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Kanton Aargau
Besitzer, Auftraggeber, Tarifgenehmiger: Der Kanton kommt mit seiner Mehrfachrolle bei Spitälern zunehmend in Zielkonflikte. Die FDP will diesen gordischen Knoten durch Verkauf der Spitäler lösen. Sogar Volksaktien werden ins Spiel gebracht.
Die freisinnige Fraktion reicht in der heutigen Grossratssitzung einen Vorstoss ein, der sehr kontroverse Reaktionen auslösen wird. Sie will nämlich das Spitalgesetz so anpassen, dass der Kanton das Kantonsspital Aarau AG (KSA), das Kantonsspital Baden AG (KSB) und die Psychiatrischen Dienste AG (PDAG) vollständig verkaufen, sprich privatisieren kann. Zu prüfen seien auch Vor- und Nachteile einer vorgängigen Teilveräusserung der Aktien.
FDP-Gesundheitspolitikerin und Apothekerin Martina Sigg begründet die Forderung mit der Sorge, «wie eine effektivere Steuerung der Finanzierung der stationären Versorgung erfolgen kann». Wie man es drehe und wende, zeige sich immer wieder das Hauptproblem: «Die Interessenkonflikte des Kantons als Eigentümer, Betreiber, Regulator, Finanzierer und Leistungsbesteller seiner Kantonsspitäler sind wesentliche Hindernisse auf dem Weg zu einer wettbewerblichen und kosteneffizienten Spitalversorgung.» Eine Entflechtung dieser Interessenkonflikte sei somit der erste Schritt zur Erreichung einer effizienteren Spitalversorgung», schreibt Sigg in der FDP-Motion.
Sigg betont, dass die Regierung in der Beantwortung eines früheren Vorstosses ja einen Bericht in Aussicht gestellt habe, der die Rolle des Kantons bezüglich Eigentümerschaft der Kantonsspitäler beleuchten solle. Darüber hinaus haben sich die Kantonsfinanzen weiter verschlechtert, sodass dringender Handlungsbedarf bestehe, so Sigg.
Die Überprüfung der Eigentümerschaft des Kantons sei reif, findet die Gesundheitspolitikerin. Mit anderen Fraktionen habe man sich nicht abgesprochen. Sigg ist zuversichtlich, eine Mehrheit für den Vorstoss zu finden. Man höre gerade aus SVP und CVP, aber auch aus anderen Fraktionen zunehmend Stimmen, die die problematische Mehrfachrolle des Kantons lösen wollen.
Dass darob die Versorgung schlechter werden könnte, weil privatisierte Spitäler gewisse Angebote nicht mehr machen würden, glaubt Sigg nicht: «Der Kanton hat das als Regulator, Leistungsbesteller und Tarifgenehmiger in der Hand. Er entscheidet, wer was machen darf und kann auch die Auflage für eine bestimmte Leistung machen, damit das Spital auch einen andern Auftrag erhält.»
Auch die geltende Verfassung schreibe nicht vor, dass der Kanton seine Spitäler zu 100 Prozent besitzen müsse. Gemäss gültigem Spitalgesetz könnte er heute schon bis 30 Prozent der Spitalaktien verkaufen. Die Freisinnigen wollen jetzt aber, dass ein gänzlicher Verkauf möglich wird.
Und sollen privatisierte Spitäler dann auch günstiger werden? Das stehe keinesfalls im Vordergrund, sagt Sigg, es gehe hier darum, eine Lösung für die Mehrfachrolle des Kantons zu finden. Bei einem Verkauf würde der Druck auf mehr Kosteneffizienz gewiss steigen, erwartet Sigg. Der Kanton bleibe aber so oder so Herr des Verfahrens, «da er weiterhin über die Spitalliste und die Leistungsaufträge seine Planungskompetenzen in der Gesundheitsversorgung ausüben kann».
Was hält der grüne Grossrat, Arzt und Gesundheitspolitiker Severin Lüscher von diesem Vorstoss? Er schickt voraus, der Rollenkonflikt des Kantons bei den Kantonsspitälern sei tatsächlich ein grosses Problem, das man lösen müsse. Nur wie? Der Kanton müsse Regulator bleiben, auch die Spitalliste müsse in seiner Zuständigkeit bleiben, sagt Lüscher: «Eine andere Lösung als die in der FDP-Motion sehe ich im Moment auch nicht.»
Lüscher fragt aber weiter, warum denn bisher kein Interessent für den Teil der Spitalaktien in Erscheinung getreten ist, die der Kanton heute schon verkaufen könnte, und weiter: «Würde es nicht reichen, nur eine Minderheit der Aktien anzubieten? Beispiele aus der Privatwirtschaft zeigen ja, dass auch ein Investor mit nur 7 Prozent Anteilen viel bewirken kann.» Etwas wolle er auf gar keinen Fall: «Dass in unseren Spitälern Zustände eintreten wie bei der englischen Eisenbahn, die von privaten Besitzern zu Boden geritten worden ist und die der Staat jetzt retten muss.»
Anderseits wolle ein privater Investor für das Spital ja einen möglichst guten Ertrag hereinholen. Das beisse sich mit dem Interesse des Kantons, der von Gesetzes wegen 55 Prozent der Kosten tragen muss. Er sähe noch einen anderen Ansatz, den Rollenkonflikt und einige gravierende Fehlanreize zu entschärfen: «Das wäre die einheitliche Finanzierung von ambulanten und stationären Leistungen aus einer Hand, die sogenannt monistische Finanzierung. Ein entsprechender Vorstoss der Aargauer Nationalrätin Ruth Humbel wird in Bern seit 2009 verschleppt.»