallzahlen erklären könnten. Dies gelte etwa für den Anstieg von Krebstherapien, weil dieser mit einer Erhöhung der Krankheitslast einhergehe und immer mehr Menschen an Krebs erkrankten.

Insgesamt zeigt das Gutachten aber vor allem, wie dringlich der Reformbedarf in der Krankenhausversorgung ist: Zur Disposition steht das geltende System der Fallpauschalen, das die Vergütung nicht nach einzelnen Leistungen oder nach der Dauer einer Behandlung regelt, sondern nach den medizinischen Leistungen pro Behandlungsfall.

Die Pläne für einen tief greifenden Umbau von Vergütung und Qualitätssicherung der Behandlung in den Kliniken sind im schwarz-roten Koalitionsvertrag skizziert. Eine Arbeitsgruppe mit Experten aus Bund und Ländern hat ihre Arbeit vor einigen Wochen aufgenommen. Nun aber wächst der Druck zur Einigung auf eine Gesetzesnovelle in der zweiten Jahreshälfte.

„Sollten durch die Fallpauschalen finanzielle Anreize entstehen, bestimmte Operationen häufiger als nötig durchzuführen, müssen wir gegensteuern“, sagte der CDU-Gesundheitspolitiker Jens Spahn der „Welt“. Dies könnte etwa dadurch geschehen, dass für die fraglichen Operationen grundsätzlich eine ärztliche Zweitmeinung eingeholt werden könne. Oder dass gezielte Preisabschläge für genau diese Operationen vorgenommen würden. „Die Ergebnisse der Studie spielen auch in der Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Krankenhausreform eine Rolle.“

Unnötige Eingriffe sollen vermieden werden

Sein SPD-Kollege Lauterbach erklärte, die Zweitmeinung solle für die Patienten keine Zusatzkosten mit sich bringen, sondern werde von den Krankenkassen gezahlt. Die Aufwendungen lohnten sich, weil durch die zweite Expertenmeinung womöglich überflüssige Operationen vermieden und die Kosten der Eingriffe eingespart werden könnten. Der stellvertretende SPD-Fraktionsvorsitzende nennt außerdem noch Pläne für weitere Reformschritte.

Dazu gehört, dass die Krankenhäuser in Zukunft für die Grundversorgung der Patienten mit Zuschlägen rechnen können. Wenn die Grundversorgung lukrativer werde, entfalle bei den Krankenhäusern der Druck, über Zusatzleistungen wie Operationen weitere Erlöse zu erwirtschaften, argumentierte Lauterbach. „So können wir unnötige Eingriffe verhindern.“

Anzeige

Auch hier gelte, dass die anfänglichen Zusatzaufwendungen für eine höhere Vergütung der Grundversorgung letztlich Einsparungen zur Folge hätten, die insgesamt eine finanzielle Entlastung der Krankenkassen bewirkten, sagte Lauterbach. Darüber hinaus ist im Koalitionsvertrag vorgesehen, Qualitätsunterschiede zwischen den Krankenhäusern für die Patienten leichter zugänglich und transparent zu machen. So sollten Daten etwa zu langfristigen Behandlungsergebnissen oder zu Wiedereinweisungen in verschiedene Kliniken über ein neues Qualitätsinstitut im Internet zur Verfügung gestellt werden, kündigte Lauterbach an. Die Qualitätsmerkmale würden dann für sämtliche Krankenhäuser einer Region vergleichbar – und die Patienten könnten sich bei planbaren Eingriffen und der Wahl der Klinik an dieser Rangfolge orientieren.

Hohe Qualität soll für die Kliniken zu höherer Vergütung führen. „Umgekehrt sollen bei unterdurchschnittlicher Qualität für einzelne Leistungen auch höhere Abschläge möglich sein“, heißt es im Koalitionsvertrag. Zudem sollen Kassen für planbare Eingriffe eigene Vergütungsverträge mit Kliniken schließen können. Der Handlungsdruck ist groß: Zwischen 2007 bis 2012 sind die Fallzahlen nach dem neuen Gutachten um rund 1,3 Millionen angestiegen.

Mehr aus dem Web
Neues aus der Redaktion
Auch interessant
Mehr zum Thema