Sage mir, wie gesund du lebst – und ich sage dir, wie viel du sparen kannst! Für Privatpatienten könnte dieses Motto bald Realität werden. Versicherungen wie die Generali und Axa erproben bereits Modelle, bei denen ihre Mitglieder mittels Smartphone und Apps ein gesundheitsbewusstes Leben nachweisen können. Als Belohnung gibt es Rabatte bei der Versicherungsprämie oder Prämien wie kostenlose Gesundheitskurse.

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Doch wie sieht es mit derartigen Modellen in der gesetzlichen Krankenversicherung aus? Laut einem Bericht der Mitteldeutschen Zeitung kooperiert die AOK bereits seit 2012 mit dem Schweizer App-Entwickler Dacadoo. Seit dieser Zeit gibt es auch die Gesundheits- und Fitnessplattform „AOK mobil vital“, mit der die Krankenkasse ihre Mitglieder bei einer gesunden Lebensweise unterstützen will. Mit Hilfe einer Tracker-App werden individuelle Gesundheitsdaten gemessen, aufgezeichnet und an eine Gesundheitsplattform übertragen. Dort werden die Messzahlen zu einem Gesundheitswert zwischen 1 (schlecht) und 1.000 (hervorragend) zusammengefasst.

AOK misst hochsensible Daten

Die Daten, die mit Hilfe der Dacadoo-App erfasst und weitergeleitet werden, lassen aufhorchen. Nicht nur wird mit Hilfe von GPS gemessen, wann und wo der Versicherte joggt, Rad fährt oder sich anderweitig sportlich betätigt. Auch andere hochsensible Angaben soll der freiwillige Nutzer von sich Preis geben.

Auf der AOK-Webseite heißt es hierzu: „Die Berechnung erfolgt anhand verschiedener Daten. So fließen nicht nur der aktuelle Trainingsstand - Sie können praktisch jede Sportart ausüben und Ihre Erfolge dokumentieren - und das momentane Wohlbefinden ein, sondern ebenfalls die Lebensführung wie Ernährung, Rauchen, Alkoholkonsum, Stresssituationen oder Schlafphasen.“ Damit soll der Anreiz gesteigert werden, „regelmäßig sportlich aktiv zu sein und die eigene gesunde Lebensweise zu optimieren“.

AOK will eigene App herausbringen und prüft Vergünstigungen

Vielleicht liegt es an der Brisanz der erhobenen Informationen, dass der Zuspruch zu wünschen übrig lässt. Ganze 760 AOK-Versicherte nutzen die App derzeit, berichtet die Mitteldeutsche Zeitung. Auch wird die freiwillige Weitergabe der Gesundheitsdaten bisher nicht mit Ersparnissen belohnt. Der Vorstand der AOK Nordost, Frank Michalak, erklärt: anders als in der PKV seien in der gesetzlichen Krankenversicherung nur kleine Vergünstigungen durch Prämienprogramme erlaubt.

Aber das muss nicht so bleiben. Noch in diesem Jahr will die AOK eine eigene App herausbringen und prüfen, ob die Erfassung von Gesundheitsdaten an ein Prämienprogramm gekoppelt werden kann. Das hätten auch andere Krankenkassen gemacht, erklärt Michalak der MZ. Allerdings gehe die App der AOK schon weiter als die anderer Kassen. „Dort können sie manuell bestimmte Aktivitäten eingeben. Bei uns aber wird real life gemessen.“ Im Umkehrschluss heißt das auch: Bei Nutzung der App kann der Versicherte nicht beeinflussen, welche Daten er weitergeben will.

“In Wahrheit werden wir manipulierbar und unfrei“

Während die Versicherungen fast ausschließlich die Vorteile solcher Apps betonen -etwa die Unterstützung bei einer gesunden Lebensweise- gibt es auch mahnende Stimmen. Die Schriftstellerin Juli Zeh warnt vor einer Diktatur der Selbstoptimierung, in der jede Abweichung von einer gesunden Lebensführung sanktioniert wird. Dies könnte spätestens dann eintreten, wenn derartige Angebote nicht mehr freiwillig sind – sondern für alle Krankenversicherten verpflichtend.

„Wir folgen dem Irrglauben, unser Schicksal, sprich unsere Zukunft beherrschen zu können, indem wir ständig alles „richtig“ machen und uns unentwegt selbst optimieren – auf der Arbeit, bei Gesundheit und Ernährung, selbst bei Liebe und Sex“, sagt die studierte Juristin im Interview mit der Süddeutschen. „Alles ist Leistungssport. Wir glauben, dadurch Kontrolle über unser Leben zu gewinnen. In Wahrheit werden wir manipulierbar und unfrei“. Auch die Versicherung als Solidargemeinschaft stehe auf dem Spiel, wenn die Tarife immer individualisierter werden.

Überwachung der Gesundheit durch Arbeitgeber

Dass Juli Zehs Ängste mehr sind als nur düstere Utopie, zeigen aktuelle Entwicklungen in den USA und in Großbritannien. Laut Recherchen des ARD-Magazins Panorama statten Arbeitgeber dort ihre Angestellten mit Fitnessarmbändern und Smartwatches aus, um fortwährend ein gesundes Verhalten zu überwachen. Sogar der Schlaf werde kontrolliert: Wer dann nachts durch die Kneipen zieht und am nächsten Tag auf Arbeit durchhängt, muss mit Konsequenzen rechnen. Totalüberwachung im Sinne der Leistungsbereitschaft? Derartige Methoden kämen bereits in Anwalts- und Wirtschaftskanzleien zum Einsatz, auch in Telekommunikationsunternehmen.

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Für Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) ist die Überwachung der Fitnessdaten durch Arbeitgeber kein Problem, solange sie ohne Zwang stattfindet. „Die Nutzung solcher Anwendungen und Produkte soll und darf nur im beiderseitigen Einvernehmen und mit Einverständnis des Beschäftigten erfolgen“, sagte ein Nahles-Sprecher. Kann von Freiwilligkeit gesprochen werden, wenn von der Bereitschaft, sich überwachen zu lassen, der Arbeitsplatz abhängt?

AOK / Mitteldeutsche Zeitung / Süddeutsche / Versicherungsbote

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