Organspende:Klinik soll Spenderlebern regelwidrig vergeben haben

Organspende Skandal Leipzig

Erste Unstimmigkeiten waren im Mai 2016 im Rahmen von Routinekontrollen aufgefallen.

(Foto: Jan-Peter Kasper/dpa)
  • Erste Unstimmigkeiten waren im Mai 2016 im Rahmen von Routinekontrollen aufgefallen.
  • Den Vorwürfen zufolge soll am Klinikum Essen unter anderem gegen die Vorschriften für die Alkoholabstinenz verstoßen worden sein.
  • Die Regelverstöße sollen zum Teil erst nach dem Transplantationsskandal erfolgt sein.
  • Der Präsident der Bundesärztekammer Montgomery spricht von "ärztlicher Hybris".

Von Christina Berndt

Die für die Überwachung des Transplantationssystems zuständige Prüfungs- und Überwachungskommission (PÜK) wirft dem Universitätsklinikum Essen Regelverstöße bei Lebertransplantationen vor. An dem Klinikum sollen, wie die SZ aus informierten Kreisen erfuhr, in den Jahren 2012 bis 2015 in mindestens 25 Fällen Ärzte Spenderlebern nicht nach den Transplantationsrichtlinien an Patienten vergeben haben.

Besondere Brisanz haben die monierten Regelverstöße, weil sie zum Teil erst nach dem Jahr 2012 erfolgt sind - also nach Bekanntwerden des Transplantationsskandals und der daraufhin erfolgten Gesetzesänderung, wonach Verstöße gegen die Transplantationsrichtlinien mit einer Freiheitsstrafe von bis zu zwei Jahren geahndet werden können.

In monatelangen Prüfungen hatten Mitglieder der Kommission, die im Auftrag von Bundesärztekammer, Deutscher Krankenhausgesellschaft und dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenkassen arbeitet, die Lebertransplantationen in Essen nach Aktenlage untersucht. Erste Unstimmigkeiten waren im Mai 2016 im Rahmen von Routinekontrollen aufgefallen.

SZ-Informationen zufolge hat das Universitätsklinikum im Austausch mit der PÜK versucht, die Vorwürfe auszuräumen; die Kommission hat sich jedoch während einer Sitzung am vergangenen Dienstag darauf verständigt, die Vorgänge als Richtlinienverstöße zu werten und das Universitätsklinikum sowie die Staatsanwaltschaft Essen in einem abschließenden Brief darüber zu informieren.

Umwidmungen von Organen

Den Vorwürfen zufolge soll am Klinikum Essen gegen die Vorschriften für die Alkoholabstinenz verstoßen worden sein, denen zufolge Patienten mindestens sechs Monate lang abstinent sein müssen, bevor sie eine neue Leber bekommen dürfen. Darüber hinaus soll Patienten ein Spenderorgan transplantiert worden sein, obwohl diese einen Leberkrebs hatten, der bereits zu groß war oder aus zu vielen Tumorherden bestand, als dass eine Lebertransplantation den Richtlinien zufolge aufgrund der Erfolgsaussichten noch statthaft gewesen wäre. Und schließlich sollen Lebern illegitim auf andere Patienten umgewidmet worden sein. Das galt für Lebern, die im sogenannten "beschleunigten Vermittlungsverfahren" Patienten zugeordnet wurden.

In dieses Vermittlungsverfahren kommen Spenderlebern, die aufgrund ihrer Organqualität bereits von mehreren Zentren abgelehnt wurden - etwa weil sie von einem sehr alten Spender stammen, stark verfettet oder gar mit einem Virus befallen sind. Wer dann in kurzer Zeitfrist den dringlichsten passenden Patienten benennt, erhält das Organ, das sonst verloren gehen würde. Damit es nicht rein um den Zeitvorteil geht, müssen die Zentren, die sich für diese "marginalen" Organe interessieren, aber einen Patienten benennen, dem das Organ zugutekommen soll.

In Essen wurden daraufhin im Durchschnitt etwa 70 Prozent der Organe auf einen anderen Patienten umgewidmet, ohne dass dieses Vorgehen nach Meinung der Kommission in jedem Einzelfall hinreichend begründet war; an anderen Kliniken finden solche Umwidmungen von Organen lediglich in 30 Prozent der Fälle statt. Gründe für Umwidmungen können die Einschätzung des Chirurgen sein, wonach diese Leber besser für einen anderen Patienten geeignet sei, aber auch der plötzlich sich verändernde Gesundheitszustand des angedachten Empfängers.

