Psychologie trifft Labor

Startschuss für weltweit größte Psychotherapie-Studie am Max-Planck-Institut für Psychiatrie

7. August 2017

Psychotherapie wirkt, das ist mittlerweile unbestritten. Doch wie wirkt sie? Und auf welchen Ebenen? Subjektiv empfinden Patienten im Idealfall eine Besserung. Doch was ist mit der biologischen Wirkung, lassen sich auch Veränderungen im Labor nachweisen? Das Max-Planck-Institut für Psychiatrie (MPI) stellt genau diese Fragen in einer großen, international einmaligen Studie, die jetzt anläuft.

"Während es bei den Medikamenten während der vergangenen 30 Jahre keine nennenswerten Fortschritte gab, gibt es bei den Psychotherapien dramatische Verbesserungen. Wir wissen nur leider immer noch nicht im Voraus, welchem Patienten welche Psychotherapie am besten und schnellsten helfen wird. Genau hier setzt unsere Studie an", erläutert Martin Keck, Studienleiter sowie Chefarzt und Direktor der Klinik am MPI.

Größte Studie weltweit

In die international einmalige Studie sollen innerhalb der nächsten acht Jahre circa 1000 Patienten integriert werden. Sie erhalten neben der Erhebung umfangreicher Blutwerte eine weitreichende Diagnostik mit bildgebenden Verfahren und neuropsychologischen Tests. Und sie durchlaufen ein intensives psychotherapeutisches Gruppen- und Einzelprogramm. Per Zufall ausgewählt, erhält ein Drittel der Patienten eine Schematherapie, ein weiteres Drittel wird mit kognitiver Verhaltenstherapie behandelt, das letzte Drittel bekommt eine individuelle unterstützende Behandlung. In acht Wochen absolvieren die Patienten 32 Sitzungen, die stichprobenartig im Nachhinein analysiert werden: Supervisoren wählen aus den 32 000 Videoaufnahmen, die entstehen werden, per Zufall aus und prüfen, wie die therapeutischen Vorgaben umgesetzt wurden. Nur so lässt sich eine „sprechende“ Therapie evidenzbasiert überprüfen und Ergebnisse verallgemeinern. „Ziel ist, Erkenntnisse über die biologische Wirkung von Psychotherapieverfahren zu gewinnen“, fasst Keck zusammen.

Wie wirksam ist die Schematherapie?

Die Studie soll außerdem neue psychotherapeutische Verfahren wie die Schematherapie auf ihre Wirksamkeit in der Depressionsbehandlung prüfen und Informationen liefern, welche Patienten besonders gut von bestimmten psychotherapeutischen Interventionen profitieren. Die Therapeuten kombinieren bei einer Schematherapie Methoden der kognitiven Verhaltenstherapie mit Elementen psychodynamischer Konzepte. Dadurch thematisieren sie stärker als bei klassischer Verhaltenstherapie Emotionen, prägende Erfahrungen aus der Vergangenheit und die Beziehung zwischen Patient und Therapeut.

Psychotherapie = Lernen

„Psychotherapie heißt lernen“, weiß Elisabeth Binder, Geschäftsführende Direktorin am MPI, „und Lernen hinterlässt Spuren im Gehirn, das wissen wir zum Beispiel aus der frühkindlichen Entwicklung“. Ein Verhalten, das zur Entstehung und  Aufrechterhaltung von Erkrankungen wie einer Depression beiträgt, ist erlernt. Wird es im Laufe einer Psychotherapie als krank machend identifiziert, erarbeitet der Patient gemeinsam mit seinem Therapeuten Alternativen – das Gehirn lernt neues Verhalten.

Umgekehrt gilt dieses Lernen auch für die Entstehung von Krankheiten: Der Körper lernt, krank zu sein – und kann es im Falle psychischer Störungen auch wieder verlernen. Daraus könnten sich neue therapeutische Ansätze entwickeln. Doch dafür müssen Wissenschaftler wissen, welche Prozesse beim Lernen in Gang gesetzt werden. In der neuen MPI-Studie trifft Psychologie sozusagen Labor: Zahlreiche biologische Messungen werden mit Psychotherapie kombiniert, das Lernen und damit die Wirkung von Psychotherapieverfahren soll im Labor nachgewiesen werden.

„Die  einzigartig enge Verbindung von Forschung und Klinik in unserem Institut ermöglicht uns, eine solch aufwendige Studie durchzuführen“, merkt Binder an. „Haben Therapeuten im Vorfeld ihrer Behandlung objektive Anhaltspunkte für den Erfolg oder Misserfolg bestimmter Therapien, lässt sich viel Zeit und Leid für die Betroffenen vermeiden“, schließt Keck.

as

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