Gesundheitssystem in Thailand

Geheilt wird, wer Geld hat

Ein Aids-Patient sitzt auf einem Krankenbett im buddhistischen Wat Phra Baat Namphu-Temple, 150 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bangkok.
Ein Aids-Patient sitzt auf einem Krankenbett im buddhistischen Wat Phra Baat Namphu-Temple, 150 Kilometer nördlich der Hauptstadt Bangkok. © picture alliance / dpa / Narong Sangnak
Von Margarete Blümel  · 06.06.2017
Der Gesundheitstourismus in Thailand boomt. Etliche private Kliniken machen gute Geschäfte mit den Gästen aus dem Ausland. Reiche Thailänder können sich diese Versorgung ebenfalls leisten. Arme hingegen müssen sich im Krankheitsfall eher auf ihre Verwandten verlassen.
"Ich schreibe gerade auf, was mit meinem Körper passieren soll, wenn ich gestorben bin. Ich habe Asthma, hohen Blutdruck und meine Knochen machen nicht mehr mit."
Chompoo Kunakorn ist klein und schmächtig. Sie trägt einen verschlissenen Rock, den sie mit einer Kordel zusammengebunden hat und eine geflickte, dunkle Bluse. Mit Tränen in den Augen schaut Chompoo Kunakorn resigniert vor sich hin.
"Meinen Körper vermache ich den Ärzten, damit sie den Studenten etwas beibringen können. Andauernd habe ich Schmerzen. Jetzt ist noch eine Geschwulst hinzugekommen und der Doktor hat mir ein Stück des Darms weggeschnitten. Ich habe genug."
Geschwächt und atemlos, wie die Achtundsechzigjährige ist, schafft sie es nicht einmal sich zu erheben, um ihren Besucherinnen die Hand zu schütteln. Ihr Mann ist vor zehn Jahren verstorben. Zusammen mit drei Verwandten bewohnt sie ein kleines Zimmer in einem Slum im Norden Bangkoks.
Die Witwe leidet von klein auf an Asthma. Auf dem wackeligen Regal neben ihrer Matratze steht der Inhalator, den sie vor drei Monaten geschenkt bekommen hat. Das erste Inhaliergerät ihres Lebens.
Chompoo Kunakorn ist nicht krankenversichert. Luftnot, Schwindel und Schmerzen begleiten sie seit vielen Jahren. Dennoch hat Frau Kunakorn nie einen Sinn darin gesehen, sich bei der sogenannten "30-Baht-Versicherung" anzumelden.
Die Gesundheitskarte, die armen Thailändern gegen ein Entgelt von umgerechnet 80 Cent kostenlose Krankenhausbehandlung verspricht, wird von der Regierung subventioniert. Sieben Euro im Monat erhält ein Hospital für die Behandlung mittelloser Patienten. Das ist auch in Thailand wenig. Die staatlichen Krankenhäuser machen deshalb regelmäßig Verluste in Millionenhöhe.

Wer es sich leisten kann, geht in eine Privat-Klinik

Wer es sich erlauben kann, lässt sich in einer privaten Klinik untersuchen und behandeln, wo allein die Ultraschalluntersuchung einer Schwangeren 40 Euro oder mehr kostet. Aber hier zumindest wird das Gerät gewartet. Außerdem gibt es Röntgenapparaturen und geschultes Personal, das die Ergebnisse auszuwerten versteht.
Wenig einladend ist auch die Aussicht auf die Patientenschlangen vor den staatlichen Kliniken, die meist so lang sind, dass viele der Wartenden am Ende des Tages unverrichteter Dinge nach Hause zurückkehren müssen. Und Frau Kunakorn zum Beispiel könnte es sich nicht erlauben, noch einmal den Bus zu bezahlen, um es möglichst gleich am nächsten Morgen wieder zu versuchen.
"Vor ein paar Jahren hat die Regierung eine kleine Rente für Senioren und Invaliden eingeführt. Aber ich muss allein drei Mal so viel für das Zimmer und den Strom bezahlen. Also verkaufe ich nebenbei noch ein paar Lebensmittel, auch wenn der Gewinn daraus eigentlich nicht der Rede wert ist. Mein Leben ist so schwierig geworden. Ich kann mich auf niemand wirklich stützen." ( weint )
Als die Geschwulst an ihrem Hals vor ein paar Monaten zusehends größer und Chompoo Kunakorn immer dünner wurde, benachrichtigte eine Nachbarin die Duang Prateep Foundation. Prateep Ungsongtham Hata, die Leiterin der Nichtregierungs-Organisation, stellte Frau Kunakorn einem Spezialisten vor. Vielleicht ein halbes Jahr zuvor, sagte der Arzt nach eingehender Untersuchung, hätte man noch etwas für die Kranke tun können. Jetzt habe der Tumor aber bereits so sehr gestreut, dass eine Behandlung sinnlos sei.
"Wer hierzulande genug Geld hat, geht in ein Privatkrankenhaus, lässt sich dort gut versorgen und mit hochwirksamen Medikamenten behandeln. Während arme Leute sich eben mit den für sie vorgesehenen Leistungen zufrieden geben müssen."
Dennoch sind inzwischen knapp 50 Prozent aller Thailänder mangels Alternativen der "30-Baht-Versicherung” beigetreten, während jeder Fünfte aus Unwissenheit über keinerlei Versicherungsschutz verfügt. Trotz mehrmaligen Nachfragens lässt sich keine Stellungnahme des Gesundheitsministeriums zur medizinischen Schieflage bekommen.

