FACHKRÄFTEMANGEL: Politik vor dem Spital ist unerwünscht

Obwohl das Kantonsspital St. Gallen hinter der Pflege-Initiative steht, dürfen auf dem Areal keine Unterschriften gesammelt werden. Dies löst bei Gewerkschaftsvertretern Kritik aus. Andere Kliniken haben damit kein Problem – im Gegenteil.

Sina Bühler
Drucken
«Wir müssen Hausregeln erstellen, die in erster Linie der Sicherheit dienen», sagt Philipp Lutz, Medienbeauftragter des Kantonsspitals St. Gallen. (Bild: Benjamin Manser (St. Gallen, 11. März 2015))

«Wir müssen Hausregeln erstellen, die in erster Linie der Sicherheit dienen», sagt Philipp Lutz, Medienbeauftragter des Kantonsspitals St. Gallen. (Bild: Benjamin Manser (St. Gallen, 11. März 2015))

Sina Bühler

ostschweiz@tagblatt.ch

Das Gesundheitswesen wird immer mehr zur Problemzone: Fachkräfte fehlen und müssen aus den Nachbarländern angelockt werden. Die Arbeitsbelastung der Pflegenden steigt, was viele aus dem Beruf treibt. Und die alternde Bevölkerung braucht immer mehr Betreuung. Der Schweizer Berufsverband der Pflegefachfrauen und Pflegefachmänner (SBK) hat deshalb eine eidgenössische Pflege-Initiative lanciert. Sie will unter anderem die beruflichen Aussichten in der Pflege stärken und damit den Fachkräftemangel lindern. Dies über eine Aufwertung der Ausbildung, der Löhne und der Arbeitsbedingungen.

Seit Anfang Jahr sammelt der SBK Unterschriften auf der Strasse. Weil der Verband auch direkt die Pflegenden ansprechen wollte, fragte er Anfang Jahr beim St.Galler Kantonsspital nach, ob eine Unterschriftensammlung auf dem Areal möglich sei – im Freien. «Nein», lautete die Antwort. Das Kantonsspital erlaube weder politische noch gewerkschaftliche Aktivitäten auf dem Areal. Philipp Lutz, Medienbeauftragter des Kantonsspitals korrigiert inzwischen ­einen Teil jener Antwort: «Gewerkschaftliche Aktionen werden wie bisher im Einzelfall geprüft, bewilligt oder abgelehnt. Politische Aktionen sind nicht erlaubt.»

Die Geschäftsführerin der SBK-Sek­tion St.Gallen, Thurgau, Appenzell, Edith Wohlfender, ist erstaunt, dass das Kantonsspital die Initiative nicht unterstützt. Selbst deren Pflegedienstleiterin habe die Initiative öffentlich befürwortet und unterzeichnet: «Es ist auch den Spitälern längst klar, dass wir neue Modelle brauchen, um das Pflegepersonal in der Branche zu behalten.» Dabei gehe es nicht um Lohnerhöhungen, sondern darum, dass die Leute in ihrem Beruf zufrieden sind. «Wir wissen, dass die Unzufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen der häufigste Aussteiggrund ist.»

Früher gab es Protestaktionen auf dem Areal

Das Kantonsspital St.Gallen stehe zwar inhaltlich hinter der Initiative, meint Philipp Lutz, aber Ausnahmen würden deswegen nicht bewilligt: «Wir müssen Hausregeln erstellen, die in erster Linie der Sicherheit dienen.» Dieses Verbot politischer Aktionen habe es immer schon gegeben, und selbst 2014 bei der grossen kantonalen Spitalabstimmung, seien keine Ausnahmen gewährt worden. Was zur Politik gehört und was nicht, ist aber Interpretationssache: Zehn Monate vor jener Abstimmung durfte nämlich die Stadtsanktgaller CVP ihre Mitglieder im Innern des Spitals begrüssen. Zwei Regierungsräte sprachen mit ihnen über Spitalpolitik, und Direktor Daniel Germann hielt ein Referat zum Thema «Ein modernes Spital: Betrieb und Bau». Auch Protestaktionen gegen die kantonalen Sparmassnahmen von 2003 fanden auf dem Areal statt.

