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Lobbyismus Wie ein Lobbyist der SPD Termine mit SPD-Politikern vermittelte

Die SPD-Zentrale in Berlin (Archivbild): Was weiß die Parteiführung über die zweifelhaften "Rent-a-Sozi"-Geschäfte?
Die SPD-Zentrale in Berlin (Archivbild): Was weiß die Parteiführung über die zweifelhaften "Rent-a-Sozi"-Geschäfte?
© Rolf Kremming/DPA/PICTURE ALLIANCE
Bizarre Wendung des "Rent-a-Sozi"-Skandals: Die umstrittene Lobbyfirma WMP half mit, SPD-Amtsträger für Kamingespräche des SPD-Blatts "Vorwärts" zu gewinnen. Auch mit dabei: der Pharmakonzern "Sanofi".

Es war zwei Tage vor Heiligabend 2016, als die SPD versuchte, einen Schlussstrich unter die für sie so peinliche "Rent-a-Sozi"-Affäre zu ziehen. Während sich im Land friedliche Weihnachtsstimmung breitmachte, veröffentlichte die Partei am 22. Dezember rasch noch die Ergebnisse einer internen Untersuchung zu der Sache – also zu den von einer SPD-Firma organisierten Runden mit Ministern oder Staatssekretären, bei denen Firmenvertreter als zahlende Sponsoren teilnehmen durften.

Einen Monat zuvor waren brisante Details zu den sogenannten "Vorwärts"-Gesprächen durch einen Beitrag des ZDF-Magazins "Frontal 21" bekanntgeworden. Auch der stern griff den Fall auf und machte weitere Einzelheiten publik. Die SPD stellte die Veranstaltungsreihe damals flugs ein. Zugleich beteuert die Partei bis heute eins: Die Firmenvertreter durften sich angeblich nicht aussuchen, mit welchem sozialdemokratischen Amtsträger sie sich – oft im Berliner Edelrestaurant "Il Punto" – treffen sollten. Also kein echtes Miet-Sozi-Modell. Sondern eher eine Art Blind Date mit einem zufällig ausgewählten Minister – wenn auch zu gesalzenen Preisen von bis zu 7000 Euro.

Früher bei Ulla Schmidt, jetzt bei WMP

Ein damaliger Mitarbeiter aus dem SPD-Firmenreich hatte das in dem ZDF-Beitrag anders dargestellt. Jetzt gibt es neue Zweifel an der offiziellen Darstellung. Und es stellt sich heraus, dass die SPD einen nicht ganz unwichtigen Aspekt der Sache bis heute nicht offen gelegt hat: Bei einem Teil der "Vorwärts"-Kamingespräche half ein Lobbyist einer umstrittenen Agentur bei der Vorbereitung.

Die Rede ist von der PR- und Lobbyagentur "WMP Eurocom" – beziehungsweise von deren Tochterfirma "WMP Healthcare". Mit den Kunden und den Methoden von WMP hat sich der stern schon öfter beschäftigt. Der Aufsichtsrat der Agentur wird bis heute von dem ehemaligen "Bild"-Chefredakteur Hans-Hermann Tiedje geführt. Er hat sich immer wieder mit allerlei ehemaligen Stasi-Leuten umgeben und schilt zugleich gerne Angela Merkel für ihre Flüchtlingspolitik. Sie sei "der größte Gewinner der Einheit", spottete Tiedje einmal: "Sie kann jetzt mit Messer und Gabel essen."

Ausgerechnet zu Teilen der SPD unterhält der WMP-Mann zugleich schon seit längerer Zeit gute Beziehungen. So ist bei "WMP Healthcare" auch Ulrich Peter Josef Tilly führend aktiv, 59 Jahre alt, Sozialdemokrat und bis Ende 2009 rechte Hand der damaligen SPD-Gesundheitsministerin Ulla Schmidt.

