Kantonsspital Luzern: Nur wer sich wehrt, erhält Einblick in die Rechnung

Spitäler verrechnen ihre Leistungen direkt den Krankenkassen. Doch das Gesetz will, dass auch die Patienten eine Rechnungskopie erhalten. In Luzern wird diese Vorgabe ignoriert – weil sie Millionen koste.

Christian Peter Meier
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Ärzte und Pflegepersonal im Gespräch mit einer Patientin. (Symbolbild: Boris Bürgisser)

Ärzte und Pflegepersonal im Gespräch mit einer Patientin. (Symbolbild: Boris Bürgisser)

Wer im Spital war, soll im Detail erfahren, was in Rechnung gestellt wurde und wie viel die Behandlung gekostet hat. Was wie eine Selbstverständlichkeit tönt, ist nicht überall die Regel. Auch im Luzerner Kantonsspital (Luks) erhalten Patienten nur auf Verlangen Einblick in die Liste der verrechneten Leistungen.

Dies ist umso irritierender, als der Gesetzgeber explizit etwas anderes vorsieht: «Die versicherte Person erhält eine Kopie der Rechnung.» Diese müsse «detailliert» und «verständlich» sein. So steht es glasklar im Bundesgesetz über die Krankenversicherung (KVG). Warum also wird die Aufforderung seit Jahren von einem beträchtlichen Teil der Institutionen ignoriert?

Die Weigerung hat mit der Abrechnung zu tun: Denn anders als etwa die Hausärzte fordern die Spitäler das Geld für ihre Leistungen nicht beim Patienten, sondern direkt bei der Krankenkasse ein. Die Patienten standardmässig mit einem Rechnungsdoppel zu bedienen, ist fraglos mit einem gewissen Aufwand verbunden.

Bundesrat Bersets leise Drohung

Aber ist das Grund genug, um sich über das Gesetz hinwegzusetzen? Nein, findet Bundesrat Alain Berset. Er musste sich jüngst wieder einmal zum Thema äussern, weil es der Aargauer BDP-Nationalrat Bernhard Guhl mit einem Vorstoss aufs Tapet gebracht hatte. In seiner mündlichen Antwort ging Berset ausführlich darauf ein, dass das Problem wirklich ein Problem sei. Er bekräftigte dabei das zentrale Anliegen: Die Patienten sollen die Rechnung anhand der zugestellten Kopie überprüfen und die verrechneten mit den tatsächlich erbrachten Leistungen abgleichen können. Gleichzeitig spielte Berset den Ball den Spitälern und Krankenkassen weiter, die in der Pflicht seien. Trotzdem mündete Bersets Votum in einer leisen Drohung: Falls sich die Situation nicht bessere, müssten Bund und Kantone «Änderungen» erwägen, um die Information der Patienten sicherzustellen.

Dabei kann Berset allerdings nicht mit der geschlossenen Unterstützung durch die Kantone rechnen. Ein Teil der Stände wolle das Gesetz gar nicht strikt durchsetzen, sagte Michael Jordi letzte Woche gegenüber der «Berner Zeitung». Laut dem Zentralsekretär der Konferenz der kantonalen Gesundheitsdirektoren gehört auch Luzern zu den Kantonen, die die Praxis, Rechnungen nur auf Verlangen zu ver­schicken, implizit akzeptierten.

Der Luzerner Gesundheitsdirektor Guido Graf (CVP) widerspricht dieser Aussage nicht. Auch er verfolge das «wichtige Ziel, dass Kosten kontrolliert werden». Heute würden die Krankenversicherungen diese Aufgabe wahrnehmen. «Im Übrigen führt auch der Kanton Luzern eine Rechnungskontrolle.» Ein zusätzlicher standardmässiger Versand von Rechnungskopien an alle Patienten sei sehr aufwendig. Graf: «Meines Erachtens wäre aktuell der Aufwand eindeutig grösser als der Nutzen.»

