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Triemli-Spital wird zum Millionengrab

Das Grossspital Triemli in Zürich sollte das modernste Spital Europas werden. Das kommt die Stadt teuer zu stehen. Sie muss über Jahre wiederkehrende Defizite in der Höhe von 30 bis 40 Millionen Franken decken.

Birgit Voigt 4 min
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Seit 2015 muss auch der schicke Neubau finanziert werden: Zinsen und Abschreibung schenken ein. (Bild: Ralph Feiner)

Seit 2015 muss auch der schicke Neubau finanziert werden: Zinsen und Abschreibung schenken ein. (Bild: Ralph Feiner)

Es sollte ein Triumph werden. 2016 schenkte sich die Stadt Zürich ein neues Bettenhaus fürs stadteigene Grossspital Triemli. Gespart wurde an nichts: ungewöhnlich grosse Zweibettzimmer für die Patienten, hochwertige Materialien, Minergiestandard - alles vom Feinsten. 500 Betten auf 18 Stockwerken, Kostenpunkt 290 Mio. Fr.

Mehr Patienten sollten kommen, höhere Erträge generiert werden - «das modernste Bettenhaus Europas» sollte Strahlkraft haben, versprach die Stadtregierung. Gut ein Jahr in Betrieb, erweist sich das über einen Zeitraum von 20 Jahren geplante Bettenhaus aber als schwierig zu bewirtschaften, wie die Stadt selbst zugibt. Wegen der langen Entstehungsgeschichte entspreche er nicht mehr den neuesten Erkenntnissen der Spitalplanung, sagen übereinstimmend mehrere Fachleute aus dem Umfeld des Spitals sowie externe Branchenkenner.

Der Prachtbau kommt Zürich teuer zu stehen. 2016 schloss das Triemli mit einem Jahresverlust von 27,4 Mio. Fr. ab, 2017 soll das Minus erneut rund 29 Mio. Fr. betragen. Auch das zweite Krankenhaus in Stadtbesitz, das kleinere Waidspital mit 260 Betten, wird 2017 sein Budget um 9 Mio. Fr. verfehlen.

Aussicht auf rasche Besserung besteht nicht. Die beiden Spitäler sind als Verwaltungseinheiten in die städtische Bürokratie eingegliedert und entsprechend schwerfällig geführt. Ein Loch von 200 bis 300 Mio. Fr. tut sich für die nächsten fünf Jahre auf.

Der Chef warnte

Die finanzielle Schieflage zeichnet sich eigentlich schon seit Jahren ab. Insgesamt stehen die beiden Häuser mit Krediten in Höhe von 800 Mio. Fr. bei der Stadt in den Büchern. Der kürzlich zurückgetretene Triemli-Direktor Erwin Carigiet schrieb in schöner Offenheit 2016 in der NZZ: «Als Folge der Investitionen steigen die Anlagenutzungskosten im Zeitraum von 2012 bis 2019 um 100% auf rund 60 Mio. Fr. pro Jahr.» Und fügt dann an: «Die höheren Anlagenutzungskosten übersteigen die zusätzlichen Erlöse, die mit dem neuen Bettenhaus überhaupt möglich sind, um ein Vielfaches. Damit droht dem Stadtspital Triemli (...) über Jahre ein systemisches Defizit.»

Diese Perspektive dürfte Stadträtin Claudia Nielsen, Vorsteherin im Gesundheits- und Umweltdepartement und damit Chefin der Stadtspitäler, schon lange bekannt gewesen sein. Doch die Kosten sind für die SP-Politikerin nicht das Problem. Vielmehr seien die mit den Krankenversicherern ausgehandelten Fallpauschalen viel zu niedrig. Die weit über dem Durchschnitt anderer grosser Häuser wie dem Kantonsspital Winterthur liegenden Kosten entstünden, weil das Triemli als Zentrumsspital überproportional viele alte Patienten oder solche mit schwierig zu behandelnden Krankheiten habe, argumentiert sie gegenüber der «NZZ am Sonntag». Die Statistik des Kantons zeigt etwas anderes: Das Durchschnittsalter der Triemli-Patienten liegt bei 52, die Fallkomplexität als Mass des Schwierigkeitsgrades bei 1,07 und damit in beiden Fällen relativ nahe dem Mittel.

Dagegen trägt das Triemli mit seinem ausgewalzten Angebot an Fachgebieten und Spezialisten zum hohen Kostenniveau bei. Es konkurriert in vielen Bereichen mit dem Universitätsspital Zürich - und fordert dementsprechende Pauschalen. Diese Argumentation hat allerdings 2014 vor Bundesgericht Schiffbruch erlitten. Spätestens seit da weiss die Spitalleitung, dass sie versuchen müsste, die Kosten den Einnahmen anzupassen. Doch das Gegenteil ist passiert. Seit 2015 hat das Triemli den Personalbestand deutlich aufgestockt. Inzwischen gibt es 64,6% der Einnahmen fürs Personal aus, 2014 waren es erst 61,3%. Dies, obwohl 2016 laut Triemli-Leitung eine «Kostenbremse» in Kraft trat.

Nielsen verteidigt die Lage mit dem Argument, man betreibe eben keine Risikoselektion, nehme auch die Armen und die besonders Kranken - als wenn andere Listenspitäler Allgemeinversicherten relevante Behandlungen verweigern würden. Die Aufnahmepflicht aller Listenspitäler, insbesondere von Notfällen, bleibt ausgeblendet. Die Klassenkampf-Polemik funktioniert aber offenbar.

1700 Fr. Subvention pro Patient

Zum hohen Personalbestand muss seit 2015 nun auch der schicke Neubau finanziert werden: Zinsen und Abschreibung schenken ein. So wird das Triemli nach dem Waidspital (mit seinen spezifischen Kosten für die Akutgeriatrie) zum teuersten Betrieb im ganzen Kanton. 2016 erhielt es im Durchschnitt von den Krankenversicherungen 9700 Fr. pro Patient. Das reicht aber nicht: 1700 Fr. muss der Steuerzahler für jeden Fall zuschiessen.

Die Probleme werden sich bald verschärfen. Eine vom Bundesrat für 2018 anvisierte Preissenkung für eine Reihe von ärztlichen Leistungen wird allen Spitälern Mindereinnahmen bescheren. Die Stadt rechnet fürs Triemli «mit Verlusten im einstelligen Millionenbereich». Ein Insider spricht von 8 bis 10 Mio. Fr. Dazu verlangt der Kanton, dass 13 häufig durchgeführte Eingriffe in den Spitälern nur noch ambulant durchgeführt und deshalb deutlich günstiger abgerechnet werden. «Das wird die Defizite am Triemli dramatisch erhöhen», erwartet der Kenner. Gleichzeitig entwickelt sich rund um Zürich neue Konkurrenz wie die Tagesklinik des Unispitals am Flughafen, die den erhofften Zuwachs an Patienten fürs Triemli begrenzen könnte.

Diesen Frühling trat Nielsen die Flucht nach vorn an: Überraschend schlug sie vor, die Stadtspitäler zu fusionieren, zu verselbständigen und ihnen Kreditschulden in Höhe von 0,5 Mrd. Fr. zu erlassen. Ohne scharfes Kostensenkungsprogramm wird dieser Plan, der frühestens nach 2020 realisiert werden soll, aber keine Abhilfe schaffen. Das weiss auch die Stadträtin. Sie rechnet bestenfalls «mittelfristig» mit Spitälern, die kostendeckend arbeiten.