Als Partner bei "WMP Healthcare" bereitete Tilly mehrere "Vorwärts"-Kamingespräche zum Thema Gesundheitswirtschaft vor, die dann vom Pharmakonzern "Sanofi" finanziert wurden. Die offiziell von der SPD veröffentlichte Liste aller 35 gesponserten Gesprächsrunden führt insgesamt sechs auf, die seit Ende 2011 von "Sanofi" bezuschusst wurden, mit Teilnehmern wie den SPD-Abgeordneten Elke Ferner, Hubertus Heil, Florian Pronold und der SPD-Gesundheitssenatorin von Hamburg, Cornelia Prüfer-Storcks.

Pharmakonzern "Sanofi" zahlte für sechs SPD-Gespräche

Hatte "Sanofi" wirklich keinerlei Einfluss bei der Auswahl dieser Gesprächspartner? Neue Fragen werfen jetzt interne Mails aus dem Wirtschaftsministerium auf, die dem stern vorliegen. In einer solchen Mail vom 17. November 2014 wandte sich der "WMP-Healthcare"-Partner Ulrich Tilly an seinen Parteifreund Matthias Machnig. Der war gerade zum Staatssekretär im damals noch von Sigmar Gabriel geführten Wirtschaftsressort avanciert. "Lieber Matthias", schrieb ihm Tilly, gratulierte zum neuen Job – und lud ihn zu einem "Vorwärts"-Kamingespräch zum Thema "Gesundheitswirtschaft" im Februar oder März 2015 ein.

"Mach ich", antwortete Machnig gleich am Tag darauf. Am 4. März 2015 kam es dann tatsächlich zu dem Kamingespräch zum Thema "Gesundheitswirtschaft in Deutschland: Innovationen und Fortschritt". Es wurde bezuschusst von Pharmariese "Sanofi" – und fand wieder mal im "Il Punto" statt.

Noch Ende November 2016 hatte das Wirtschaftsministerium zwar Machnigs Auftritt bei diesem Termin bestätigt, aber Tillys Rolle nicht erwähnt. "Welche Wirtschaftsvertreter anwesend waren, ist hier nicht bekannt", behauptete das Ministerium gar – als hätte Machnig gar nicht so genau gemerkt, mit wem er da redete. "Angesichts der Vielzahl der Termine, die Staatssekretär Machnig wahrnimmt, sind ihm die Teilnehmer auf einzelnen Veranstaltungen nicht erinnerlich", bekräftigte jetzt das Wirtschaftsministerium.

Interessant auch, was Tilly in seiner Anbahnungsmail vom 17. November 2014 noch so alles verriet. Er zählte die "Vorwärts"-Kamingespräche mit den SPD-Politikern Ferner, Heil, Pronold und Prüfer-Storcks auf - sowie eine offenbar von keiner Firma bezuschusste und daher von der SPD bisher nicht veröffentlichte weitere Runde mit Edgar Franke. Der SPD-Abgeordnete Franke amtiert seit Anfang 2014 als Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des Bundestages. Für all diese Runden galt laut Tilly eins: "Die inhaltlichen Absprachen und  die Vorbereitung habe ich jeweils übernommen."

Die Agentur "WMP Healthcare" hatte Tilly im Dezember 2012 gegründet, zusammen mit Tiedje, der damals die Mutterfirma "WMP Eurocom" noch als Vorstandschef führte. Zumindest die "Vorwärts"-Gespräche mit Pronold, Prüfer-Storcks und Edgar Franke tütete Tilly also offenbar bereits zu seinen WMP-Zeiten ein. Vorher war er zeitweise für die SPD-nahe Lobbyagentur "Wiese Consult" tätig.

Warum braucht man einen Lobbyisten, um SPD-Gespräche mit SPD-Politikern vorzubereiten?

Aber warum braucht man eine private Lobbyagentur wie WMP, um einen sozialdemokratischen Staatssekretär zu einem Kamingespräch einer SPD-Firma zu laden?

