Kommentar

Der medizinische Fortschritt treibt die Kosten in die Höhe

Neue Technologien machen die Medizin nicht billiger, sondern teurer. Das hat auch mit der Erwartungshaltung der Schweizer zu tun. Wenigstens die Digitalisierung birgt Potenzial für Kostensenkungen.

Simon Hehli
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Schweizerinnen und Schweizer zahlen Jahr für Jahr höhere Krankenkassenprämien. (Bild: Olivier Maire / Keystone)

Schweizerinnen und Schweizer zahlen Jahr für Jahr höhere Krankenkassenprämien. (Bild: Olivier Maire / Keystone)

Schade, funktioniert das Gesundheitswesen nicht wie eine Gummistiefel-Fabrik. Dank Fliessband und Arbeitsteilung sind die Stückkosten dort ohnehin schon tief – und jede neue Maschine mit modernster Technik lässt die Preise weiter purzeln. Der Kampf gegen Krankheiten folgt jedoch einer anderen Logik. Innovationen bei Operationstechniken, Geräten oder Medikamenten ermöglichen zumindest im reichen Westen immer neue Qualitätssprünge. Wir sind gesünder und leben länger. Doch die Effizienzgewinne machen das Gesundheitssystem nicht günstiger, im Gegenteil: Der technologische Fortschritt gilt als einer der grossen Kostentreiber.

Dieses scheinbare Paradox hat viele Gründe. Einer davon ist die Erwartungshaltung. Schweizerinnen und Schweizer zahlen Jahr für Jahr höhere Krankenkassenprämien – und wollen dafür im Gegenzug die bestmögliche Behandlung erhalten, sobald sie krank sind oder sich zumindest so fühlen. Besteht ein Patient auf dem Einsatz des neusten Mittels oder auf einem aufwendigen Eingriff, wäre es die Aufgabe des behandelnden Arztes, im Zweifelsfall ein Veto einzulegen. Doch wer verzichtet gerne auf einen Teil seines Verdienstes oder setzt sich dem Vorwurf aus, nicht alles Menschenmögliche gegen ein Leiden getan zu haben? Das führt zu einer Mengenausweitung, welche die Effizienzgewinne neuer Technologien oftmals mehr als neutralisiert. Zudem bleibt die Medizin ein personalintensiver Sektor. Operationsroboter oder Therapiegeräte für Demenzkranke wie die japanische Plüschrobbe Paro mögen vereinzelt Entlastung bringen, den Chirurgen oder die Pflegefachfrau können sie aber nicht ersetzen.

Das Beratungsunternehmen Ernst & Young prophezeit, dass sich die Prämien bis ins Jahr 2030 verdoppeln. In einer wohlhabenden Gesellschaft ist es zwar eine logische Entwicklung, dass ein immer grösserer Anteil des Haushaltsbudgets in das höchste Gut – die eigene Gesundheit – fliesst. Entsprechend unpopulär sind Rationierungen medizinischer Leistungen. Die Vorstellung, dass ein lebensrettendes Präparat vorhanden ist, aus finanziellen Gründen jedoch unerreichbar bleibt, wäre für heutige Kranke unerträglich. Aber Fatalismus ist das falsche Rezept: Damit die Gesundheitskosten nicht in absehbarer Zeit 20 oder gar 30 Prozent der Familieneinkommen verschlingen, braucht es Gegenmassnahmen. Vieles wurde in diesem Bereich schon vorgeschlagen. In Bezug auf neue Technologien wäre es angebracht, wenn Bund und Krankenkassen noch genauer hinsehen würden, welche bei der Abwägung von Kosten und Nutzen tatsächlich eine gute Bilanz ausweisen und welche nicht. Weiter muss der Tarif für ambulante ärztliche Leistungen mit dem medizinischen Fortschritt Schritt halten. Das ist heute nicht der Fall: Die Operation des grauen Stars zum Beispiel dauert heute nur noch rund 30 Minuten, doch der Augenarzt verdient daran, als ob er zweieinhalb Stunden aufwenden müsste – so wie einst, bei der Einführung des Tarifs vor dreizehn Jahren. Die entsprechende Revision harzt seit längerem.

Möglichst schnell vorangehen muss es auch mit der Einführung des elektronischen Patientendossiers. Damit sollen unter anderem unnötige und teure Zwei- oder Dreifachuntersuchungen verhindert werden. So könnte der technische Fortschritt in Form der Digitalisierung auch finanziell ein Segen sein.