Das kranke Spital

Das Spital Affoltern steht am Abgrund: Wenn es nicht bald gelingt, den Betrieb für die Zukunft fit zu machen, droht das Aus. Zu allem Übel kommt der Leitung ein moderner Michael Kohlhaas in die Quere.

Jan Hudec
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Wohin führt der Weg des Spitals Affoltern? Die nächsten Monate werden es zeigen. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Wohin führt der Weg des Spitals Affoltern? Die nächsten Monate werden es zeigen. (Bild: Annick Ramp / NZZ)

Er ist ein wortgewandter Querulant. Und er attackiert das Spital Affoltern von allen Seiten. Er will es nach seinen Vorstellungen modernisieren – und wird dabei zu einer schweren Belastung. In einem Blog beschimpft er das Führungspersonal und vergrault es damit. Dabei müsste dieses dringend die internen Probleme lösen. Nach Jahren, in denen sich Spitaldirektoren die Klinke in die Hand gegeben haben und die Spitalführung sich diverse Verfehlungen geleistet hat, braucht das Haus endlich wieder Kontinuität und eine neue Strategie. Denn ohne dies wird es für das Spital Affoltern wohl keine Zukunft geben.

Wie alles begann

Um zu verstehen, wie es so weit gekommen ist, muss man ins Jahr 2011 zurückblicken. Die Schweizer Spitallandschaft steht damals vor einer bedeutenden Umwälzung: der Einführung des neuen Finanzierungsmodells mit Fallpauschalen. Das ist für jedes Spital an sich schon eine grosse Herausforderung. Das Spital Affoltern steckt aber obendrein in Turbulenzen. Die Delegierten der Gemeinden weisen das Budget zurück, weil die Kosten zu hoch sind, und der neue Direktor tritt nach nur einem Jahr im Amt ab. Ein neuer Chef muss her. Und den findet man in Fredy Furrer, einem eisernen Sanierer, der den Spitalverbund Appenzell Ausserrhoden auf finanziellen Erfolg getrimmt hat. Er ist aber auch bekannt für seinen unzimperlichen Umgang mit dem Personal.

In Affoltern trifft der kühle Ökonom auf ein esoterisch angehauchtes Klima, geprägt vom Ehepaar Annina und Christian Hess. Die beiden setzen sich in der Spitalleitung für ihre Vorstellung von ganzheitlicher Pflege ein und drücken dem Haus ihren Stempel auf. Die Ökonomisierung des Gesundheitswesens ist ihnen ein Greuel. Der Konflikt ist programmiert. Und es dauert auch nicht lange, bis er eskaliert. Ein gutes halbes Jahr nachdem der neue Direktor sein Amt angetreten hat, verlässt das Ehepaar Hess das Spital Affoltern wegen des «unangepassten Führungsstils».

Furrer will ohnehin eine neue Richtung einschlagen und das Spital in eine AG umwandeln. Doch er wird es mit einem heftigen Abstimmungskampf zu tun bekommen. Im Frühling 2013 hat sich der Verein Pro Zweckverband Spital Affoltern gebildet. Und damit tritt jener Mann auf die Bildfläche, der fortan die Spitalführung vor sich hertreiben wird: Hans Roggwiler. Der Präsident des Vereins schlägt auf seiner Website und in Leserbriefen gerne einmal unter die Gürtellinie. Er schreibt etwa, dass man «den degenerierten Behördenklüngel aufmischen» müsse.

Roggwiler sucht gerne den Konflikt mit den Grossen – auch in seiner Partei, der SP. So wirft er der damaligen Nationalrätin Jacqueline Fehr auf seinem Blog «Gefälligkeits- und Beliebigkeitspolitik» vor und fordert von Affoltern aus ihren Rücktritt. Einerseits vertritt er radikallinke Ideen, will Betriebe mit mehr als 500 Mitarbeitern «der demokratischen Kontrolle zuführen» und die Auswanderung «der abzockenden Oberschicht» fördern. Andererseits verlangt er von der SP eine härtere Gangart in der Ausländerpolitik. Mit seiner Polemik eckt er an und wird schliesslich aus der kantonalen Partei ausgeschlossen. «Er ist unerträglich im persönlichen Umgang», sagt ein SP-Mitglied, das aus Angst lieber nicht mit Namen genannt werden will. «Wer nicht seine Meinung teilt, wird von ihm öffentlich diffamiert.»

Verfehlungen der Führung

Im Kampf ums Spital hat Roggwiler mehr Erfolg. Die Umwandlung in eine Aktiengesellschaft scheitert im November 2013 an der Urne. Zwar sagt die Mehrheit der Stimmenden Ja, 4 von 14 Gemeinden lehnen das Ansinnen jedoch ab. Für Roggwiler aber ist das kein Grund, die Waffen niederzulegen. Er setzt seinen Kampf gegen die Spitalführung unvermindert fort und bekommt dazu auch Munition geliefert. So lassen sich sowohl die Betriebskommission (BK) als auch Spitaldirektor Furrer diverse Verfehlungen zuschulden kommen. Furrer bildet unzulässige Rückstellungen in der Jahresrechnung in der Höhe von mehreren Millionen Franken. Nachdem das Gemeindeamt bei einer Stichprobenkontrolle auf den Fehler aufmerksam geworden ist, korrigiert ihn der Spitaldirektor. Auch eine Strafanzeige wegen Urkundenfälschung wird gegen ihn eingereicht. Die Staatsanwaltschaft erhebt jedoch keine Anklage. Im Oktober des letzten Jahres nimmt Furrer dann den Hut und lässt sich «aus gesundheitlichen Gründen» frühpensionieren.

