Sachverständiger schießt sich mit einer Äußerung ins Abseits - Neuer Prozess? Bamberger Chefarzt bald frei?

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 Foto: red

Dem Prozess um den Bamberger Chefarzt Heinz W. (49), der zwölf Patientinnen betäubt haben soll um sich dann an ihnen zu vergehen, droht erneut eine Verlängerung: W.s Verteidiger lehnen einen weiteren Sachverständigen ab – und das zum zweiten Mal. Brisant: Es ist der Mediziner, auf dessen Gutachten die Anklage fußt. Zwei Äußerungen des Gerichtsmediziners könnte ihm zum Verhängnis werden. Der Prozess könnte von vorne beginnen. Und W. könnte auf freien Fuß kommen.

 
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Sie sitzen sich gegenüber, von Angesicht zu Angesicht: die vier Sachverständigen und der Angeklagte. Während W. seine medizinischen Ausführungen macht, beobachten sie ihn scharf, manchmal stellen sie Fragen. Und nur selten beantwortet sie der Angeklagte W.

Den psychiatrischen Gutachter, den Münchner Norbert Nedopil (65), lehnt W. von Anfang an ab. Seine Verteidiger sehen „keine Notwendigkeit“, W. sei kein Fall für den Psychiater. Jetzt steht auch Dieter Patzelt (73), Gerichtsmediziner aus Würzburg, auf deren Abschussliste. Erstens sei er fachlich kein Gefäßmediziner wie der Angeklagte – und zweitens sei er voreingenommen. „Inhabil“, nennt Anwalt Klaus Bernsmann aus Bochum das.

Bernsmann schließt das aus seinen Äußerungen: Patzelt schrieb in einer Stellungnahme ans Gericht, dass „die Details, auf deren Darstellung Dr. W. bei der Bildfertigung besonderen Wert legte, erst in der Hauptverhandlung“ thematisiert bzw. präzisiert worden seien. Damit zeige der Gutachter, so die Verteidiger, wie er an den Fall W. herangehe: Indem er nicht von der Unschuld W.s ausgehe.

Normalerweise hätte er davon ausgehen müssen, dass W. die Bilder vom Intimbereich seiner Patientinnen sehr wohl nur aus medizinischen Zwecken gemacht hätte. Der Staatsanwalt dagegen sieht in den Fotos den Beweis dafür, dass W. diese zu seiner Befriedigung gemacht habe, nachdem er sexuelle Handlungen an den Frauen vorgenommen habe. Medizinische Untersuchungen seien es gewesen, sagt hingegen W.

Dass Gutachter Patzelt diesen „besonderen Wert“ von – medizinischen – Details auf den Fotos erst bei der Hauptverhandlung erkannt haben will, zeige, dass er falsch an die Sache herangegangen sei. Richtig wäre es gewesen, so die Verteidiger in ihrem Antrag, so lange davon auszugehen, dass W. Recht hat, bis ihm das Gegenteil bewiesen werden könne. Fazit der Verteidiger: Nur wer von Vorneherein davon ausgehe, dass Dr. W. „sexuelle Handlungen“ vorgenommen haben müsse, werde „bei Aufnahmen, die in medizinischen Zusammenhängen massenhaft praktiziertem Alltag entsprechen“, nicht intensiv der Frage nachgehen, ob diese Handlungen nicht doch eine „klinische oder wissenschaftliche Intention“ erkennen lassen.

Und noch eine Äußerung Patzelts könnte dafür sorgen, dass der Prozess von vorne beginnt. Auch hier geht es um die Fotos, die W. angefertigt hat. Patzelt lag eine Kopie der Festplatte des Chefarztes vor. Auf dieser waren die Fotos in sehr guter digitaler Qualität. Patzelt aber hat sich nach eigenen Angaben die Fotos auf Papierausdrucken angeschaut – in deutlich schlechterer Qualität. Behauptete aber vor Gericht, dass die Qualität die gleiche gewesen sei.

Allerdings, so die Verteidiger, sei auf den deutlich verwascheneren Papierausdrucken gar nicht klar zu erkennen, um welche – medizinische – Handlungen es sich bei W. gehandelt habe. Trotzdem hat der Sachverständige sein Gutachten, das zur Anklage führte, nur die Papierausdrucke angeschaut. Und dies erst vor Gericht eingeräumt.

W. betont seit Anfang des Prozesses vor einem Monat, dass es bei seinen Forschungen um ein äußerst seltenes Krankheitsbild der Venen gehe, das fast nur bei sehr schlanken Frauen vorkomme. Mit den Fotos wollte er diese gefährdeten Venen sowie deren Verlauf und Form dokumentieren. Eben dies will dem Gutachter, so die Anwälte W.s, "erst in der Hauptverhandlung aufgefallen sein". Und das wiederum belege "sein voreingenommenes, unreflektiert Vorurteilstrukturen bedienendes Herangehen an den Sachverhalt".

Wird der Gutachter tatsächlich abgelehnt, könnte der Prozess noch einmal von vorne beginnen. Denn er saß während der ganzen Beweisaufnahme bereits im Gerichtssaal und stellte Fragen. Ein neuer Gutachter könnte nicht ohne weiteres in den Prozess einsteigen. Außerdem könnte W. auf freien Fuß kommen. Erst einmal. Denn er darf nicht unnötig lange in Untersuchungshaft bleiben. Dort sitzt er seit August vergangenen Jahres. Wird ein neuer Gutachter bestellt, wird es dauern, bis er sich eingearbeitet hat. Ein am Prozess Beteiligter zum Kurier: „Es wird eng.“

W. war nicht mehr bereit, in Anwesenheit des Gutachters auszusagen. Der Prozess ist unterbrochen. Ob er am Donnerstag wie geplant fortgesetzt wird, ist offen.

Bereits mehrfach hat der Kurier über die Anklage und den Prozess gegen den Bamberger Chefarzt berichtet:

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