Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Die kleinste Krankenkasse will bleiben – ihr Geschäftsführer kämpft dafür

Alles von Hand: Daniel Rüegg will seine Krankenkassen-Daten nicht elektronisch erfassen.

Daniel Rüegg will selbstständig bleiben, unabhängig – und glücklich. Und genau so soll auch die Krankenkasse Turbenthal bleiben: selbstständig, unabhängig – und klein. Klein und glücklich sind für den Geschäftsführer der Krankenkasse Synonyme. Er hält kleine Organisationen grundsätzlich für besser als grosse. Die Zusammenarbeit sei einfacher, die Wege kürzer.

Zur Krankenkasse Turbenthal sind die Wege tatsächlich kürzer, als zu jeder anderen. Mitglied kann nur werden, wer entweder in Turbenthal, Wila oder Wildberg wohnt. Wer der Kasse beitreten will, kommt im Normalfall zu einem Gespräch vorbei, ins kleine rundum erneuerte rote Gebäude an der Tösstalstrasse.

Auf der einen Seite des Raumes gibt es einen Holzofen, eine Treppe führt in den Estrich. Auf der anderen Seite steht Rüeggs Schreibtisch, darauf ein Karteikasten mit den Daten aller Versicherten, zwei Büchlein und eine Taschenuhr.

Rüegg ist nicht bloss Angestellter. Er ist die Krankenkasse in Person – Geschäftsführer, Buchhalter und Experte.

Hinter dem Tisch nimmt Rüegg Platz. Er ist 63 Jahre alt, gross und hager, hat silberne Haare und trägt unter der markanten Nase einen ebensolchen Schnauz. Im Gespräch nimmt er kein Blatt vor den Mund, er spricht entschlossen und unterstreicht seine Worte mit raumgreifenden Gesten. Mal rollt er in seinem Stuhl zurück und nimmt einen Ordner oder ein Mäppchen zur Hand, mal rollt er vor und blickt seinen Gesprächspartner durchdringend an.

Rüegg ist nicht bloss Angestellter der Krankenkasse Turbenthal. Er ist die Krankenkasse in Person, er ist ihr Geschäftsführer, Buchhalter und Experte.

Ein Dorn im Augedes Bundesamtes

Dem Bundesamt für Versicherungen ist Rüegg ein Dorn im Auge. Weil er seine Daten nach wie vor im Karteikasten auf seinem Tisch aufbewahrt und nicht elektronisch, hat ihn das Amt vor Gericht gezerrt. Es sei nicht zumutbar, die auf Papier gelieferten Zahlen aus Turbenthal ins System einzutippen, sagt das Bundesamt.

30 Zahlen seien das nur, sagt Rüegg, nimmt die Jahresrechnung zur Hand und zählt. Die meisten Posten in der Rechnung kann er überspringen, weil dahinter eine 0 steht. Konten mit Dollars, Euros oder Derivaten hat die Krankenkasse Turbenthal nämlich keine. Sie hat überhaupt nur drei Konten. Eines für die laufende Rechnung, eines zum Sparen und eines für die Anlagen.

Das Bundesamt für Gesundheit nimmt zum Fall keine Stellung. Es handle sich um ein laufendes Verfahren. Ein Bewilligungsentzug werde aber nur bei «vielfältigen Gesetzesverstössen» beantragt, teilt das Bundesamt mit. Dies geschehe zum Schutz der Versicherten. Entscheiden über den Fall wird das Bundesverwaltungsgericht in St. Gallen. Wann der Entscheid fällt, ist offen.

Er habe tatsächlich Regeln übertreten, ausgereizt und kritisiert, sagt Rüegg. «Aber immer zu Gunsten der Versicherten.» Er habe für schlechte Jahre höhere Reserven angelegt und in guten Jahren eine Monatsprämie zurückerstattet. Er wolle Arztrechnungen vom Patienten bezahlt haben, damit dieser merke, wie viel Geld die Kasse für ihn ausgibt, sagt Rüegg.

Er sei gegen eine Entlastung junger Erwachsenen via Risikoausgleich, wie sie das Parlament eben beschlossen hat. Die jungen Erwachsenen erhielten bereits einen Ausgleich via kantonale Prämienverbilligung. So viel Ausgleich, dass er teilweise Geld auszahlen müsse, weil der Betrag aus der Prämienverbilligung höher sei, als die Prämie der Krankenkasse.

