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Änderung aus Kostengründen vermutet Kritik an neuer Leichenschau

Ab dem 1. August soll in Bremen das Gesetz der neuen qualifizierten Leichenschau inkrafttreten. Rechtsmediziner und Polizei aber üben Kritik: Die neue Regelung sei "Irrsinn".
27.03.2017, 19:04 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Kritik an neuer Leichenschau
Von Sabine Doll

Ab dem 1. August soll in Bremen das Gesetz der neuen qualifizierten Leichenschau inkrafttreten. Rechtsmediziner und Polizei aber üben Kritik: Die neue Regelung sei "Irrsinn".

Olaf Cordes ist verärgert. „Eigentlich sollte in Bremen künftig jeder Tote genauer untersucht werden, um ungeklärte Todesursachen und potenzielle Tötungsdelikte besser aufklären zu können. Jetzt wird aber still und heimlich ein Gesetz verabschiedet, das diesem Ziel überhaupt nicht gerecht wird. Aus fachlicher Sicht hätte man sich das dann auch sparen können“, sagt der Leiter des Bremer Instituts für Rechtsmedizin.

Cordes vermutet, dass es Kostengründe sind, warum die Behörde von Gesundheitssenatorin Eva Quante-Brandt (SPD) nach monatelangen Ankündigungen „diese Light-Variante“ einer qualifizierten Leichenschau einführen wolle. Cordes: „Das ist Augenwischerei.“

Darum geht es: Bislang wird der Tod eines Menschen in den meisten Fällen vom Hausarzt, Notarzt oder einem Arzt im Krankenhaus festgestellt und bescheinigt. Im Land Bremen gibt es im Jahr rund 8000 Todesfälle. Derzeit werden Tote nur zusätzlich von einem Rechtsmediziner untersucht, bevor sie eingeäschert werden. Oder wenn Hinweise auf eine nicht-natürliche Todesursache vermutet werden. Die neue qualifizierte Leichenschau sieht vor, dass künftig bei jedem einzelnen Toten ein speziell qualifizierter Rechtsmediziner den Verstorbenen genau untersucht – um die Todesursache zu klären und um mögliche Hinweise auf ein Tötungsdelikt festzustellen.

Leichnam nur in Sonderfällen am Fundort zu untersuchen

„Der wesentliche Punkt ist, dass diese qualifizierte Leichenschau immer in jedem Fall unverzüglich und vor allem am Auffindeort von einem Rechtsmediziner vorgenommen wird. Nur dann macht das aus fachlicher Sicht überhaupt Sinn“, sagt Olaf Cordes. Der Auffindeort kann die Wohnung des Toten, das Krankenhaus oder jeder andere Ort sein. In der monatelangen Debatte über das neu gefasste Leichengesetz sei das auch der Plan der Behörde gewesen, so Cordes. „Das ist im Gesetz aber nicht mehr als verpflichtend vorgesehen. Wie sollen wir als Rechtsmediziner eine Todesursache bewerten, wenn wir die Leiche oft erst 36 Stunden später sehen – und vor allem nicht am Auffindeort, sondern beim Bestatter?“

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Die Gesundheitsbehörde bestätigt auf Nachfrage des WESER-KURIER die Abkehr von dieser sogenannten dezentralen Leichenschau in jedem Todesfall: Nur bei Auffälligkeiten des todesfeststellenden Arztes oder bei Polizeifällen solle ein Rechtsmediziner den Leichnam an dem Fundort untersuchen. „Bei 'Normalfällen' erfolgt die Leichenschau in der Leichenhalle des Bestatters“, so die Sprecherin der Gesundheitsbehörde, Christina Selzer. Demnach liegt die Beurteilung, ob eine Todesursache unklar ist oder ob es Hinweise auf ein Tötungsdelikt gibt, beispielsweise bei dem Hausarzt.

