Winnenden

Medizinkonzept: Plan B heißt „Prinzip Hoffnung“

Klinikumzug Waiblingen / Winnenden Krankenhaus WN/Strecken/klinikum Winnenden. Wir begleiten einen Patienten aus WN nach Winnend
Wie viele Krankenhausbetten braucht das Land? Beim Umzug ins Winnender Klinikum vor drei Jahren standen im Foyer viele Betten bereit. Inzwischen sind die Zimmer im Klinikum voll belegt. Damit die Patienten eines Tages aber nicht auf den Fluren liegen müssen, wollen die Rems-Murr-Kliniken das Krankenhaus erweitern. Doch das Land Baden-Württemberg blockt. © Archivbild / Büttner / ZVW

Winnenden/Berglen. Die Rems-Murr-Kliniken versorgen immer mehr Patienten, sie benötigen deshalb mehr Betten – und in der Folge sinkt das Defizit. So sieht die Gleichung aus, die hinter der Medizinkonzeption für die Rems-Murr-Kliniken steckt. Der Haken an der Sache ist, dass das baden-württembergische Sozialministerium dieser Logik nicht folgen kann – oder will.

„Nicht nachvollziehen kann ich im Übrigen derzeit die in der Medizinkonzeption zugrunde gelegten Leistungsdaten bis zum Jahr 2021“, teilte Sozialminister Manfred Lucha dem Landratsamt in einem Schreiben mit, wie sein Haus das vorgelegte Konzept beurteilt. Uneingeschränkt unterstützte Lucha zwar den Erhalt und die Sanierung des Standorts Schorndorf. Ein Fragezeichen setzte er aber hinter die ambitionierten Ausbaupläne für das Klinikum in Winnenden. Vor dem Hintergrund steigender Fallzahlen in Krankenhäusern, aber sinkender Verweildauer erscheine „die für den Rems-Murr-Kreis angenommene stetig ansteigende Belegungsentwicklung als zu weitgehend“. Konkret: Das Sozialministerium kann die geplante Vergrößerung des Klinikums von derzeit 570 genehmigten Betten auf 743 bis zum Jahr 2021 nicht nachvollziehen.

Landkreis müsste Investitionen in Winnenden alleine stemmen

Kein Wunder, hat sich Lucha doch bereits in der Öffentlichkeit festgelegt, dass es im Land insgesamt zu viele Krankenhausbetten gibt. Die konkrete Folge für Winnenden wäre: Das Land wird wohl den Ausbau finanziell noch fördern; der Landkreis Rems-Murr, sofern er an seinen Plänen festhält, müsste die Investitionen von rund 70 Millionen Euro in Winnenden alleine stemmen beziehungsweise vorfinanzieren.

Landrat Sigel: „Ich will nicht wieder in eine Bittstellerolle geraten“

Das möchte Landrat Richard Sigel keinesfalls riskieren. Bevor die Medizinkonzeption umgesetzt wird, wolle er, Sigel, die Investitionen verbindlich mit dem Sozialministerium abstimmen, sagte Sigel am Montag bei einer Kreistagssitzung in Berglen. Sein Ziel sei Planungssicherheit. Er wolle nicht ein weiteres Mal „in die Bittstellerrolle geraten“. Der Kreis war schon beim Klinikumsneubau reingefallen und in Vorleistung gegangen.

Schlechtes Omen für Wachstumspläne

Seither betteln die Kliniken um eine nachträgliche Genehmigung von Planbetten. Im Vertrauen auf ein Versprechen mit der damaligen Sozialministerin Katrin Altpeter (SPD) waren 620 statt der geförderten 550 Betten entstanden. wir haben berichtet). Das kann durchaus als schlechtes Omen für die weit darüber hinausgehenden Wachstumspläne der Rems-Murr-Kliniken gewertet werden.

Nickel: "Wir werden von der Bevölkerung angenommen"

Wachstum, Wachstum, Wachstum lautet das Credo von Geschäftsführer Marc Nickel, mit dem er das aktuelle Defizit seiner Kliniken von 23 Millionen Euro (2016) bis zum nächsten Jahrzehnt auf fünf Millionen Euro senken will. Nickel wird nicht müde zu betonen, dass sich die Kliniken auf dem gewünschten Wachstumskurs befinden – so wie es ja der Medizinkonzeption zugrunde liegt. „Wir werden von der Bevölkerung angenommen“, wies Nickel auf die Hochrechnung hin, dass die Kliniken auch 2017 um neun Prozent wachsen. Und zwar nicht, weil die Ärzte auf Teufel komm raus operieren, die Patienten zu lange im Krankenhaus lägen oder die Rems-Murr-Kliniken in den benachbarten Krankenhäusern räubern würden – 90 Prozent der Patienten stammen aus dem Rems-Murr-Kreis.

Weiteres Wachstum bedeutet weitere Betten

„Wir haben die Bürger überzeugt, sie stehen zu den Rems-Murr-Kliniken“, sagte Nickel über die Attraktivität der beiden Krankenhäuser. Noch können die Häuser das Wachstum ohne neue Betten verkraften. Allerdings, räumte Nickel ein, seien im Januar und Februar vereinzelt Patienten aus dem überfüllten Winnenden nach Schorndorf verlegt worden. Wachsen die Kliniken weiter wie geplant, müssen neue Betten her.