«Das ist doch krank, oder?»

Daniel Rüegg über die Entwicklung der Gesundheitskosten

Als Rüegg seine Arbeit bei der Krankenkasse Turbenthal begann, er war da 30 Jahre alt, stellten ihm pro Jahr ein Fünftel der Versicherten eine Quittung zur Rückerstattung zu. Heute erhält er Arztrechnungen von vier Fünfteln seiner Kunden. «Das ist doch krank, oder?», fragt Rüegg. Mit dieser Entwicklung sei auch die Zahl der Gesetze, Verordnungen und Regeln gestiegen.

Und sein Arbeitsaufwand. Wachsen habe er mit der Krankenkasse Turbenthal ja nie gewollt. Wachstum bedeutet für Rüegg, jemand anderem etwas wegzunehmen. «Das will ich nicht». Im Gegenteil, er will schrumpfen, auf 350 Versicherte. Sonst müsste er über kurz oder lang das Prinzip aufgeben, alle Arbeitsschritte selbst zu erledigen.

300 Franken Franchise, auch für den Millionär

Zum Beispiel Erstgespräche führen mit neuen Versicherten. Und ihnen erklären, warum es bei der Krankenkasse Turbenthal nur je eine Prämie gibt für Kinder, die 80 Franken kostet, und für Erwachsene, die 255 Franken kostet. Und nur eine mögliche Franchise, nämlich 300 Franken.

Schon mehrfach habe ihm das Bundesamt vorgeworfen, er selektiere verbotenerweise seine Versicherten. Aber das stimme gar nicht, sagt Rüegg empört. «Wir sind im Gegenteil die sozialste Krankenkasse der Schweiz.» Dank nur einer Franchise komme bei der Krankenkasse Turbenthal auch ein Millionär nicht besser weg, als ein Arbeitsloser. Rüegg kritisiert seinerseits das Bundesamt. Dieses wolle die Prämienprognosen auf den 5-Räppler genau, obwohl ja niemand ernsthaft glaube, es sei eine Prognose genauer als plus-minus 10 Franken möglich.

«Wir sind die sozialste Krankenkasse der Schweiz.»

Daniel Rüegg

Fehler passierten in kleinen Firmen genauso wie in grossen, sagt Rüegg. «Auch ich habe schon Fehler gemacht.» Das potenzielle Schadenausmass sei in einem Kleinbetrieb aber begrenzter, als in einer Grossfirma.

Den entscheidenden Unterschied mache jedoch das Persönliche, das seine Kunden schätzten. Auch wenn er längst nicht immer netter Geschäftsführer sei. Es komme vor, dass er die Kostenübernahme für eine Rehabilitation ablehne, wenn durch die verbesserte Operationstechnik eine solche nicht notwendig sei und wenn die Lebensumstände des Versicherten keine solche verlangten.

Rüegg ist Kleinunternehmer mit Leib und Seele. Wer Lust habe, ein Unternehmen zu gründen, der solle das tun, empfiehlt er. Das Risiko lohne sich, wenn man im Gegenzug eine selbst gewählte Arbeit erhalte, eine herausfordernde und abwechslungsreiche. Eine solche Arbeit sei doch um Längen spannender, als etwa ständig Zahlen zu addieren.

«Verstehen Sie mich nicht falsch: Vielleicht hat ja einer Spass daran, Gewohntes wieder und wieder zu tun.» Doch seine Sache sei das nicht, sagt Rüegg. Er will noch lange Geschäftsführer der Krankenkasse Turbenthal bleiben. «Ich werde nie pensioniert.»

Einen Tag nach dem anderen – und Zuversicht

Er nehme jeden Tag für sich, sagt Rüegg. Sich Sorgen zu machen bringe wenig. Er sei zuversichtlich, was das Verfahren des Bundesamtes gegen die Krankenkasse Turbenthal angehe. In den eigenen Händen hat er es aber nicht, über die Zukunft seiner Kasse zu entscheiden. Das wurmt Rüegg: «Es sind immer die da draussen, die einen Zusammenschluss wollen».