Bundesrat soll sich um überarbeitete Ärzte kümmern

Ärzte in Spitälern arbeiten häufig deutlich mehr, als gesetzlich erlaubt wäre – meist ohne Konsequenzen. Der SP-Nationalrat Angelo Barrile fordert nun den Bundesrat auf, diesen Missstand zu beheben. Der Spitalverband H+ verlangt eine ganz andere Lösung.

Marc Tribelhorn
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Überstunden sind auf den Notfallstationen der Spitäler Alltag: Besprechung des Einsatzplanes am Inselspital Bern. (Bild: Keystone / Gaëtan Bally)

Überstunden sind auf den Notfallstationen der Spitäler Alltag: Besprechung des Einsatzplanes am Inselspital Bern. (Bild: Keystone / Gaëtan Bally)

Im Gesundheitswesen ist die Einhaltung des Arbeitsgesetzes von besonderer Brisanz, denn dieses schützt nicht nur die Arbeitnehmer, sondern auch die Patienten. Wer möchte schon von einem übernächtigten Chirurgen operiert werden? Seit 2005 sind deshalb auch die Ärzte in Schweizer Spitälern dem Arbeitsgesetz unterstellt; es gilt eine wöchentliche Höchstarbeitszeit von 50 Stunden. Nur: Das Gesetz ist toter Buchstabe, wie kürzlich eine Studie der Ärztegewerkschaft, des Verbands schweizerischer Assistenz- und Oberärztinnen und -ärzte (VSAO), gezeigt hat.

Über die Hälfte der Ärzte in den Spitälern arbeitet mehr als gesetzlich erlaubt – bei einem Vollzeitpensum rund 55 Stunden – und fühlt sich oft oder meistens müde. Überstunden werden selten gemeldet. Fast jeder Zweite der rund 3300 VSAO-Mitglieder, die sich an der Online-Umfrage beteiligt haben, gab zudem an, schon erlebt zu haben, dass Berufskollegen wegen Übermüdung Patienten gefährdet hätten.

Für den Zürcher SP-Nationalrat, Hausarzt und VSAO-Vizepräsidenten Angelo Barrile sind diese Ergebnisse «beschämend und beängstigend». Er will nun den Bundesrat beauftragen, die Umsetzung des Arbeitsgesetzes im Gesundheitswesen unter die Lupe zu nehmen und «Massnahmen für eine effektive Kontrolle und Einhaltung der arbeitsrechtlichen Bestimmungen» zu ergreifen. Seiner Meinung nach haben weder die Kontrollen durch die Kantone noch die Interventionen des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) gefruchtet.

Selbstausbeutung und Burnout?

Am Mittwochmorgen hat Barrile eine von der SP, den Grünen, der EVP und der Lega unterstützte Motion eingereicht. Der Titel lautet «Arbeitszeiten in Spitälern: keine Rückkehr ins Postkutschenzeitalter!». Darin drückt sich ein weiteres Unbehagen Barriles aus, nämlich jenes wegen der Forderung des Spitalverbandes H+, dass die Arbeitszeiten wieder «flexibilisiert» würden. Aus Sicht von H+ sind die derzeit geltenden Regelungen nicht zeitgemäss und zu starr für die spezielle Situation in Spitälern. «Wenige Akutspitäler sind in der Lage, die Vorgaben des Arbeitsgesetzes jederzeit und vollständig einzuhalten», klagt Bernhard Wegmüller, Direktor des Spitalverbands H+. Man bewege sich regelmässig am Rande der Illegalität. Die strikten Vorschriften würden zudem zu höheren Kosten führen, weil mehr Personal eingestellt werden müsste, damit die wöchentlichen Arbeitszeiten auch bei übermässig viel Betrieb eingehalten werden könnten.

Barrile und der VSAO sehen in der Forderung des Spitalverbands ein Manöver, um die wöchentliche Höchstarbeitszeit und das Verbot für Nacht- und Sonntagsarbeit zu umgehen. Die von ihnen prognostizierten Folgen: mehr Selbstausbeutung der Ärzte und mehr Burnout-Fälle. Barrile fordert in seinem parlamentarischen Vorstoss denn auch ein Moratorium für Anpassungen beim Arbeitsgesetz, bis der Bundesrat Untersuchungsergebnisse und Massnahmen präsentiert.

Das Parlament soll es richten

Von einem Moratorium hält der Spitalverband H+ indes gar nichts. Eine rasche Flexibilisierung der Arbeitszeiten sei dringend nötig, betont dessen Mediensprecher Conrad Engler. «Leider hat der VSAO entsprechende Gespräche mit dem Seco und uns abgebrochen.» Seine Hoffnungen setzt der Spitalverband jetzt in die eidgenössischen Räte: dass sie erstens Barriles Motion nicht überweisen und zweitens auf parlamentarischem Weg den Spitälern mehr arbeitsrechtlichen Spielraum verschaffen.

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