Fachleute betonen, dass es grundsätzlich legitim sei, bei diesen Organen, die nicht so leicht zu vermitteln sind, sehr sorgfältig abzuwägen, welchem Patienten man sie am besten transplantiert. "Beim Betrachten dieser Organe kann man durchaus zu anderen Schlüssen kommen als rein nach der Papierform", sagt Axel Rahmel, Vorstand der Deutschen Stiftung Organtransplantation, der als langjähriger Direktor der internationalen Vermittlungsstelle Eurotranplant die Regeln für das beschleunigte Vermittlungsverfahren mitentwickelt hat. "Wichtig für die Transparenz des Verfahrens und seine Vertrauenswürdigkeit ist aber, dass solche Umwidmungen nachvollziehbar und sauber dokumentiert sind."

Personen ohne jede spezifische Fachkompetenz

In Essen wurden jedoch offenbar auch Empfänger benannt, die gar nicht operiert werden konnten, weil sie sich gerade im Ausland aufhielten oder die kurz zuvor von der Warteliste entfernt worden waren. Indem Kliniken möglichst schnell einen vermeintlichen Empfänger benennen, könnten sie sich einen Vorteil verschaffen, weil sie so besonders viele Lebern zugeteilt bekämen, die sie letztlich anderweitig verwenden.

In Essen wehren sich die Verantwortlichen gegen die Vorwürfe. Der Kommissionsbericht beruhe "in weiten Teilen auf unzutreffenden medizinischen Annahmen", lässt das Universitätsklinikum auf Anfrage wissen. "Nachweisbar sind - von Personen ohne jede spezifische Fachkompetenz - in zahlreichen Fällen falsche Angaben über die Größe von Tumoren den Beanstandungen zugrunde gelegt worden. Entsprechendes gilt für die Rügen hinsichtlich der Alkoholabhängigkeit von Organempfängern. Darüber hinaus erweist sich der Bericht wegen gravierender Rechtsverstöße als untaugliche Grundlage für weitere Verfahren." Damit bezieht sich das Klinikum auf ein Rechtsgutachten des Kölner Strafrechtsprofessors Wolfram Höfling, der bereits eine Verfassungsklage gegen das deutsche Transplantationssystem angestrengt hat.

Das Klinikum räumt aber auch ein, "bis zum Mai 2016 die entsprechenden Dokumentationspflichten nicht hinreichend beachtet" zu haben. Man habe jedes grenzwertige Organ, soweit medizinisch vertretbar, eben möglichst effektiv verwenden wollen. "In keinem Fall hat die sog. Prüfungs- und Überwachungskommission nachweisen können, dass der jeweilige Empfänger ein Organ zu Unrecht bekommen hätte", betont das Klinikum.

Die Dokumentationsmängel seien zudem "zwischenzeitlich in Gänze behoben". Dem Leiter des Transplantationsprogramms sprach der Ärztliche Direktor, Jochen Werner, sein vollstes Vertrauen aus. Man habe die Kritik sehr ernst genommen und diese in jeder Hinsicht akribisch analysiert, betont er. Es hätten aber an seinem Universitätsklinikum "zu keiner Zeit willentlich und bewusst Rechtsverstöße stattgefunden."

Die Argumente haben die Kommission jedoch nicht von ihrer Wertung abgehalten. Der Präsident der Bundesärztekammer, Frank Ulrich Montgomery, reagiert auf die Verteidigungshaltung des Essener Klinikums gereizt: "Für mich ist das ein Dokument ärztlicher Hybris", sagte er der SZ. "Mir ist es völlig unverständlich, wie man nach all dem, was aufgearbeitet wurde, und allen Bemühungen, die wir gemacht haben, um das Transplantationssystem nach dem Skandal von 2012 transparent und vertrauenswürdig zu gestalten, so handeln kann." Er sorge sich um die Spendebereitschaft der Bevölkerung, wenn Ärzte nicht mit aller Klarheit Rechenschaft über die legitime Vergabe von Spenderorganen ablegten, so Montgomery weiter. "Aber ganz offensichtlich nehmen manche Leute gesellschaftliche Debatten schlicht nicht zur Kenntnis."

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