Ist der Stresspegel am Kreiskrankenhaus Osterholz zu hoch? Gibt es zu wenig Mitarbeiter? Herrscht vielleicht gar Pflegenotstand? Diese und ähnliche Fragen stellen sich Patienten, die in den vergangenen Wochen einige Zeit im Kreiskrankenhaus verbringen mussten.
Ist der Stresspegel am Kreiskrankenhaus Osterholz zu hoch? Gibt es zu wenig Mitarbeiter? Herrscht vielleicht gar Pflegenotstand? Diese und ähnliche Fragen stellen sich Patienten, die in den vergangenen Wochen einige Zeit im Kreiskrankenhaus verbringen mussten. „Hier geht es schließlich um Menschen, da muss doch etwas geschehen“, sagt ein Mittfünfziger, der seinen Namen lieber nicht in der Zeitung lesen möchte. Er und eine Reihe anderer Patienten haben sich mit ihrem Anliegen in jüngster Zeit an das OSTERHOLZER KREISBLATT gewandt. Sie wollten dem Kreiskrankenhaus ausdrücklich nichts Schlechtes, ihnen gehe es lediglich um die Verfassung der Mitarbeiter, heben sie ausdrücklich hervor.
Pflegenotstand? Damit können weder Krankenhausleiter Klaus Vagt noch Pflegedienstleiter Rolf Weiß etwas anfangen. Pfleger, Ärzte und alle anderen Mitarbeiter seien „in gutem Fahrwasser“, versichert Vagt. Auch Stefan de Vries, Vorsitzender des Personalrats, ist „verwundert“. Das schreibt er uns in einer ausführlichen E-Mail.
Wie berichtet, gab es in den Monaten Januar, Februar und März aus unterschiedlichen Gründen einen besonders großen Andrang von Patienten. „Wir hatten ein bis zwei Tage eine 115-prozentige Belegung“, sagt Weiß. Auch an die 100 Prozent sei das Kreiskrankenhaus mehrfach gekommen. Aber dies sei durch entsprechende Korrekturen in den Dienstplänen aufgefangen worden, ergänzt der Pflegedienstleister. Vagt wirft ein, dass sich die Osterholzer während des Patientenansturms wacker geschlagen hätten, während sich Bremer Kliniken wegen massenhafter Belegung abgemeldet hätten.
Pflege
123 Betten sind 100 Prozent
Die Auslastung von Krankenhäusern wird anhand sogenannter Planbetten oder auch Stellplätze ermittelt. Für das Kreiskrankenhaus gelten 123 dieser Planbetten als 100 Prozent. Nach Auskunft von Weiß verfügt die Einrichtung über insgesamt 157 Stellplätze. Als „politische Vorgabe“ gelte eine Auslastung von 85 Prozent. Das Kreiskrankenhaus Osterholz habe es im vergangenen Jahr auf einen Durchschnitt von 86,5 Prozent gebracht.
Für Fälle höchster Auslastung der Stationen attestiert Personalratschef de Vries der Pflegedienstleitung, dass sie zeitnah reagiere. Dafür greift Weiß nach eigenen Worten unter anderem auf Minijobber im Mitarbeiterpool zurück. Als Beispiel nennt er die „Krankenschwester im Mutterschutz“. Doch nicht nur sie springen bei Bedarf ein. Weiß nennt als weiteres Standbein Mitarbeiter aus der ambulanten Pflege. Dafür gibt es auch von außen Lob: „Das machen die Osterholzer wirklich gut“, sagt ein früherer Mitarbeiter.
Insgesamt, da sind sich Personalrat, Pflegedienstleitung und Leitung des Kreiskrankenhauses einig, sei die Stimmung gut. Gleichwohl machen sie keinen Hehl daraus, dass die Anforderungen mit dem vorhandenen Personal nicht mehr zu stemmen sind. Davon hat sich – wie ebenfalls berichtet – der Kreistag überzeugen lassen und bei der Verabschiedung des Haushalts im Februar 14,5 Stellen zusätzlich genehmigt. Das sei für ein Krankenhaus dieser Größe ein ordentlicher Zuschlag, sind sich Kenner einig.