Und wer bezahlte WMP für diese Dienstleistung? "Sanofi"? Die SPD? Oder half die Agentur unentgeltlich? Um sich in der SPD einfach mal nützlich zu machen und auf diese Weise die Kontakte zu pflegen?

Hier Antworten zu bekommen, ist gar nicht so einfach. Tilly reagierte überhaupt nicht auf Fragen des stern. In der SPD brauchten sie zweieinhalb Tage, um dann über Parteisprecherin Anja Strieder zu verbreiten, dass Fragen zu den "Vorwärts"-Gesprächen - anders als bisher gehandhabt - größtenteils "nicht in die Zuständigkeit des SPD-Parteivorstandes" fielen. Der stern möge direkt beim - von der SPD kontrollierten - "Vorwärts" nachfragen. Nein, keinesfalls könne die SPD die Fragen an den "Vorwärts" weiterleiten, bedauerte die SPD-Sprecherin. Die "Vorwärts"-Chefredakteurin wiederum erklärte sich ebenfalls für nicht zuständig und verwies an die – zu 100 Prozent vom "Vorwärts" kontrollierte – Tochterfirma NWMD. Am Ende antwortete deren Geschäftsführerin Kerstin Thomberg: Es habe lediglich "eine lose Zusammenarbeit" mit Ulrich Tilly gegeben, aber keine Verträge mit "Wiese Consult" oder WMP. Und es sei auch kein Geld an oder von Tilly und den beiden Firmen geflossen.

"Sanofi" schrieb, es sei der Firma "ein Anliegen" zu "bestimmten Interessenvertretern aus dem gesundheitspolitischen Umfeld Kontakt zu halten". Konkrete Fragen zu dem Verhältnis des Pharmakonzerns zu WMP ließ "Sanofi" zugleich unbeantwortet, versicherte aber: "Transparenz bei diesen Aktivitäten ist für uns selbstverständlich."

Beide Firmen hatten aber offenkundig nicht nur bei den SPD-Kamingesprächen miteinander zu tun. Im Dezember 2015 lud der "Tagesspiegel" zu einem "Fachforum Gesundheit" in sein Verlagshaus in Berlin. Das Thema war "Cholesterin: Stille Gefahr oder lukrative Erfindung?" "Sanofi" – das Pharmaunternehmen hatte zufällig gerade ein neues Mittel zur Cholesterinsenkung auf dem Markt – unterstützte die Runde finanziell und entsandte seinen "medizinischen Leiter". Die Moderation übernahm Ulrich Tilly von WMP.

Sigmar Gabriel Gast auf der WMP-Weihnachtsfeier

Und wie gesagt: Der schillernde Ruf der Agentur WMP stand guten Beziehungen mit prominenten Sozialdemokraten bisher nicht im Weg. Im Aufsichtsrat sitzt schon seit Jahren - neben Ex-Politikern von CDU und Grünen - auch der ehemalige Finanzminister Hans Eichel. Im Vorstand wirkte bis Februar der ehemalige SPD-Parteisprecher Lars Kühn. Der erschien auch bei der Mitgliederversammlung des 2015 gegründeten Wirtschaftsforums der SPD am 5. September 2016. In dem tummeln sich – das nur nebenbei - überhaupt eine Menge Lobbyisten, von großen Firmen wie "Bosch", "Rewe" oder "British American Tobacco", aber auch aus Lobbyfirmen wie "Burson-Marsteller", PKS oder eben WMP.

WMP wiederum lädt alljährlich Freunde und Geschäftspartner zur Weihnachtsfeier. Zu diesen Feiern gehört regelmäßig eine Gastrede des Journalisten Henryk Broder. Er ist wie Tiedje ein Mann, der Kontroversen nicht scheut. Auf der jüngsten Weihnachtsfeier am 15. Dezember 2016 erschien außerdem ein ganz besonders prominenter Besucher: Sigmar Gabriel, damals noch SPD-Chef und Wirtschaftsminister.

Einige Gäste der Feier sollen ziemliche Augen gemacht haben.

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