„Zehn Krankenhäuser würden reichen“

Die Geschäftsführerin des Klinikums Saarbrücken auf dem Winterberg erklärt, warum es zu viele Kliniken und zu wenig Pflegekräfte gibt.

 Susann Breßlein in ihrem Büro auf dem Saarbrücker Winterberg.

Susann Breßlein in ihrem Büro auf dem Saarbrücker Winterberg.

Foto: Oliver Dietze

Für mehr Personal in den saarländischen Krankenhäusern haben vergangene Woche in Saarbrücken 3000 Menschen demonstriert. Die Lage sei wirklich schwierig, sagt Klinik-Chefin Susann Breßlein.

Frau Breßlein, ständig ist von einem "Pflegenotstand" in den saarländischen Krankenhäusern die Rede. Das klingt so, als müsste man als Patient Angst haben, wenn man ins Krankenhaus kommt. Wie schlimm ist die Situation?

Breßlein Patienten müssen keine Angst haben. Aber die Situation ist schon schlimm. Zunächst einmal, weil wir gar nicht mehr genügend junge Menschen haben, die sich für die Ausbildung interessieren. Das ist auch kein Wunder. Seit Jahren wird immer nur gesagt: Die Pflege liegt am Boden, sie wird schlecht bezahlt, es gibt keine geregelten Dienstzeiten.

Ist das denn alles falsch?

Breßlein Nein, aber man muss gleichzeitig auch sagen, wie schön, abwechslungsreich, verantwortungsvoll und zukunftssicher dieser Beruf ist! Dennoch fehlen Pflegekräfte auf dem Arbeitsmarkt. Das Klinikum Saarbrücken hatte 2016 im ersten Halbjahr 13 Stellen nicht besetzt, für die wir Geld von den Krankenkassen hätten, weil wir keine Bewerber hatten. Ausgleichen mussten das unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Pflege, die Überstunden gemacht haben. Uns geht es im Vergleich zu anderen Kliniken bei den freien Stellen allerdings noch relativ gut.

Gesundheitsministerin Monika Bachmann will erreichen, dass bis 2020 die Kassen 1000 zusätzliche Pflegestellen finanzieren.

Breßlein Wie soll das gehen? Pflegekräfte haben drei Jahre "Lieferzeit". Es gibt eine Initiative der Bundesagentur für Arbeit, geordnet Pflegekräfte von den Philippinen in die Bundesrepublik zu bringen. Krankenhäuser sollen ihren Bedarf melden. Für die Auswahl, den Sprachkurs und den Flug müssten dann pro Person 6000 Euro bezahlt werden. Wir machen da nicht mit. Es kann doch nicht sein, dass wir in diesen Ländern die Gesundheitsversorgung kaputtmachen, indem wir ihnen die Pflegekräfte wegnehmen. Außerdem sind solche Programme vor mehr als 25 Jahren schon gescheitert.

Wäre die Situation deutlich entspannter, wenn Sie alle Stellen besetzen könnten?

Breßlein Dann wäre es immer noch sehr eng. Es sind in den letzten Jahren deutlich Pflegestellen abgebaut worden. Das hängt damit zusammen, dass die Verweildauer in den Krankenhäusern immer kürzer wird. Wenn wir im Klinikum die Verweildauer der Patienten um einen halbenTag verkürzen, haben wir pro Tag etwa 35 Patienten weniger im Haus und könnten eine Station schließen und dementsprechend 15 oder 16 Stellen in der Pflege abbauen. So ist das bei uns auch passiert. Durch die kürzere Verweildauer hat sich die Arbeit auf der Station verdichtet. Früher hatte man den Patienten schon zwei, drei Tage vor einer Operation da, um ihn vorzubereiten, da hat er noch nicht so viel Arbeit gemacht. Oder die Patienten blieben nach ihrer Operation länger und waren an diesen Tagen nicht mehr so pflegeintensiv. Das ist heute ganz anders. Patienten sind nur noch die Tage in der Klinik, die unbedingt erforderlich sind. Die Krankenkassen prüfen deutlich öfter als früher, ob noch eine medizinische Notwendigkeit für den Krankenhausaufenthalt besteht und nicht nur eine pflegerische.

Wie viele Stellen bräuchten Sie mehr?

Breßlein Wenn wir in unserem Haus 20 bis 25 Pflegekräfte mehr hätten und außerdem alle jetzt schon vorhandenen Stellen besetzt wären, dann wäre uns schon sehr geholfen.

Frau Bachmann will im nächsten Krankenhausplan konkrete Vorgaben machen, wie viel Personal ein Krankenhaus für eine Station mindestens vorhalten muss.

Breßlein Darauf bin ich sehr gespannt.

Glauben Sie nicht daran?

Breßlein Die Vorgaben sind ja nur rechtssicher, wenn belegt ist, dass genau so viele Pflegekräfte, wie vorgeschrieben werden, auch wirklich notwendig sind. Wenn die Zahl also evidenzbasiert ist. Natürlich sind sechs Pflegekräfte besser als fünf, und fünf besser als vier. Aber was ist das Richtige? Deswegen soll es nach meiner Kenntnis auch nur "Empfehlungen" geben. Damit verschlechtern wir aber die Chancen, die zusätzlichen Stellen von den Krankenkassen refinanziert zu bekommen. Denn Empfehlungen müssen die Krankenkassen nicht bezahlen. Gleichzeitig soll es aber Sanktionen geben, wenn diese Empfehlungen nicht eingehalten werden. Da wird man sich auf eine Prozesswelle einstellen müssen. Ich bin sehr skeptisch, ob sich damit die Situation in der Pflege verbessern wird, und warte auf die ersten konkreten Ausarbeitungen.