Enorme Wartezeiten

Knapp die Hälfte aller Thailänder, fasst Prateep Ungsongtham Hata noch einmal zusammen, hat theoretisch Anspruch auf das Nötigste – auf elementare Gesundheitsleistungen inklusive Arztbesuch und Krankenhausaufenthalt.
"Die Medikamente, die man den armen Leuten gibt, sind allerdings nicht immer die besten und es dauert, bis die Behandlung endlich anschlägt. Und die Wartezeiten sind enorm lang! Denn die Ärzte sehen oft mehr als 100 Patienten pro Tag."
Auf dem Land sei die Situation noch weit schlimmer. Hier seien sowohl Ärzte als auch Krankenhäuser Mangelware - von Rettungswagen ganz zu schweigen. In akuten Notfällen entscheide dann der eigene PKW oder das nötige Kleingeld für ein Taxi in die nächstgrößere Stadt über Leben und Tod.
Doch selbst in der Hauptstadt Bangkok ist der öffentliche Rettungsdienst schlecht aufgestellt. Oft sind die Ambulanzfahrzeuge unzureichend ausgerüstet und das geschulte Begleitpersonal fehlt. Und auch Thailänder mit einer privaten Krankenversicherung sind vor Unglück nicht gefeit.
Mit unbewegter Miene blickt die Buddha-Statue vom Armaturenbrett des privaten Ambulanzwagens in den schier endlosen Stau, der die Straßen und Gassen rund um das Viertel Chinatown lähmt. Ab und an schieben sich die Taxen, Busse und Privatfahrzeuge in der gleißenden Sonne Bangkoks ein paar Zentimeter weiter nach vorn, um dann wieder reglos, Stoßstange an Stoßstange, auf die nächste Chance zu warten.
Der Fahrer des Rettungswagens hat die Sirene ausgestellt. Im Fond besprenkelt ein Helfer das Gesicht des auf der Bahre liegenden Kranken mit Wasser, fühlt seinen Puls und nickt dem Kollegen zu. Stabil! Er schiebt dem Patienten ein zweites Kissen unter den Kopf.
Hätte der Fahrer eine Schwangere im Wagen, könnte er eventuell auf zusätzliche Hilfe setzen. Weil Frauen in Bangkok immer wieder ihre Kinder im Stau zur Welt bringen, wurde eine Spezialeinheit gegründet, der 22 Polizisten angehören. Diese Männer sind darin geschult, medizinische Notfälle im stockenden Verkehr zu versorgen und Geburtshilfe zu leisten. Im vergangenen Jahr haben mithilfe von Bangkoks Polizeibeamten 18 Babys inmitten des Verkehrsgewühls das Licht der Welt erblickt.
Thailändische Verkehrspolizisten bei einer Geburtsübung in Bangkok. Wegen notorischer Dauerstaus mussten schon zahlreiche Frauen im Auto gebären.
Thailändische Verkehrspolizisten bei einer Geburtsübung in Bangkok. Wegen notorischer Dauerstaus mussten schon zahlreiche Frauen im Auto gebären.© picture alliance / dpa / Rungroj Yongrit
Wenn es darauf ankommt, sind aber auch die Mitarbeiter der "Poh Teck Tung Foundation" meist nicht weit - festangestellte und freiwillige Kräfte, die der buddhistischen Organisation die Treue halten, betont ihr Manager Ung An Pienprasad Siri. Die Stiftung finanziert sich aus Spenden und betreibt nicht nur eigene Krankenhäuser, sondern auch moderne Rettungswagen für Bangkok und Umgebung.
"Unsere Ambulanzfahrzeuge sind für alle medizinischen Notfälle gerüstet. Beatmung und Wiederbelebung etwa gehören zu unserem Standardprogramm. Und in unseren Krankenhäusern bieten wir armen Leuten das komplette Spektrum unserer Leistungen kostenlos an."

