NZZ am Sonntag

Ein schönes Geschäft

Geburten, Schönheitsoperationen, Kuraufenthalte – Privatkliniken beschränken sich oft auf einzelne Fachgebiete. Ist dies ein ehrliches Geschäftsmodell oder bloss Rosinenpickerei?

Irène Dietschi
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Eine Patientin kurz vor der Nasenkorrektur: 50 000 Operation führen Schweizer Ärzte im Dienste der Schönheit jährlich durch. (Bild: Reuters/Nir Elias)

Eine Patientin kurz vor der Nasenkorrektur: 50 000 Operation führen Schweizer Ärzte im Dienste der Schönheit jährlich durch. (Bild: Reuters/Nir Elias)

Agil, investitionsfreudig, selbstbewusst: So bewegen sich Privatkliniken auf dem Schweizer Gesundheitsmarkt. Das können sie, weil sie weder von den langsamen Mühlen der Politik behindert werden, noch einen gesetzlichen «Versorgungsauftrag» zu erfüllen haben. Deshalb ist es etwa der Hirslandengruppe gelungen, in nur 25 Jahren seit der Gründung zum grössten medizinischen Netzwerk der Schweiz anzuwachsen, mit 16 Kliniken, 3 ambulanten Praxiszentren sowie 11 Radiologie- und vier Radiotherapieinstituten in elf Kantonen. Dicht darauf folgt die Spitalgruppe Genolier, die sich vor allem in der Westschweiz auf Expansionskurs befindet.

Was die meisten Privatkliniken von den öffentlichen Spitälern unterscheidet, ist die Spezialisierung: Sie beschränken sich in der Regel auf wenige Fachgebiete, in denen sie top sind. So bringen anspruchsvolle Baslerinnen ihre Babys im Bethesda-Spital zur Welt, das sich einen Ruf als angesagte Geburtsklinik aufgebaut hat. Für die neue Hüfte geht man ins Merian-Iselin-Spital, Krebspatienten sind in Bern im Lindenhof gut aufgehoben, den grauen Star lässt man bei Pallas oder Vista machen. Für Schönheitsoperationen oder die Burnout-Behandlung kommen ohnehin nur Etablissments infrage, die äusserlich als Hotels durchgehen. Die Grenzen zwischen Medizin und Lifestyle sind hier fliessend.

Das Auge

«Rosinenpickerei», finden die Neider. Als tolle Business-Gelegenheit sehen es andere. Fakt ist: Mit den Augen lassen sich auf dem privaten Gesundheitsmarkt gute Geschäfte machen. Vor allem der graue Star – «Katarakt» im Mediziner-Jargon – hat sich zur Goldgrube entwickelt. Vor zehn Jahren, als die Tarife für ambulante medizinische Leistungen festgelegt wurden, rechnete man für eine Star-Operation noch 45 bis 60 Minuten. Mit der heutigen Technik lassen sich in einer Stunde locker vier Eingriffe bewältigen. «Wie am Fliessband» erleben Patienten die Katarakt-OP. Und warum sollte man die Schlupflider oder die Alterssichtigkeit nicht auch gleich korrigieren lassen, wenn man schon dran ist? Auch wenn das auf die eigene Rechnung geht?

Dieser lukrative Markt zieht immer mehr Anbieter an, die nicht über eine Spezialisierung verfügen.

Einer, der die Gelegenheit beim Schopf gepackt hat, ist der gebürtige Grieche Grigoris Pallas, der 1994 nach zwei Jahrzehnten Chefarzt-Dasein am Kantonsspital in Olten seine eigene Augenarztpraxis mit Operationsraum gründete. Seither sind die Pallas-Kliniken zu einem kleinen Augen-Imperium angewachsen. Zum Oltner Hauptsitz sind Niederlassungen in Aarau, Zürich, Bern, Solothurn und weiteren Städten dazugekommen, zwölf Standorte insgesamt, ein Ende der Expansion ist nicht vorgesehen. Fachlich sei man «auf Augenhöhe mit den Universitätsspitälern», in der Lasertechnologie gelte man europaweit als Pionier, wirbt Georgos Pallas, der das Zepter inzwischen von seinem Vater übernommen hat. Und wer wollte es den Pallas-Kliniken verübeln, dass sie nun auch Haut- und Venenbehandlungen sowie Schönheitsoperationen anbieten, die genauso lukrativ sind wie die Augen?

Die Schönheit

Es geht um «Lebensqualität», um «Selbstbewusstsein» und «das Hervorheben der Persönlichkeit»: Das sind die Botschaften, mit denen Schönheitskliniken für ihre Angebote werben. Ob Nase (6000 bis 10 000 Franken), Brust (9000 bis 14 000 Franken), Bauch (8000 bis 16 000 Franken) oder Po (12 000 bis 18 000 Franken) – es gibt praktisch keinen Körperteil, der sich nicht optimieren liesse. Solange man es auch finanzieren kann, denn die Krankenkassen bezahlen nichts an Schönheitsoperationen.

Die Privatkliniken am See oder im Park oder mit Bergsicht heben alle das Wohlbefinden hervor, dank dem der Klinikaufenthalt zum Wellness-Programm werden soll. Allerdings ist der Titel des «Schönheitschirurgen» in der Schweiz nicht geschützt: «Jeder approbierte Arzt kann Kundenwerbung betreiben und solche Eingriffe durchführen, darum zieht dieser lukrative Markt immer mehr Anbieter an, die nicht über eine Spezialisierung verfügen», stellt das Institut Acredis in einer Marktstudie fest. Von den 500 bis 600 Ärzten, die in der Schweiz als Anbieter ästhetischer Chirurgie auftreten, verfügen nur zirka 200 über einen Fachabschluss.

Dies hält Schweizerinnen und zunehmend auch Schweizer aber keineswegs davon ab, sich für ästhetische Ziele unters Messer zu legen. 50 000 Operationen (Frauenanteil 81 Prozent) werden im Dienste der Schönheit jährlich durchgeführt – ein Viertel davon zum Fettabsaugen –, das Marktvolumen wird auf 400 Millionen bis 500 Millionen Franken geschätzt. Kein Wunder, dass neben Premium-Anbietern auch schwarze Schafe sich ihren Teil sichern wollen.

Der Stress

Mein Haus, meine Jacht, mein Stress und mein Burnout. Ab und zu komplett von der Rolle zu sein, gehört zum All-inclusive-Programm des modernen Lebens. Leute, die am Ende ihrer Kraft sind, finden in Privatkliniken Ruhe und die Aussicht auf einen Reset. Der Bedarf ist riesig: Vor fünf Jahren ist die Clinica Holistica in Susch gegründet worden, die auf die gestresste und ausgebrannte Klientel spezialisiert ist. Andere Privatkliniken wie das Sanatorium Kilchberg, die Klinik Gais, die Klinik Schützen oder die Privatklinik & Spa Mentalva sind schon weitaus länger im Geschäft. Wer sie besucht, hat selten den Eindruck, in einem Spital zu sein. Wellness-Anlage trifft es besser.

Für Gestresste, bei denen die Folgen der Belastung derart dramatisch sind, dass sie notfallmässig ein paar Gänge herunterschalten müssen, sind die psychiatrischen Kliniken der Kantons- oder Universitätsspitäler die erste Einlieferungsadresse. Die anderen liebäugeln meist mit einem der Privatspitäler, die auf der Spitalliste der Kantone stehen und wo die Krankenkasse die Kosten für die Entschleunigung übernimmt.