Alle Welt redet nur von Pflegekräften. Wie sieht es bei den Ärzten aus?

Breßlein Wir könnten genauso gut auch noch zehn zusätzliche Ärzte einstellen, ohne dass wir dann eine Überbesetzung hätten. Ich habe aber dafür die Kassenfinanzierung nicht. Wir im Klinikum Saarbrücken finden zum Glück noch Ärzte, wenn Stellen zu besetzen sind. Das ist aber keineswegs mehr selbstverständlich. Wobei wir inzwischen im Saarland ganz viele Ärzte aus dem Ausland haben.

Wird sich das in Zukunft noch verstärken?

Breßlein Ja. Wir bilden zu wenige Ärzte aus. Jedes Jahr wollen 40 000 junge Menschen Medizin studieren, aber durch den Numerus Clausus bekommen nur 10 000 einen Studienplatz. Wir schaffen uns da einen Flaschenhals. Da ist es anders als in der Pflege: Bei den Ärzten gäbe es genügend Interessenten für die Ausbildung.

Warum fehlt denn überhaupt das Geld für zusätzliche Mitarbeiter?

Breßlein Als 2004 die Fallpauschalen eingeführt wurden, gab es im System eine gewisse Menge Geld. Man hat damals gesagt: Wir machen einen Deckel obendrauf, so dass die Krankenhäuser unabweisbare Kostensteigerungen wie höhere Gehälter, höhere Energiekosten, höhere Preise beim Einkauf nicht automatisch durch höhere Preise bezahlt bekamen. Hintergedanke war und ist, dass es einige Krankenhäuser einfach nicht mehr schaffen werden zu überleben. Allen war schon damals bewusst, dass wir in Deutschland eine Überversorgung mit Krankenhäusern haben. Aber die Politik traut sich nicht, Kapazitäten vom Netz zu nehmen.

Gibt es auch im Saarland zu viele Krankenhäuser?

Breßlein Auch im Saarland bräuchte man nicht alle Standorte. Als vor ein paar Jahren die Universitätskliniken von Verdi 111 Tage lang bestreikt wurden, ist die Gesundheitsversorgung nicht zusammengebrochen. Kurz darauf sind wir sechs Wochen vom Marburger Bund bestreikt worden, da ist sie auch nicht zusammengebrochen. Daran sieht man, welche Überkapazitäten es allein im Bereich der Maximalversorger gibt.

Im Saarland gibt es 22 Krankenhäuser. Wie viele würden reichen?

Breßlein Wenn man sich vorstellt, das Saarland hätte kein Krankenhaus und man müsste, wie bei Monopoly, jetzt Krankenhäuser hinstellen, würden zehn Standorte reichen, gut verteilt im Land. Aber es sind nun einmal 22 Standorte da. Die kann man ja nicht einfach abreißen. Aber man könnte mehr Strukturen verändern.

Warum geht da niemand ran?

Breßlein Es sind immer irgendwelche Wahlen am Horizont. Jeder Bürgermeister, jeder Abgeordnete, jeder Landrat, aber natürlich auch die Bevölkerung hängt verständlicherweise an dem örtlichen Krankenhaus. Für die neue Krankenhausplanung wurden von der Gesundheitsministerin allerdings bereits Strukturveränderungen angekündigt.

Eine ganz andere Baustelle sind die Investitionskosten für Gebäude und medizinische Großgeräte, die das Land eigentlich bezahlen müsste. Die Zuschüsse reichen hinten und vorne nicht.

Breßlein Im Moment zahlt die Landesregierung etwa 40 bis 45 Prozent der tatsächlich notwendigen Investitionen. Eigentlich müsste sie 100 Prozent zahlen. Bundesweit ist niemand mutig genug zu sagen: Ich verklage meine Landesregierung, ich habe einen gesetzlichen Anspruch darauf, dass meine notwendigen Investitionskosten übernommen werden.

Warum klagen Sie nicht?

Breßlein Ich bin auch nicht mutig genug, bundesweit die erste zu sein.

Die Fragen stellte Daniel Kirch.

Zum Thema:

Mit 27 Jahren erstmals Krankenhaus-Direktorin Susann Breßlein (59) wollte ursprünglich Sportjournalistin werden - die erste Frau, die im Fernsehen ein Spiel der Fußball-Nationalmannschaft der Männer kommentiert. Heute ist die gebürtige Norddeutsche eine von wenigen Frauen im Saarland, die ein Krankenhaus leiten. Nach ihrem Studium der Volkswirtschaftslehre und fünf Jahren an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken wurde sie mit 27 Jahren Verwaltungsdirektorin des Evangelischen Krankenhauses Zweibrücken. Seit 1993 ist Breßlein Geschäftsführerin des Klinikums Saarbrücken. Das Haus auf dem Winterberg mit rund 600 Betten (27 000 stationäre Patienten pro Jahr) beschäftigt rund 2000 Menschen, darunter 660 Pflegekräfte und 250 Ärzte. Ihre Leidenschaft für den Fußball blieb in all den Jahren: Sie ist Anhängerin von Borussia Dortmund und kandidierte 2016 für den Aufsichtsrat des 1. FC Saarbrücken, scheiterte aber knapp.

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