Freiwillige kümmern sich um Unfallopfer

Weil die Polizei nicht über genug Personal verfügt, kümmern sich Angehörige der Organisation Tag und Nacht auch um die Unfallopfer auf Bangkoks Straßen. Sie holen die Leichen von Selbstmördern ab und nehmen sich der Menschen an, die nach Anschlägen verletzt oder tot zurückbleiben.
Manchmal allerdings kommen ihnen selbsternannte "Soforthelfer" zuvor – Landsleute, die die Schwächen des öffentlichen Gesundheitssystems ausnutzen, den Polizeifunk abhören und dann zum Ort des Geschehens eilen.
"Leute, die von einem Unglück betroffen sind, können meist nicht klar denken. Und diese skrupellosen 'Helfer' knöpfen den Verwandten dann vor Ort zum Beispiel viel Geld dafür ab, die Leiche wegzubringen. Oder sie laden den Verletzten in ihren Wagen und karren ihn in irgendein Krankenhaus. Oft genug stecken sie mit den Betreibern der privaten Kliniken sogar unter einer Decke! Wir tun, was wir können, um rasch an Ort und Stelle zu sein. Trotzdem profitieren diese so genannten Soforthelfer immer noch viel zu oft von all dem Unglück."
90 Prozent der Krankenhäuser Bangkoks sind in privater Hand und nehmen Patienten nur gegen Bezahlung auf. Auch in anderen größeren Städten, in denen sich viele Touristen aufhalten, gibt es solche Krankenhäuser, die meist vorbildlich geführt sind und in denen es an nichts mangelt.
Dass arme Thailänder von alldem nicht profitieren, hat einen einfachen Grund, sagt Natalie Paholyothin von der Rockefeller Stiftung Bangkok.
"Die Auswirkungen des Medizintourismus auf das thailändische Gesundheitssystem – dieses Thema ist im Moment wieder einmal in aller Munde."

Es gibt alles - aber nicht für alle

In Bangkoks Privatkliniken sind bestens ausgebildete Ärzte angestellt. Das Leistungsangebot dieser Hospitäler hält dem Vergleich mit westlichen Krankenhäusern mühelos stand: von Hüft- über Herz-OPs, Tumor- über Dialysebehandlungen bis hin zu Geschlechtsumwandlungen und Schönheitsoperationen. Es gibt alles. Nur ist dieses "alles" leider nicht für alle da.
"Thailand ist immer noch ein armes Land. Und die Besucher aus dem Ausland, die wegen gesundheitlicher Beschwerden hierher kommen, haben viel Geld. Sie logieren in luxuriösen Privatkliniken und nehmen gleich zwei Krankenschwestern für sich allein in Beschlag – qualifizierte, handverlesene Kräfte, die von den privaten Krankenhäusern abgeworben werden. Das ist ungerecht: Denn so gerät natürlich das Gesundheitssystem aus den Fugen."
Alexandre Frenkel, General Manager des Amari Boulevard in Bangkok, sitzt beim Frühstück. Die Kundschaft seines Hotels ist international. Oft sind es arabische Gäste: Frauen in bodenlangen schwarzen Gewändern, mit lackierten Fußnägeln und henna-verziertem Handrücken, Männer in Jeans oder in traditionellen weiten Gewändern.
"Die Infrastruktur von den großen Spitalen hier in Thailand ist ein bisschen wie ein 5-Sterne-Hotel, wie es funktioniert. Und die haben Leute, Interpreter, für ziemlich jede Sprache."
Der Hotelmanager ist lange genug vor Ort, um zu wissen, dass viele Thailänder von einer solchen Krankenversorgung nicht einmal zu träumen wagen würden.
"Es gibt alles unter einem Dach. Wenn Sie einen Health-Check machen, den Full Package nehmen - Sie gehen in Zahnarzt, Sie gehen in Optik und das wird alles innerhalb drei Stunden gemacht. Und der nächste Tag, dann Sie kriegen die Ergebnis. Es ist nicht wie in viele Klinik in Europa, wo die nachher alles ins Labor schicken müssen. Die haben alles dort."
Terroranschläge, die Militärregierung und der Tod König Bhumibols, der als wichtigster Kontinuitätsträger galt, werfen ihre Schatten auf die Tourismusindustrie.
Doch der Gesundheitstourismus ist und bleibt ein stabiler Faktor. Wegen der Qualität und der günstigen Preise, aber auch aufgrund des vielgepriesenen thailändischen Naturells. Die meisten Besucher nehmen Thailänder als freundlich, heiter und geduldig wahr - Eigenschaften, die den Kurzurlaub versüßen und einem längeren Klinikaufenthalt im Land die Schwere nehmen.

