Hochbetagte sterben günstiger

Bei Hochbetagten wird im letzten Lebensjahr häufiger auf teure Eingriffe verzichtet – dementsprechend weniger belasten sie die Krankenkassen. Eine neue Studie birgt weitere Überraschungen – und Zündstoff.

Daniel Gerny
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Die Kosten im letzten Lebensjahr sinken mit dem Alter. (Bild: Gaëtan Bally / Keystone)

Die Kosten im letzten Lebensjahr sinken mit dem Alter. (Bild: Gaëtan Bally / Keystone)

Im letzten Lebensjahr vor dem Tod steigen die Gesundheitskosten, die bei den Krankenkassen anfallen, sprunghaft an – auf durchschnittlich 32 500 Franken pro Versicherten. Doch wer in sehr hohem Alter stirbt, belastet die Versicherung im letzten Jahr weniger stark als jünger Verstorbene: Diese überraschenden Resultate hat eine Studie im Rahmen des Nationalen Forschungsprogramms (NFP) zum Lebensende zutage gefördert. Die Zahlen deuten darauf hin, dass bei sehr alten Menschen weniger Mittel in ihre Heilung investiert werden und stärker auf bloss lebenserhaltende und palliative Medizin gesetzt wird.

Spardruck bei Hochbetagten

Das Forschungsteam hat anonymisierte Daten von insgesamt 113 277 in den Jahren 2008 bis 2010 verstorbenen Personen ausgewertet, die bei einer von sechs grossen Krankenkassen versichert waren. Die üblichen Gesundheitskosten betragen je nach Alter zwischen 3500 und 6700 Franken pro Jahr. Dass das letzte Lebensjahr viel teurer und massgeblich für die hohen Gesundheitskosten verantwortlich ist, ist bekannt. Die Studie zeigt aber je nach Altersgruppen grosse Abweichungen: Patienten, die im Alter zwischen 56 und 65 Jahren sterben, belasten die Krankenkasse mit durchschnittlich 44 400 Franken im letzten Lebensjahr am stärksten, während es bei der Gruppe der 86- bis 90-Jährigen nur 26 600 und bei den über 91-Jährigen sogar nur 25 300 Franken sind. Bis zu einem Alter von 65 Jahren steigen bei den Krankenkassen die Kosten für das letzte Lebensjahr sukzessive an, danach beginnen sie zu sinken, wobei der Effekt ab 80 Jahren besonders ausgeprägt ist.

Die Studienresultate sind insofern mit Vorsicht zu geniessen, als sie sich auf Zahlen der Krankenversicherungen stützen und keine direkten Rückschlüsse auf die Gesundheitskosten insgesamt zulassen. Insbesondere die Ausgaben der Kantone, Gemeinden oder Angehörigen würden in der Untersuchung nicht berücksichtigt, erklärt Mitautor Marcel Zwahlen vom Berner Institut für Sozial- und Präventivmedizin (ISPM) auf Anfrage. So sei beispielsweise bei Bewohnern von Pflegeheimen eine Verlagerung in andere Finanzierungskanäle denkbar.

Damit liessen sich die Unterschiede aber nur teilweise erklären. Hinweise dafür, dass teure medizinische Eingriffe und Behandlungen ab einem gewissen Alter zurückhaltender vorgenommen würden, finden sich laut Zwahlen auch in den Daten über die Durchschnittskosten bei gleicher Todesursache. Dass der Spardruck beim Einsatz nicht lebensnotwendiger Medizin bei Hochbetagten in der Tat steigt, zeigt gegenwärtig eine Debatte im Kanton Luzern: Dort verlangt ein Vorstoss eines SVP-Vertreters, dass der Kanton bei der Implantation von Prothesen bei über 90-Jährigen keine Beiträge mehr bezahlen soll. Die in den letzten Jahren gestiegene Mitgliederzahl von Exit zeigt gleichzeitig, dass der Verzicht auf den Einsatz der Hochleistungsmedizin um jeden Preis nicht nur negativ wahrgenommen wird.

Die NFP-Studie liefert weitere Erkenntnisse, die die politische Debatte befeuern werden. Wenig überraschend ist die Tatsache, dass Frauen in ihrem letzten Lebensjahr weniger Kosten verursachen als Männer. Dies lässt sich hauptsächlich mit ihrer höheren Lebenserwartung erklären.

Teure Romandie

Dagegen sind die regionalen Differenzen auffällig: In der Romandie bezahlen die Krankenkassen für Leistungen im letzten Lebensjahr deutlich mehr als in der Deutschschweiz. Auf frankenmässige Angaben verzichten die Autoren angesichts der unvollständigen Datenlage. Nach Auskunft von Zwahlen betragen die Kosten in der teuersten Region 57 100 Franken im letzten Lebensjahr – und nur gerade 8140 Franken in der günstigsten. Über die Gründe für die Unterschiede können die Forscher nur spekulieren. So vermuten sie, dass in der lateinischen Schweiz mehr Personen im Spital sterben als in der Deutschschweiz. Wo es mehr ambulant behandelnde Ärzte und Spitex-Strukturen gebe, sinke die Wahrscheinlichkeit, im Spital zu sterben.