Sonderseite Klinikreform
Damit dürfte nach deren Einschätzung die hiesige Einrichtung vergleichsweise gut aufgestellt sein. Hintergrund: In nahezu allen Krankenhäusern fehlt Pflegepersonal. Kein Wunder also, dass Chirurgen davor warnen, dass Behandlungserfolge gefährdet werden könnten. „Trotz der enormen Fortschritte in der Chirurgie gibt es in Deutschland erhebliche Defizite in der Patientenversorgung“, wird unter anderem Tim Pohlemann, Präsident des 134. Chirurgenkongresses in München, in der „Ärzte-Zeitung“ zitiert. Die Patienten würden immer schlechter versorgt. Je öfter die Pfleger ihre jeweiligen Patienten sähen, desto eher registrierten sie eine negative Entwicklung. ARD-Talker Frank Plasberg hat bei „Hart aber fair“ unlängst eine Sendung über Sparzwang und Hygienemängel in deutschen Kliniken gemacht.
Nicht nur die Ärztefunktionäre bemängeln, dass in Deutschland gerade an der Pflege als dem vermeintlich höchsten Kostenfaktor immer weiter gespart werde. Darin sind sich die Mediziner mit der Gewerkschaft Verdi einig. Die Arbeitnehmervertreter werben gerade bundesweit für ihre Aktion „Tarifvertrag Entlastung“, auch in Niedersachsen und Bremen.
Zwar mögen die Mitarbeiter in den Krankenhäusern ihren Beruf, schreibt Verdi auf seiner Internetseite: „Trotzdem geben viele nach ein paar Jahren den Beruf ganz auf oder reduzieren ihre Arbeitszeit. Das hat etwas mit der hohen Belastung zu tun. Pausen können selten genommen werden und kurzfristiges Einspringen ist Normalität.“ Und: „Viele sind emotional erschöpft, nicht wenige macht das alles krank. Denn auch noch so viel persönlicher Einsatz kann den strukturellen Personalmangel nicht ausgleichen. Bei privaten Klinikkonzernen, kirchlichen Kliniken oder öffentlichen Krankenhäusern – überall fehlt Personal.“
Der Stress ist ein ständiger Begleiter des Krankenhausalltags. Zwar wähnt sich die Leitung des Kreiskrankenhauses Osterholz dank eines Notfallkonzepts auch für temporär auftretende außergewöhnliche Auslastungssituationen gerüstet, doch wird über einen grundsätzlichen Mangel an Pflegekräften in deutschen Kliniken Klage geführt. Das hat auch der Osterholzer Kreistag registriert und neue Stellen bewilligt.
Die Gewerkschaftsfachleute haben Zahlen zusammengetragen, die die Forderung nach mehr Personal untermauern sollen. So sei der Anteil des ärztlichen Personals zwischen 1995 und 2015 um mehr als ein Drittel angestiegen. Gleichzeitig habe sich der Anteil der Pflegekräfte um mehr als elf Prozent verringert. In diesen zehn Jahren, so Verdi, seien mehr als 3000 Planstellen für Pflegekräfte abgebaut worden.
Auch im europäischen Vergleich steht Deutschland schlecht da. Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts betreut eine Pflegefachkraft 9,9 Patienten. Nur Spanien liegt mit 10,2 Patienten hinter der Nation mit der größten Wirtschaftskraft in Europa. Dagegen leisten sich die beiden Spitzenreiter Norwegen und die Niederlande ein Verhältnis von 3,7 beziehungsweise 4,8 Patienten je Pflegefachkraft. In vielen Krankenhäusern muss laut „Ärzte-Zeitung“ eine Fachkraft bis zu 14 Patienten versorgen.
Personalratschef de Vries weist in seiner E-Mail denn auch darauf hin, dass die Osterholzer Klinik „vergleichsweise gut“ mit Personal ausgestattet sei. Vor allem bei den Einrichtungen in privater Trägerschaft seien „die Zustände viel unerfreulicher“. Laut Pflegedienstleiter Weiß kommt jeweils auf zehn Patienten eine Pflegefachkraft.
Die Patienten jedenfalls sind mit der Betreuung durch die Mitarbeiter im Kreiskrankenhaus zufrieden. Davon zeugen die von Vagt vorgelegten Ergebnisse der regelmäßigen Befragungen. Danach sei die Betreuung durch die Mitarbeiter zu 95 Prozent gut oder sehr gut gewesen. Das sogenannte Benchmarking im Jahr 2015 habe ergeben, dass 34 Prozent ausgezeichnet, 45 Prozent sehr gut und 17 Prozent gut betreut worden seien.