Mit Erbrechen gegen Drogensucht

Im Dschungel, 130 Kilometer von Bangkok entfernt, spielen solcherlei Annehmlichkeiten keine Rolle.
Auf dem Gelände der buddhistischen Tempelanlage Wat Thamkrabok sind Drogensüchtige untergebracht. Sie leben in Gemeinschaftsunterkünften, einen Arzt sehen sie nur im Notfall. Die Sauna, in der sie zwei Mal täglich ihre schwergebeutelten Körper zum Glühen bringen, ist eine krude Hütte, in der sie versuchen, das Gift aus ihrem Organismus auszuschwitzen.
Und die Medizin, sagt der stellvertretende Abt, Vijit Akarajitto, ist ein von den Mönchen zubereiteter Kräutertrunk, der dazu dient, die Kranken zum Erbrechen zu bringen.
"Wir ermuntern die Teilnehmer dazu, früh aufzustehen und zu meditieren. Dann folgen Sport und Saunagänge, um das Gift aus dem Körper zu schwemmen. Danach steht das Reinigungs-Erbrechen auf dem Programm. Wir bieten Gespräche an. Außerdem sind uns die spirituellen Elemente wichtig: So legen wir den Kranken ans Herz, sich abends zu den Mönchen zu setzen, die dann gemeinsam rituelle Lieder singen."
Hunde dösen im Schatten hoher Bäume, während ein paar Mönche in bodenlangen roten Roben die Gemüsegärten pflegen oder zusammen mit den Patienten und Patientinnen in einer Werkstatt Buddha-Figuren anfertigen.
"Unsere Patienten müssen einen Eid ablegen, der sie dazu verpflichtet, nie mehr mit Drogen in Berührung zu kommen. Wenn sie das beherzigen, dann führt dieser Schwur sie aus der Spirale heraus, in der sie sich die ganze Zeit befunden haben. Er wird zu ihrem spirituellen Rettungsanker."
Die Gäste haben nur einen Versuch: Werden sie rückfällig, können sie nicht mehr ins Kloster zurückkehren. Die Entzugsbehandlung in der Tempelanlage ist sehr preisgünstig und für Kranke, die kein Geld besitzen, sogar kostenlos.
Etwa 85 Prozent der Klienten sind Thailänder. Die staatlichen Krankenhäuser nehmen Drogenabhängige mangels Kapazitäten nur in lebensbedrohlichen Notfällen auf.
Ein Drogenabhängiger bei der Entzugstherapie im buddhistischen Kloster Wat Thamkrabok in Thailand.
Ein Drogenabhängiger bei der Entzugstherapie im buddhistischen Kloster Wat Thamkrabok in Thailand.© picture alliance / dpa / Barbara Walton
Viele der Betroffenen scheinen nachhaltig von der Behandlung im Wat Thamkrabok zu profitieren. Einige der ehemaligen Kranken leben, nachdem sie die Mönchsweihe erlangt haben, im Tempel. Und mit einem Großteil der früheren Patienten stehen die Betreuer per Email und Facebook in Kontakt, sagt Vijit Akarajitto. Etwa 60 Prozent der Beteiligten, schätzt der stellvertretende Abt des Klosters, seien bisher ein Jahr nach der Therapie nicht wieder rückfällig geworden.
"Doch wenn die Klienten in ihr persönliches Umfeld zurückkehren, wird es zunächst oft noch einmal richtig schwer für sie. Dann ist es besonders wichtig, dass ihre Partner und Familien ihnen vergeben und sie immer wieder stützen."