Hanspeter Vogler, Leiter Fachbereich Gesundheit beim Kanton, erinnert daran, dass das Gesundheits- und Sozialdepartement das Luks vor einigen Jahren sehr wohl dazu angehalten habe, allen Patienten automatisch eine Rechnungskopie zukommen zu lassen. «Dabei hat sich aber schnell gezeigt, dass dieses Vorgehen zu sehr hohen Kosten führte – aber auch zu einer Verunsicherung bei den Patienten.» Es habe zahlreiche Rückfragen und Missverständnisse gegeben, «was einen sehr grossen administrativen Aufwand zur Folge hatte. Bei einer konsequenten Umsetzung wären Kosten in Millionenhöhe entstanden», so Vogler. «Deshalb haben wir uns darauf geeinigt, dass Rechnungskopien nur noch auf Wunsch zugestellt werden.»

Täglich 2000 Rechnungen

Damit ist das Luks derzeit von der Verpflichtung entbunden, pro Arbeitstag rund 2000 zusätzliche Rechnungen zu versenden, wie Jacqueline Theiler von der Unternehmenskommunikation vorrechnet. Sie verweist überdies darauf, dass die Patienten mit Blick auf die Rechnungsbeträge in der Regel trotzdem auf dem Laufenden seien, weil ihnen die Krankenkassen die Kostenbeteiligung und die nicht versicherten Leistungen verrechnen würden. «Es findet also eine Information der Patienten statt», sagt Theiler.

Aufschlussreich ist der Umgang der Privatklinikgruppe Hirslanden mit dem Problem – und zwar deshalb, weil sie es nicht einheitlich löst. So verschickt etwa die in Cham beheimatete Andreas-Klinik aktuell Rechnungskopien an alle ihre Patienten, wie Claude Kaufmann von der Unternehmenskommunikation mitteilt. «Die Klinik St. Anna hingegen sieht von einem standardmässigen Versand von Rechnungskopien ab.» Dies gelte ­namentlich für die ambulanten Fälle. Bei stationären Klinikaufenthalten dagegen erhalte der Patient immer dann eine Rechnungskopie, wenn er Zusatzdienstleistungen in Anspruch nehme, was auf schätzungsweise 70 bis 80 Prozent der Patienten zutreffe.

Warum aber verfolgen die beiden Hirslanden-Kliniken in diesem Punkt eine unterschiedliche Strategie? Claude Kaufmann verweist auf die unterschiedliche Grösse der beiden Häuser in Luzern und Cham: Bei der kleineren Andreas-Klinik sei der Aufwand gerade noch zu bewältigen, in der Klinik St. Anna dagegen nicht mehr. Fakt ist aber auch, dass die Zuger Behörden eine restriktivere Haltung einnehmen als jene in Luzern. So unterstützt der Zuger Gesundheitsdirektor Martin Pfister (CVP) die geltende gesetzliche Regelung, wonach Versicherte eine Rechnungskopie erhalten müssen. «Das stärkt einerseits das Kostenbewusstsein, andererseits können Rechnungen bei Bedarf korrigiert werden.» Häufig könne nur der Versicherte beurteilen, ob sich in der Rechnung ein Fehler eingeschlichen habe: «Indem er eine Kopie erhält, kann er entsprechend intervenieren.»

Ein Vermögen für eine künstliche Beatmung

Dass aufmerksame Patienten bisweilen tatsächlich falsche Rechnungspositionen aufdecken, weiss wiederum Nationalrat Guhl. In der Debatte über seinen Vorstoss erwähnte er zwei konkrete Beispiele, die an ihn herangetragen wurden: So seien drei Nächte im Spital für eine Routineuntersuchung mit 24'000 Franken verrechnet worden. Und für eine künstliche Beatmung habe ein Spital 46'000 Franken verlangt. Guhl: «Beide Fehler sind von den zuständigen Krankenkassen nicht entdeckt worden.»

Alain Bersets mahnende Worte scheinen in Luzern übrigens nicht auf völlig taube Ohren gestossen zu sein: Das Luks prüft nun (auch auf Wunsch des Gesundheitsdepartements), ob die Rechnungskopien allenfalls kostengünstig auf elektronischem Weg an die Patienten verschickt werden könnten.