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Millionenbetrug durch Spitex

Die Pflege zu Hause ist beliebt. Doch etliche Anbieter nutzen die Senioren aus. Foto: Marcy Maloy

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Auch mit 95 Jahren will Ueli Müller* nicht ins Altersheim. Deshalb verpflichtet seine Familie eine Pflegerin für zu Hause. Jeden Tag besucht sie den Senior für 15 Minuten, wäscht ihn, kleidet ihn ein, hilft beim Essen. Doch auch diese Unterstützung findet der Rentner unnötig. Nach einigen Wochen kündigt er der Spitex.

Diese stoppt die Hausbesuche umgehend. Die Leistungen jedoch stellt sie weiterhin der Krankenkasse CSS in Rechnung. «Es ­dauerte ein ganzes Jahr, bis dieses Vorgehen auffiel», sagt Sprecherin Christina Wettstein. «In dieser Zeit verrechnete uns die Pflegefirma rund 40'000 Franken, ohne den ­Patienten je zu besuchen.»

«Wir sparen jährlich 1,5 Millionen Franken ein»

Eine Masche, die auch andere ­Spitex-Dienste anwenden. Von zehn befragten Krankenkassen hat jede einzelne schon Anbieter ertappt, die bei den Abrechnungen tricksten. Die fehlbaren Pflege­firmen gehen unterschiedlich vor. Sie veranschlagen Leistungen, die der Kunde so nicht benötigt. Oder teilen die Betreuten in eine zu hohe Pflegestufe ein, um mehr Geld zu erhalten. Andere frisieren ­Besuchs- oder Wegzeiten. Oder sie gehen gar nicht erst zu Hause vorbei.

Die CSS durchleuchtete zuletzt Anbieter in den Kantonen Zürich, Aargau, Luzern, Solothurn und Schaffhausen. «In mindestens zehn Fällen wurden Gelder eingefordert, die den Anbietern nicht zustehen», sagt Wettstein. «Wir ­gehen von einem Gesamtschaden von 1,6 Millionen Franken aus.» Auch die Sanitas entlarvt ­falsche Rechnungen. «Dadurch sparen wir jährlich über 1,5 Millionen Franken ein», sagt Sprecherin Riccarda Schaller.

Ein knappes Dutzend Fälle verzeichnete in den letzten Jahren Hel­sana. Sprecher Stefan Heini: «Die ­Deliktsumme schwankte zwischen 20'000 und 100'000 Franken.» Die Visana ­erwischte ­kürzlich zwei selb­stständige Pflegerinnen, die 15'000 Franken falsch verrechneten.

Solche Fälle dürften zunehmen. Denn die Zahl der Pflegefirmen steigt massiv, wie eine ­exklusive Auswertung des Wirtschaftsinformationsdienstes Bisnode D&B zeigt. In den letzten fünf Jahren wurden 320 Firmen im Handelsregister eingetragen, die «selbstständige Tätigkeiten von Krankenschwestern und Pflegerinnen» anbieten. Alleine 2016 kamen 86 neue hinzu.

Eine Branche, die boomt, die aber auch vor grossen Problemen steht. Tausende Osteuropäerinnen kümmern sich etwa zu miserablen Arbeitsbedingungen um Schweizer Senioren, machte Redaktion Tamedia diese Woche publik.

Patienten und Angehörige sollten Rechnungen prüfen

Jene Spitex-Dienste, die falsch abrechnen, handeln nicht immer mit bösem Willen. Bei den komplexen Abrechnungen kommt es laut den Krankenkassen auch schnell zu Fehlern. Zudem gebe es Pfleger, die Patienten eine Behandlung ermöglichen wollen, die sich diese nicht leisten könnten. «Unseres Wissens herrscht immer noch weitgehend ein moralischer Konsens, dass auf dem Buckel der Kranken nicht betrogen wird», sagt Helena Zaugg, Präsidentin vom Berufsverband der Pflegefachpersonen. «Es ist aber auch richtig, dass es schwarze Schafe gibt, die der gesamten Branche schaden.»

Von solchen Anbietern hört auch SP-Nationalrätin Bea Heim immer wieder. Treibende Kraft sei die Gewinnorientierung im Pflegemarkt. «Zum Teil stecken ausländische Grossinvestoren hinter den privaten Spitex-Firmen, die möglichst viel Rendite sehen wollen. Da leiden leider oft die Arbeitsbedingungen, und da wächst die Versuchung, zu tricksen.»

«Missbräuche lassen sich verhindern»: Bea Heim (l.) und Verena Herzog wollen das Problem angehen. Fotos: Keystone

SVP-Nationalrätin Verena Herzog hingegen sagt: «Mir persönlich sind nur Fälle der öffentlichen Spitex bekannt, bei welchen falsche Leistungen abgerechnet wurden.» In beiden Bereichen sei dies verwerflich und inakzeptabel. Herzog will die Thematik in der Parlamentarischen Gruppe Pflege genau verfolgen. Und sie hofft auf aufmerksame Bürger: «Missbräuche lassen sich verhindern, wenn die Abrechnungen auch dem Patienten oder dem nächsten Angehörigen vorgelegt werden. Diese können am ehesten über die Richtigkeit der verrechneten Stunden urteilen.»

Dies fordert auch Christina Wettstein von der CSS. «Eigentlich müssten die Spitex-Dienste alle Abrechnungen den Patienten zustellen.» In der Praxis werde dies jedoch kaum gemacht. «Deshalb sollte jeder Patient oder die Angehörigen diese Rechnungen einfordern und genau kontrollieren.»

So tat es auch der Sohn von Ueli Müller*. Erst er bemerkte die Ungereimtheiten und meldete den Fall bei der Kasse. Jetzt läuft bei der Zürcher Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen Betrugs gegen die Verantwortlichen.

* Name geändert