GESUNDHEITSWESEN: BAG-Vizedirektor: «Patientennutzen ist entscheidend»

Stefan Spycher, Vizedirektor des Bundesamts für Gesundheit, sieht in der Digitalisierung viel Potenzial für die Branche. Aber es braucht mehr Markt und mehr Innovation.

Balz Bruder
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Auch das Kantonsspital Luzern verlässt sich auf Robotik. (Bild: Pius Amrein (Luzern, 1. Dezember 2016))

Auch das Kantonsspital Luzern verlässt sich auf Robotik. (Bild: Pius Amrein (Luzern, 1. Dezember 2016))

Interview: Balz Bruder

balz.bruder@luzernerzeitung.ch

Ob Internet der Dinge, Smart Data oder Robotik: Die Grenzen der Machbarkeit sind in der klinischen Anwendung von digitalen Entwicklungen derzeit nicht absehbar. Was nichts daran ändert, dass sich neben medizinischen und wirtschaft­lichen Fragen auch ethische und regulatorische stellen. Und solche nach dem Nutzen für die Patientinnen und Patienten. Der Volkswirtschafter Stefan Spycher (Bild), Vizedirektor des Bundesamts für Gesundheit (BAG) und Leiter des Direktionsbereichs Gesundheitspolitik, befasst sich mit diesen Fragen.

Stefan Spycher, was bringt die Digitalisierung im Gesundheitswesen den Patientinnen und Patienten?

Digitalisierung ist kein Selbstzweck. Sie ist ein Instrument, um die Qualität der Versorgung zu verbessern und die Effizienz zu steigern. Dieser Gedanke steht auch hinter den E-Health-Anstrengungen und der Einführung des elektronischen Patientendossiers.

Wo stehen wir da im Vergleich mit Europa?

Nicht an der Spitze. Die notwendigen staatlichen Rahmenbedingungen im Gesundheitswesen, die föderalen Strukturen und das teilweise vorhandene Besitzstandwahrungsdenken der Leistungserbringer fördern die Innovation vergleichsweise wenig. Zudem ist die Interaktion zwischen Medizin und Industrie und umgekehrt nicht optimal. Letztere weiss häufig nicht, was Erstere braucht.

Aber das Potenzial ist da.

Ja, ohne Zweifel. Aber es braucht Wettbewerb und Kostendruck im Gesundheitswesen, damit die Innovation wächst.

Welche Rolle spielt da der Regulator?

Er soll so viel wie nötig und so wenig wie möglich machen. Selbstverständlich muss er sicherstellen, dass alle Zugang zu einer guten Gesundheitsversorgung haben. Den Rest sollen aber die Leistungserbringer und die Anbieter von Dienstleistungen selber machen.

Wie zuversichtlich sind Sie, dass das funktioniert?

Es wird sicher funktionieren, aber noch einiges an Zeit brauchen. Viele Leistungserbringer müssen umdenken und die Chancen der Digitalisierung nutzen. Gleichzeitig ist aber auch die Industrie gefordert. Sie muss Lösungen entwickeln, die einen echten Mehrwert für die Leistungserbringer bringen und sich dann auch in einer verbesserten Qualität der Versorgung niederschlagen.

Das heisst auch: Nicht alles, was machbar ist, ist sinnvoll.

Ja, das ist so. Letztlich ist die Innovation am Patientennutzen zu messen. Nicht alle Daten sind wertvolle Informationen. Es geht in erster Linie um Qualität und um Sicherheit. Zudem gibt es auch eine ethische Komponente, zum Beispiel in der personalisierten Medizin: Stichwort Gentests.

Die Digitalisierung ist technik- und apparategetrieben. Löst sie auch das Problem des Fachkräftemangels?

Sie hat auch in diesem Bereich Potenzial. Aber wir sollten uns keine Illusionen machen. Der medizintechnische Fortschritt und die demografische Entwicklung erhöhen die Nachfrage. Und das schlägt sich auch auf den Personalbedarf nieder.

Was ist für Sie der Megatrend, in den sich die Digitalisierung als Hilfswissenschaft im Gesundheitswesen einbetten muss?

Ganz klar die Durchgängigkeit der Behandlungspfade für komplexe Krankheiten. Es braucht eine bessere Zusammenarbeit und weniger Gartenhag-Denken zwischen den Leistungserbringern. Das fördert die Qualität der Versorgung und verhindert Fehl- und Mehrfachbehandlungen. Mit positiven Effekten auf die Kosten.