Lüder Fasche ist Vorsitzender der Fachgruppe Kriminalpolizei bei der Gewerkschaft der Polizei, er formuliert seine Kritik an dieser Regelung sehr deutlich: „Das ist nicht nur ein Rückschritt, sondern Irrsinn“, sagt er. „Da wird eine qualifizierte Leichenschau eingeführt, der Begriff suggeriert eine Qualitätssteigerung – und dafür will man sich bundesweit als Vorreiter feiern lassen. Aber guckt man hinter die Fassade, ist da keine Verbesserung zu sehen.“ Das sei nur der Fall, wenn jeder Tote am Auffindeort untersucht werde. „Ansonsten gehen wichtige Spuren verloren.“

Widerspruch zu kriminalistischen Grundsätzen

Werde eine Leiche nach der Todesfeststellung zum Bestatter gebracht und dort erst bis zu 36 Stunden später von einem Rechtsmediziner gesehen und dieser stelle Hinweise auf ein Tötungsdelikt fest, gehe wichtige Zeit für die Polizei verloren. Zudem könnten sie in der Wohnung, am Fundort, vernichtet werden. Fasche: „Das widerspricht elementaren kriminalistischen Grundsätzen. Wir wollen Morde aufklären. Das lohnt sich aber nur, wenn wir auch die Chance haben, sie aufzuklären.“ Dies sei in den ersten 24 Stunden am größten.

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Kritik üben Rechtsmediziner Cordes und der Polizeibeamte auch daran, dass die Krankenhäuser gänzlich auf einen externen Rechtsmediziner für die qualifizierte Leichenschau verzichten dürfen: Das Gesetz erlaubt es den Kliniken, eigene Ärzte zu schulen, die die Leichenschau bei verstorbenen Patienten vornehmen. Aus der Gesundheitsbehörde heißt es dazu, dass dieses Verfahren noch nicht endgültig entscheiden sei, es solle vor allem der Entlastung des Instituts für Rechtsmedizin dienen, so Behördensprecherin Christina Selzer. In jedem Fall sei eine Qualifizierung und Supervision der Klinikärzte durch das Rechtsmedizinische Institut vorgesehen. „Unabhängigkeit sieht anders aus“, betont Fasche.

Bereits vor gut drei Jahren hatte sich der Senat auf die Einführung der qualifizierten Leichenschau verständigt, allerdings gab es lange Debatten unter anderem darüber, ob das Bremer Institut die Leitung übernimmt. Die Mordserie des ehemaligen Krankenpflegers Niels H. in Delmenhorst hatte den Druck auf die Politik erhöht.

Evaluierung nach 24 Monaten

In der vergangenen Woche hat die Gesundheitsdeputation dem Gesetzentwurf, der noch im April in der Bürgerschaft beschlossen werden soll, zugestimmt. Darunter auch die CDU, die immer mit Nachdruck gerade die dezentrale Leichenschau durch einen neutralen Rechtsmediziner am Fundort gefordert hatte. „Ich teile die Kritik der Rechtsmediziner und der Polizei, ganz klar“, sagt der innenpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Wilhelm Hinners.

„Aus kriminalistischer Sicht ist das Gesetz kein großer Wurf, aber wir konnten zumindest zur Bedingung machen, dass es nach zwei Jahren eine Evaluierung geben wird.“ 24 Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes soll bewertet werden, ob die qualifizierte Leichenschau in dieser Form dazu beiträgt, mehr ungeklärte Todesursachen zu klären. „Wie soll ich das denn bewerten, wenn ich nur die Leiche habe, aber nicht am Fundort?“, so Cordes.

Nach den Plänen der Gesundheitsbehörde soll die qualifizierte Leichenschau ab dem 1. August umgesetzt werden. Damit werden auch die Gebühren für die neue Pflicht-Untersuchung steigen, die von den Angehörigen bezahlt wird: Rund 150 bis 200 Euro werden dann fällig, bislang liegt sie für die Leichenschau vor der Einäscherung bei 114 Euro.

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