Die Verbindung der Schweizer Ärzte vermisst beim Fallpauschalensystem eine Gesamtstrategie und befürchtet ein Eingreifen des Bundesrats. Die verantwortliche Firma reagiert mit Unverständnis.
Vor fünfeinhalb Jahren schlug gleichsam die Stunde null für die Schweizer Spitalfinanzierung. Seit Anfang 2012 wird jede stationäre Leistung in einem Spital mit einem leistungsbezogenen Betrag abgegolten. Das bedeutet zwar nicht, dass jede Blinddarm-operation in jedem Spital gleich teuer ist, weil die Vergütung noch weitere Faktoren berücksichtigt. Aber die Vergleichbarkeit – eines der Ziele des Systemwechsels – ist gleichwohl gestiegen.
So weit, so gut. Oder doch nicht? Fakt ist: Hüterin über das System ist die Swiss DRG (Diagnosis Related Groups) AG, eine Institution der Leistungserbringer, Versicherer und Kantone. Sie ist verantwortlich für die Einführung, Weiterentwicklung und Pflege der stationären Tarifstrukturen. Und hat inzwischen die Version 7.0 in Kraft gesetzt. Sie umfasst nicht weniger 1041 Fallpauschalen. Und stösst auf Kritik bei den Ärzten. Konkret: Die Verbindung der Schweizer Ärztinnen und Ärzte (FMH) vermisst eine «Gesamtstrategie mit klaren Zielen». Beatrix Meyer, Leiterin Abteilung Stationäre Versorgung und Tarife, hat in der Ärztezeitung jüngst die Befürchtung geäussert, wenn es bis Ende 2019 kein Gesamtkonzept mit entsprechenden Massnahmen gebe, drohe ein Eingreifen des Bundesrats in die Tarifstruktur. Dies, nachdem die Landesregierung schon früher Zweifel an den Plänen von Swiss DRG AG angemeldet hatte – und mit einer Lösung durch das Bundesamt für Gesundheit drohte.
Das will die FMH unter allen Umständen vermeiden: «Es besteht klarer Handlungsbedarf», sagt Meyer. Und empfiehlt, dass sich Swiss DRG AG mit allen Partnern an einen Tisch setzt, um strategisch Klarheit zu schaffen. Den Ärzten geht es dabei vor allem auch darum, dass bei der Festlegung von Fallpauschalen neben ökonomischen Gesichtspunkten medizinische Aspekte nicht zu kurz kommen. Zum Beispiel bei den Fällen, wo die Spitäler Defizite von 40 000 Franken pro Fall und mehr einfahren. Sie haben trotz Verbesserungen immer noch ein Volumen von 100 Millionen Franken pro Jahr.
Leicht säuerlich reagiert Swiss- DRG-Geschäftsführer Simon Hölzer auf die Ärztekritik: «Ich kann die Stellungnahme der FMH in weiten Teilen nicht nachvollziehen», sagt er auf Anfrage. Erstens sei ein Eingriff des Bundesrates «quasi ausgeschlossen». Zweitens stelle seine Organisation sicher, «dass das System der aktuellen Medizin folgt». Drittens versuche man, mit dem Pauschalsystem trotz Limitierungen «die richtigen Anreize zu setzen». Geschäftsführer Hölzers Fazit fällt denn auch eindeutig aus: «Das System wird nachweislich jährlich besser.» Weniger Komplexität, mehr Pragmatismus ist seine Strategie. Zu dieser will er sich auch auf Nachfrage nicht weiter äussern. Ebenso nicht zu konkreten Massnahmen, zum Zeithorizont derselben sowie zur Botschaft, die Swiss DRG ihren Partnern Ende September an einem Informationsanlass vermitteln will.
Da wird ihm die Einkaufsgemeinschaft von Helsana, Sanitas und KPT möglicherweise zuvorkommen: Anfang September ziehen die Krankenversicherer Bilanz über fünf Jahre neue Spitalfinanzierung. Der Waadtländer Regierungsrat und Gesundheitsdirektor Pierre-Yves Maillard, bekannt für seine markigen Worte und seine pointierten Ansichten, stellt seine Ausführungen dabei unter den Titel: «Spitalfinanzierung: Chronik eines Desasters».
Balz Bruder