Rechtsanspruch auf Genehmigung

Dass der Landeskrankenhausausschuss selbst die „wilden Betten“ noch nicht genehmigt hat, ist für Nickel offenbar nicht das drängendste Problem. Es gebe einen Rechtsanspruch auf die Genehmigung, sofern die Kliniken diesen Bedarf nachweisen können, betonte Nickel im Kreistag. Wenn die Betten nicht im Sommer genehmigt werden, dann eben im Herbst 2017 oder im nächsten Jahr ...

Wie wird weiter vorgegangen?

In einer Vorlage für die Kreisräte skizzierte Nickel die weitere Vorgehensweise wie folgt:

  • Wir werden dem Ministerium in einem persönlichen Termin die Medizinkonzeption erklären.
  • Wir werden die Nachhaltigkeit unserer Entwicklung verdeutlichen.
  • Wir werden die notwendigen Förderanträge stellen.
  • Wir werden unsere Planbetten in Winnenden kontinuierlich beantragen.
  • Wir werden Sie regelmäßig informieren.
  • Wir werden gemeinsam für unsere gesunde Zukunft die Rems-Murr-Kliniken weiterentwickeln.

Hoffnung setzt Nickel dabei auf die Lobbyarbeit der Landtagsabgeordneten im Kreis. Sie haben sich bereits Ende Juni gegenüber dem grünen Sozialminister Lucha positioniert und sich für die Genehmigung der 50 wilden Betten eingesetzt. Dieses Okay würde die Rems-Murr-Kliniken in den kommenden drei Jahren um 4,4 Millionen Euro entlasten, ohne dass es das Land einen Cent koste, argumentierten die acht Abgeordneten in ihrem Brief an Lucha.

Martin Kaufmann: „Sie haben keinen Plan B in der Tasche“

Der Kreistag im Ganzen zeigte am Montag kein Interesse an einer neuerlichen Debatte über die Medizinkonzeption, obwohl sie zu einer Hängepartie zu werden droht. Wohl aber meldeten sich Kreisräte zu Wort. Der SPD-Fraktionsvorsitzende Martin Kaufmann forderte eine ehrliche Debatte. „Wenn Sie auf Wachstum setzen, dann haben Sie keinen Plan B in der Tasche“, sagte Kaufmann mit Blick auf die Fragezeichen, die das Land hinter die Konzeption setzte. Er forderte, dass das Thema auf die Tagesordnung des Landtags gesetzt wird. Auch der Freie-Wähler-Kreisrat Andreas Hesky sieht Luchas Schreiben zwiespältig. Einerseits unterstütze Lucha die beiden Standorte. Gut. Bei den Planbetten wie auch den Ausbauplänen für Winnenden müsse der Kreis wohl oder übel auf das „Prinzip Hoffnung“ setzen: „Drücken wir den Daumen, dass der Rechtsanspruch auf Planbetten gehört wird.“

Bezler: Medizinkonzeption letztlich nur ein Wirtschaftskonzept

Der ÖDP-Kreisrat Thomas Bezler hinterfragte das Medizinkonzept grundsätzlich. Er mutmaßt, dass hinter dem Wachstum der Klinik eine völlige falsche Gesundheitspolitik steckt. Die angebliche Medizinkonzeption sei letztlich nur ein Wirtschaftskonzept.


Die Medizinkonzeption

In der Medizinkonzeption für die Rems-Murr-Kliniken Aufsichtsrat und Kreistag haben sich für das Szenarium 1 entschieden, da es wirtschaftlich die besten Aussichten hat und am kostengünstigsten ist.

Grundlage der Überlegungen sind ein weiteres Wachstum der Kliniken in kommunaler Trägerschaft und die Steigerung des Marktanteils von unter 50 auf über 60 Prozent. Notwendig sei die Erhöhung der Bettenkapazität in Winnenden von 620 auf rund 750 Betten (Investitionsvolumen 35,7 Millionen Euro). Die Sanierungskosten des Schorndorfer Krankenhauses werden auf 33 Millionen Euro geschätzt, hinzu kommen jedoch sogenannte Instandhaltungskosten, so dass bis 2024 über 60 Millionen Euro investiert werden müssen.

Ziel der Medizinkonzeption ist eine engere Zusammenarbeit der beiden Krankenhäuser mit jeweiligen medizinischen Schwerpunkten. Wirtschaftlich streben die Kliniken an, das jährliche Defizit von 23 Millionen Euro (2016) bis 2024 auf 5,5 Millionen Euro zu verringern.

Fazit: „Trotz Wachstums an beiden Standorten in Szenarium 1 steht der Landkreis in zehn Jahren immer noch mit einem hohen dreistelligen Millionenbetrag in der Pflicht und wird auf Dauer Defizite, bestenfalls im einstelligen Millionenbereich, jährlich ausgleichen müssen.“