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Uni-Klinik-Vorstand Siess zum Organspendeskandel: "Der Schaden ist massiv"

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Kritik am System: Dr. Martin Siess, Vorstand Krankenversorgung der Universitätsmedizin Göttingen. Foto: nh
Kritik am System: Dr. Martin Siess, Vorstand Krankenversorgung der Universitätsmedizin Göttingen. © Foto: nh

Göttingen. Das Lebertransplantationsprogramm an der Universitätsmedizin Göttingen (UMG) gibt es seit 2014 nicht mehr.

Es hat aber für einen enormen Image-Schaden gesorgt. Der Transplantationsskandal ging von Göttingen aus. Wir sprachen mit dem Vorstand Krankenversorgung, Dr. Martin Siess, über die Folgen und nötige Veränderungen, in der UMG und im System.

Herr Siess, das Urteil im Transplantationsprozess steht bevor. Wie groß war der Schaden?  

Dr. Martin Siess: Nach Bekanntwerden der Vorgänge war da eine Schockstarre, dass so etwas bei uns passieren konnte. Im Rückblick nach zweieinhalb Jahren bleiben nachhaltig die Auswirkungen auf das Gesamtsystem und der Rückgang der Organspenden. Mit der Folge, dass viele Menschen keine Organe bekommen, die dringend welche benötigen. Insgesamt kann man gar nicht ermessen und feststellen, wie groß der Schaden ist, der daraus entstanden ist.

Und für die UMG? 

Siess: Für uns war der Image- und Reputationsschaden massiv. Er lässt sich aber auch nicht wirklich messen. So haben wir im klinischen Betrieb nicht gespürt, dass die Patienten das Vertrauen in die UMG verloren haben. Ganz im Gegenteil: Wir haben kontinuierlich steigende Patientenzahlen. Aber der Imagesschaden, der politische Schaden, der Reputationsschaden ist groß.

Was hat geholfen? 

Siess: Vieles wurde kompensiert. Es wurde wahrgenommen, dass wir schnell informiert und aufgeklärt haben, Untersuchungen unterstützt und gefordert haben. Wir haben Umstellungen personell vorgenommen, das Transplantationsprogramm neu aufgestellt.

Wurde das Lebertransplantationsprogramm aus Imagegründen geschlossen? 

Siess: Nein, definitiv nicht. Beim LTX-Programm mit rund 20 Transplantationen pro Jahr stand sowieso zur Überlegung, ob man bei dieser Größe nicht mit einem anderen Zentrum kooperieren sollte. Das tun wir und versorgen Leberkranke, viele mit Leberkrebs. Wir werden den Onkologieschwerpunkt weiter ausbauen.

Was haben Sie intern getan, um eine bessere Kontrolle der Kliniken zu erreichen? 

Siess: Da spielt uns unsere langfristige Strategie in die Hände: Wir haben interdisziplinäre Zentren gegründet, wie auch das Herzzentrum, Krebszentrum (CCC) oder Brustzentrum, die es schon seit Jahren gibt. Dabei arbeiten Ärzte aus verschiedenen Bereichen intensiv zusammen. Der Austausch und die Transparenz sind so institutionalisiert. Das verhindert intime Zustände und Alleingänge. Dazu kommt positiv der Generationswechsel von Mitarbeitern, den wir mittlerweile haben. Wir haben neue Klinikdirektoren berufen, andere sind aus Altersgründen ausgeschieden. Wenn jemand 25 Jahre jünger ist, dann hat er eine ganz andere Prägung.

Und das Organvergabe- und Kontrollsystem? Muss der Staat nicht eingreifen? 

Siess: Ja, ganz klar. Die Überwachungsstrukturen in den Zentren müssen professionalisiert werden, wie in anderen Einrichtungen auch, wo härtere Regeln gelten – so in der Onkologie. Es gibt in der Bundesärztekammer (BuÄK) sicher engagierte Leute, aber die machen ihre Prüfungs-und Überwachungsaufgaben ehrenamtlich mit geringsten Mitteln. Dabei reden wir über einen der größten Medizinskandale nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland. Wenn wir uns international vergleichen, zum Beispiel mit den USA und der Schweiz, dann sind wir von hauptamtlichen Strukturen im Transplantationswesen mit einer Unabhängigkeit und professionellen Ausstattung sehr weit entfernt. Das steht einem hoch entwickelten Land wie Deutschland überhaupt nicht gut an. Wie eine weitergehende Professionalisierung gehen kann zeigen andere Länder.

Woran hapert es? 

Siess: Es fehlt der politische Ruck und Wille zu weitergehenden Strukturreformen im Transplantationswesen bei Parlamentariern und auch der Bundesregierung. Man braucht den Mut, Dinge staatlich zu regeln und dann – wie beim Paul-Ehrlich-Institut – in unabhängige Hände zu geben, die das sauber und wertfrei nutzen können. Die Selbstverwaltung wie heute mit Querverbindungen funktioniert nicht wie erhofft. Wir brauchen praktisch einen Transplantations-TüV. Die jetzige Überprüfungskommission ist hier am Limit, finanziell und strukturell nicht in der Lage, das jenseits von Stichprobenprüfungen zu gewährleisten.

Gibt es in der UMG noch Bonusverträge für Chefärzte? 

Siess: Nein. Es gab nur einen solchen Vertrag, das ist der, der jetzt vor Gericht ein Thema war. Diesen Vertrag hatten wir bereits geändert, als Dr. O. 2011 noch an der UMG arbeitete. Es gibt ansonsten überhaupt keine Chefarzt-Verträge an der UMG – und meines Wissens auch nicht in anderen Kliniken – , die an irgendwelche Fallzahlen gekoppelt sind.

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