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Operationsszene.
Legende: Stark steigende Kosten: Inzwischen bedarf das Schweizer Spitalwesen selbst der Rettung. Keystone
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Steigende Spitalkosten Vor dem finanziellen Infarkt

Die Spitalkosten in der Schweiz haben sich in 20 Jahren verdoppelt. Kein Wunder, denn niemand hat Interesse zu sparen.

Kennen Sie die Kosten, die Sie als Spitalpatient verursachen? Das Spital-Beratungsunternehmen Medcare hat für SRF Beispielrechnungen angestellt.

Operationen und ihre Preise

Eingriff
Aufenthaltsdauer
Kosten
Geburt (spontan)
2 Tage
5200
Kaiserschnitt (geplant)5 Tage
7600
Blinddarmentfernung3 Tage
6300
Stent-Einsatz via Herzgefäss
2 Tage
13'000
Hüftgelenkprothese5 Tage
16'000
Entfernung Hirntumor
9 Tage
24'700
Nierentransplantation11 Tage
41'400

Treten Komplikationen ein, die den Aufenthalt verlängern – möglicherweise inklusive Beatmung auf der Intensivstation – schnellen diese Zahlen weiter in die Höhe: So kann eine Hirntumor-Entfernung auch mehr als 80'000 Franken kosten.

Es sind gewaltige Summen, die im Schweizer Spitalwesen anfallen. Laut jüngsten Daten sind es 27 Milliarden Franken pro Jahr – der grösste Kostenblock im Gesundheitswesen. Dieses verteuert sich Jahr um Jahr. Die Versicherten spüren das durch die ständig steigenden Prämien. Erste Schätzungen gehen davon aus, dass auch 2018 die Versicherten-Beiträge um bis zu 5 Prozent höher ausfallen werden.

Dass die Summen im Spitalwesen in solche Höhen schiessen, liegt auch daran, dass niemand in diesem System Interesse hat zu sparen:

Die Spitäler: Auf der Jagd nach Patienten

Sie sollen wie Unternehmen funktionieren, ihre Kosten selber decken und möglichst Gewinn erwirtschaften. Für jede Operation erhält das Spital eine entsprechende Summe, die sogenannte Fallpauschale. Mit dieser Regelung hoffte der Gesetzgeber auf effizientere Leistungen und weniger Kosten. Das Gegenteil trat ein. Im harten Wettbewerb untereinander versuchen Spitäler ihre Betten zu füllen und möglichst viele und lukrative Eingriffe durchzuführen.

Die Krankenkassen: Stationär statt ambulant

Krankenversicherer haben keinen Anreiz, ambulante Behandlungen zu forcieren – obwohl sie eigentlich günstiger sind, weil die Patienten keine Spitalbetten füllen. Der Grund: Sie müssen die Kosten komplett übernehmen. Bei stationären Aufenthalten hingegen zahlt die öffentliche Hand einen Anteil von 55 Prozent.

Die Patienten: Nur das Beste ist gut genug

Wer über Jahre hohe Krankenkassenprämien bezahlt hat, der will auch etwas dafür. Eine Anspruchshaltung, vielfach angeheizt durch immer neue Behandlungsmethoden und von Ärzten entsprechend angepriesen. Obwohl eine höhere Qualität des Eingriffes mit neuen Methoden nicht durchwegs gewährleistet ist.

Obwohl die Zahl der Spitalbetriebe in der Schweiz abgenommen hat, sind die Spitalkosten stark gestiegen, seitdem das Krankenversicherungsgesetz 1996 in Kraft getreten ist. Daniel Scheidegger, ehemaliger Chefarzt, sieht die Zeit gekommen, auf die Bremse zu treten. Er appelliert auch an seine eigene Zunft.

SRF: Herr Scheidegger, welche Probleme sehen Sie aus Ärzte-Perspektive im aktuellen Spitalsystem?

Daniel Scheidegger: Ich finde, Medizin sollte man dann betreiben, wenn man weiss, dass es dem Patienten wirklich etwas bringt. Und nicht, weil der Patient jetzt hier ist und über Knieschmerzen klagt und man sich denkt: Machen wir den Eingriff jetzt, sonst macht es ein anderer.

Dann müssten die Ärzte umdenken, damit wir nicht in ein Finanzdebakel hineinlaufen.

Fürs Umdenken braucht es Anreize. Ich glaube, jeder würde gleich handeln. Wenn Sie in Ihrem Beruf auch eine Einzelabrechnung hätten und für jedes Wort bezahlt würden, das Sie mit mir hier wechseln, hätten wir jetzt auch ein ziemlich langes Interview. Das ist doch menschlich. Und bei den Ärzten ist eben das Anreizsystem falsch.

Die Krankenkasse wird als Bankkonto wahrgenommen.

Ihre Ärzte-Kollegen stehen unter gewaltigem Druck. Sie müssen Leistungen aufschreiben, damit am Schluss die Rechnung stimmt. Die Gesundheit steht nicht mehr im Vordergrund.

Ja, der Druck ist ein Faktor, aber nicht der einzige. Wir Ärzte treiben auch Kosten hoch, wenn wir zum Beispiel behaupten, es sei besser, irgendetwas mit Hilfe eines Roboters zu operieren, obwohl es keine Literatur gibt, die das untermauern würde.

Hinzu kommt aber auch das Denken der Bevölkerung: Die Krankenkasse wird als Bankkonto wahrgenommen. Man hat so viel über die Jahre einbezahlt, jetzt möchte ich etwas davon «abheben». Man muss aber realisieren: In einem solidarisch getragenen Gesundheitssystem ist meine Prämie, die ich letztes Jahr gezahlt habe und die ich glücklicherweise nicht gebraucht habe, für all diejenigen verwendet worden, die schwer krank waren.

Was muss geschehen, damit das System nicht kollabiert?

Ich möchte, dass man langsam die Geschwindigkeit aus dem System herausnimmt, weniger macht statt mehr. Aber um zu überleben, verfolgen einige Leistungserbringer die Strategie: Ich mache noch etwas mehr. Denn dann erwischt es nicht mich, sondern das Nachbarspital. Das kann es nicht sein. Wir sollten Tempo herausnehmen und überlegen: Was von dem, das wir jetzt machen, brauchen wir ganz sicher? Und auf was können wir verzichten und dieses Geld anders einsetzen?

Wie sollte das geschehen?

Man müsste in gewissen Gesundheitsregionen anfangen zu experimentieren. Man könnte etwa das angesprochene Anreizsystem verändern und beobachten, was dann passiert.

In der Schweiz wollen wir jedes Problem zu Ende diskutieren. Erst dann sind wir bereit, einen Schritt zu tun. Die Zeit haben wir meiner Meinung nach aber nicht mehr. Wir sollten experimentieren können. Und wenn wir merken, wir haben etwas übersehen oder falsch gemacht, sollten wir korrigieren dürfen.

Das Interview führte Marcel Sigrist.

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Daniel Scheidegger ist Präsident der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften. Zuvor war er Chefarzt für Anästhesie am Universitätsspital Basel.

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