Laut Versorgungsbericht 2016 der Gesundheitsdirektorenkonferenz hängt die Zukunft im Gesundheitswesen wesentlich vom Angebot an qualifiziertem Personal ab. Man gehe davon aus, dass der Personalbedarf bis 2025 noch einmal um 20 Prozent wachse. Umgerechnet sind das zwischen 35000 und 48000 zusätzliche Stellen. Ausgebildet wird heute gerade mal die Hälfte.

Nicht nur die Pflegedienstleiterin des Kantonsspitals, auch die St.Galler Gesundheitsdirektorin Heidi Hanselmann hat die Pflege-Initiative unterschrieben und wirbt dafür: «Neben Massnahmen gegen den Fachkräftemangel verlangt die Initiative auch, dass definiert wird, welche typischen Leistungen das Pflegepersonal selber erbringen und mit der Krankenkasse abrechnen darf: Für das Anziehen von Stützstrümpfen braucht eine Pflegefachfrau heute die Unterschrift eines Arztes. Das ist einfach nicht zeitgemäss», sagt Hanselmann. An der Weisung des Spitals kann die Regierungsrätin allerdings nichts ändern. Seit der Kantonsrat beschlossen hat, dass keine Regierungsvertreterinnen und -vertreter im Verwaltungsrat der Spitalverbunde sitzen dürfen, ist der Staat angehalten, auch keinen Einfluss mehr auf das operative Geschäft der Spitäler zu nehmen. Zwischen dieser Tatsache und dem Verbot politischer Aktionen bestehe aber keinerlei Zusammenhang, sagt Spitalsprecher Lutz. Er sagt auch, das Spital habe dem SBK am Fachsymposium Gesundheit im Januar kostenlos eine Standfläche zur Verfügung gestellt, «auch um Unterschriften zu sammeln». An diesem Symposium nähmen jeweils bis zu 800 Pflegende aus der ganzen Deutschschweiz teil.

Kritik an Haltung des Spitals

Neben dem SBK organisiert auch die Gewerkschaft VPOD das Personal im Gesundheitswesen. Gewerkschaftssekretärin der Region Ostschweiz, Maria Huber, ist der Meinung, eine Unterschriftensammlung auf dem allgemein zugänglichen Gelände sollte möglich sein, «umso mehr, wenn es um ein Anliegen geht, das auch im Sinne der Spitäler ist». Für sie ist die Haltung des Spitals auch deshalb problematisch, weil sie sehr vage sei. «Wo liegt die Grenze zwischen gewerkschaftlichen und politischen Aktionen? Was ist mit gewerkschaftspolitischen Aktionen? Gewerkschaften sind nun mal politisch», sagt Huber. Sie werde das Thema sicher am nächsten Sozialpartnergespräch anschneiden. Denn, wie bereits mehrere Gerichtsurteile festgehalten haben, muss den Gewerkschaften in Betriebe, in welchen ihre Mitglieder tätig sind, Zutritt gewährt werden. Ein neues Rechtsgutachten meint sogar, sie hätten ein «uneingeschränktes Recht».

Andere Kliniken und Spitalverbunde im Kanton gehen lockerer mit dem Thema um. In der Klinik Wil, die nicht zum Spitalverbund, sondern zum Psychiatrieverbund gehört, war das Sammeln nicht nur erlaubt, der SBK konnte sogar auf die Unterstützung der Klinikleitung zählen: Innerhalb von zwei Stunden kamen 330 Unterschriften zusammen. Auch in der Spitalregion Linth informierte die Geschäftsleitung von sich aus über die In­itiative. «Ein Sammeltag auf dem Areal wäre kein Problem», heisst es von der Kommunikationsstelle. Man stehe hinter dem Anliegen. Und in der Spitalregion Toggenburg heisst es, man habe bisher keine Anfrage für eine Sammelaktion erhalten – man entscheide solche Fragen von Fall zu Fall, sobald sie konkret seien. Nur in der Spitalregion Rheintal Werdenberg Sarganserland ist die Haltung zur Politik der Verbände die gleiche wie am Kantonsspital. Man hat sogar den exakten Wortlaut übernommen: «Auf dem Areal der Spitäler Altstätten, Grabs und Walenstadt dürfen für politische Aktivitäten generell keine Unterschriften gesammelt werde. Auch bei uns gibt es Hausregeln, die in erster Linie der Sicherheit dienen.»