Das gute alte Krankenhaus gibt es nicht mehr: Marktplatz, Krankenhaus, Medizin, Bonuszahlungen für hohe Fallzahlen, Ökonomen gegen Ärzte und Flatrate-Mentalität – nach den Worten von Prof. Doris Henne-Bruns, wird der Patient zum Objekt von Händlern degradiert. Deutliche Worte, die sie im Rahmen einer Beiratssitzung des Deutschen Ärztinnenbundes in Neu-Ulm aussprach. Mit der Einführung der Fallpauschale verändere sich die deutsche Kliniklandschaft gravierend.
Das 2004 eingeführte Abrechnungssystem sollte die Versorgung effizienter gestalten. So werden nicht mehr Liegetage in der Klinik abgerechnet; die Krankenversicherungen zahlen nur noch feste Pauschalen für bestimmte Krankheiten. „In den letzten 15 Jahren fand ein dramatischer Wandel im Gesundheitssystem statt“, sagte die Ärztliche Direktorin. Sie sprach jetzt in Neu-Ulm über die Kommerzialisierung des Gesundheitswesens und deren Auswirkungen. Wie schon bei den „Denkanstößen“ in Ulm, äußerte sie ihr Unverständnis über die Ökonomisierung der Medizin. „Die Gesundheit wird zu einer handelbaren Ware, der Patient wird zum Kunden und so letztlich zum Objekt der Händlert, zu einem Wirtschaftsfaktor“, sagte Henne-Bruns.
Schon lange machen Schlagworte wie „Hamsterrad“ oder „Rosinenpickerei“ in Bezug auf das neue Abrechnungssystem die Runde. Kliniken picken sich lukrative Behandlungsfälle aus dem Kuchen, und weniger gewinnbringende Patienten werden vernachlässigt. Deutschlands Krankenhäuser seien mittlerweile in einem Wettbewerb um Gewinnmaximierung und da manche Eingriffe nicht so viel Profit bringen, müssten die Fallzahlen eben erhöht werden. Sprich: Wenn es weniger Geld für eine Operation gibt, muss eben mehr operiert werden.
Beispielsweise müssten bei Operationen am Knie oder der Hüfte eine Mindestmenge erreicht werden. „Wie viel Mehrkosten wir durch mehr Operationen generieren, weiß heute schon keiner mehr“, meinte sie. Auch in der Mediziner-Ausbildung hätte dieser Trend Überhand gewonnen: So würden junge Ärzte heute darauf getrimmt, zuerst danach zu schauen, wie viel Tage Aufenthalt ein Patient anhand seiner Krankheit brauche, als dass sie den Blick auf die individuelle Notwendigkeit richten.
„Das Wertesystem der Uni schaut heute nur auf Drittmittel einwerben und die Anzahl der Impact Punkte“, meinte Henne-Bruns. In diesem System, das eine Ökonomisierung der Medizin mit sich bringe, ergebe sich auch die neue Frage nach der Verantwortung. Wenn Patienten etwa in einer Notaufnahme nicht mehr zeitlich adäquat behandelt werden könnten, müssten eigentlich die Kaufleute zur Verantwortung gezogen werden, die das Personal eingespart haben.
Die aktuelle Perspektive um die Lage zu ändern, hänge nun davon ab, so Henne-Bruns, wie die Ärzteschaft diese Entwicklung mitgehe. „Was unseren Beruf mal ausgemacht hat, war doch eben, nicht nur Handwerk zu sein“, sagte Henne-Bruns, und plädierte gegen ärztliche Leistung als Produktionsprozess.