Auch die BK bekommt es mit dem Gemeindeamt zu tun. Die Kommissionsmitglieder werden gerügt, weil sie ihre Finanzkompetenzen überschritten, Kredite nicht korrekt genehmigt oder das Zerstückelungsverbot nicht beachtet haben. In der Folge wird die Betriebskommission neu besetzt. Im Mai dieses Jahres entschuldigen sich die Mitglieder öffentlich. Zudem geben sie einen juristischen Bericht in Auftrag, der auch aufsichts- und haftungsrechtliche Massnahmen gegen die fehlbaren BK-Mitglieder prüfen soll. Der Bericht soll in den kommenden Tagen auch öffentlich gemacht werden, um Transparenz zu schaffen.

So versucht man, mit der Vergangenheit abzuschliessen. «Wir müssen uns jetzt wieder auf die Zukunft konzentrieren, das Spital auf die Zukunft ausrichten und eine klare Strategie ausformulieren», sagt Barbara Messmer, die derzeitige Präsidentin der BK. Bis im Frühling soll die Strategie stehen. Vorher noch gilt es, einen neuen Spitaldirektor zu finden. Der Betriebskommission steht eine anspruchsvolle Zeit bevor. Mit sachlicher Kritik könne sie leben, sagt Messmer, aber die Polemik müsse aufhören. «Wir können den Turnaround schaffen, aber dazu muss Ruhe einkehren.»

Doch Hans Roggwiler reitet seine Attacken unbeirrt weiter. Dass es ihm bisweilen gelingt, seinen Finger auf wunde Punkte zu legen, scheint ihn zu bestärken. In seinem Furor wittert er aber überall Verschwörungen und dunkle Machenschaften. So behauptet er, es sei das geheime Ziel der FDP, das Spital ausbluten zu lassen, um es schliessen zu können. Er schreckt auch nicht vor Unwahrheiten zurück, um die Spitalführung zu diskreditieren. In einer Zeitungsannonce behauptet er beispielsweise, der interimistische Direktor Beat Straubhaar arbeite zu einem Tagesansatz von 3000 Franken. Auf Anfrage der NZZ sagt Roggwiler, er habe gewusst, dass die Zahl zu hoch sei, aber er habe gedacht, dass die Spitalleitung dies dann schon korrigieren werde. Roggwiler will, dass künftig auch Leute aus dem Volk als Gemeindedelegierte gewählt werden können. Ausserdem will er, dass sein Verein vollen Einblick in die geheimen Protokolle der Betriebskommission erhält. Dann sei er allenfalls bereit, sein Blog einzustellen, «es sei denn, es passieren Dinge, die wir kritisieren müssen».

«So etwas noch nie erlebt»

Beat Straubhaar, der neben diversen anderen Stationen während 25 Jahren das Regionalspital Thun geleitet hat, sagt: «So etwas habe ich in meiner Karriere noch nie erlebt.» In diesem Umfeld ein Spital zu führen, sei extrem schwierig. «Alle werden angegriffen, und zwar auch unter der Gürtellinie.» Mit Social Media sei es heute leider einfach, alle möglichen Behauptungen in die Welt zu setzen. Er habe sich zwar mehrfach mit Roggwiler unterhalten, gebracht habe es aber nichts. «Wenn ich gewusst hätte, was mich hier erwarten würde, hätte ich das Mandat wohl nicht übernommen.»

Straubhaar ist aber überzeugt, dass man in Affoltern die Kurve noch kriegen kann: «Das ist ein gutes Spital mit guten Leuten.» Auch finanziell sei man auf gutem Weg. Nach Defiziten in den letzten drei Jahren ist heuer mit einem Gewinn zu rechnen. Um künftig auch genug Geld für Investitionen zu erwirtschaften, müsse aber die Strategie noch geschärft werden – mit dem Ziel einer umfassenden Grundversorgung, mit einem Schwerpunkt in der Altersmedizin und verstärkten Kooperationen. Roggwilers Vorstellungen hält er dagegen für illusorisch: «Ein Spital, das dem Wettbewerb ausgesetzt ist, lässt sich nicht basisdemokratisch führen.» Man müsse heute schneller agieren können. Auch könne man über die Strategie nicht öffentlich abstimmen lassen, «sonst sticht einen die Konkurrenz aus».

Mittlerweile versucht man hinter den Kulissen auch juristisch Druck auf Roggwiler zu machen. Unter Androhung von zivil- und strafrechtlichen Schritten wurde er dazu aufgefordert, diverse Berichte mit «falschen Anschuldigungen, Lügen und Drohungen» zu löschen und künftig auf diffamierende Äusserungen zu verzichten. Zudem wurde auch Strafanzeige gegen Unbekannt eingereicht. Roggwiler hat einen Maulwurf, der ihm geheime Informationen aus dem Spital liefert. Dass der Streit damit beendet ist, glauben aber nur Optimisten.