Aids-Kranke erhalten keine Hilfe von Landsleuten

Wie schwer das sein kann mit der Vergebung und der Stütze in Thailand zeigt sich nicht nur beim Thema Drogen. Auch an Aids erkrankte Prostituierte und deren Kinder können weder vom Staat noch von ihren Landsleuten Hilfe erwarten.
"HIV ist so ein Tabu-Thema, dass auch Kinder von den Familien verstoßen werden, weil für die ist es ganz klar 'nen Todesurteil. Und du wirst innerhalb von ein, zwei, drei, vier Monaten sterben und das wollen wir hier nicht in der Familie. Und deshalb werden sie verstoßen."
Christoph Leonhard ist General Manager eines Hotels auf den Malediven und engagiert sich seit langem für karitative Projekte in Thailand. So unterstützt er auch das im Nordosten des Landes gelegene Sarnelli-Haus, in dem der Geistliche Vater Shea und seine Mitarbeiter zurzeit 155 HIV-infizierte Kinder und Jugendliche betreuen.
"Mütter, die in der Prostitution arbeiten und einen Betriebsunfall haben, gehen dahin, geben ihr Kind ab und die Arbeit geht weiter. Also es ist traurig zu sehen, aber eben aus den verschiedensten Bereichen kommen die Kinder. Zu Hause misshandelt, teilweise von Geburt aus HIV-positiv, weil eben beide Eltern infiziert sind, teilweise auch durch Vergewaltigungen später infiziert worden und irgendwann landen sie dann bei Father Shea."
Hier besuchen die Kinder eine Schule, haben die Chance, später bei einer etablierten thailändischen Hotelkette einen Job zu finden und, wichtig: Die kleinen Bewohner und Bewohnerinnen des Sarnelli House werden ärztlich betreut und der zuständigen Behörde als HIV-erkrankt gemeldet. Deshalb bekommen sie auf Staatskosten zwei Mal täglich Medikamente, die dafür sorgen sollen, dass das Virus nicht ausbricht.
"Und das weiß der einfache Mann auf der Straße nicht. Der weiß nur: Ich bin krank, es geht nicht mehr. Und es geht mehr oder weniger schnell dem Ende entgegen. Aber die Heilungsmöglichkeiten – davon wissen die meisten Menschen nichts."

Prostitution aus der Notlage heraus

Schätzungen gemäß erwirtschaftet die thailändische Rotlicht-Branche um die 14 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Etwa 450.000 Thailänder leiden an Aids. Dennoch sehen arme Eltern gerade im ländlichen Thailand oft keine andere Möglichkeit, als ihre Töchter zur Prostitution in die Hauptstadt oder in eine der Touristen-Hochburgen zu schicken.
Die Frauen senden ihren Eltern Geld, kehren aber fast nie wieder in ihre Dörfer zurück. Werden sie schwanger, treiben sie das Kind ab. Oder sie setzen das Neugeborene aus.
"Gerade gestern habe ich ein Mädchen gesehen, sechs Jahre alt, bei der der Virus ausgebrochen ist. Sie ist blind, sie kann sich nicht bewegen. Sie wurde gefunden mit ihrer zwölfjährigen Schwester irgendwo auf 'nem Feld. Da haben sie gecampt und die Schwester hat Krebse gesammelt auf den Feldern, und hat damit die beiden irgendwie probiert sie durch zu bringen.
Und irgendjemand hat dann die Sozialbehörde informiert. Dann kam das Sarnelli-Haus und hat dieses sechsjährige Mädchen aufgenommen, das quasi den ganzen Tag im Bett liegt und ab und an mal genommen wird, umhergefahren im Rollstuhl, aber es ist traurig zu sehen. Und eigentlich gibt es nichts für diese Kinder."
Ähnlich wie viele andere thailändische Kranke, die entweder gar keine oder die "30-Baht"--Grundversorgung haben, sind auch diese Kinder auf die Hilfe von Nicht-Regierungsorganisationen angewiesen.
Ob die Regierung es in absehbarer Zeit schaffen wird, die Schieflage der gesundheitlichen Versorgung in Thailand zu beheben, ist fraglich. Wegen des geringen Wirtschaftswachstums hat die Militärjunta zwar eine langfristig angelegte Wirtschaftsinitiative propagiert und zudem "echte Reformen" angekündigt. Aber davon, allen Thailändern Zugang zu qualitativ hochwertigen Gesundheitsleistungen zu ermöglichen – davon ist bis heute nie die Rede gewesen.
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