StartseitePolitikDer Sparzwang trifft die Krankenhäuser

Sparzwang

Der Sparzwang trifft die Krankenhäuser

Politik / Lesedauer: 5 min

Trotz steigender Patientenzahlen sind viele Standorte defizitär
Veröffentlicht:08.09.2017, 20:27

Von:
Artikel teilen:

Krankenhäuser sind tagsüber wie choreografiertes Chaos. Menschen kommen und gehen aus Behandlungs- und Sprechzimmern, warten, werden abgeholt und abgesetzt. Junge, Alte, Kranke, Gesunde. Christiane Graf spielt darin eine Hauptrolle. Die Assistenzärztin am Westallgäu-Klinikum in Wangen erfüllt die Räume trotzdem mit Ruhe. Die 32-Jährige strahlt diese freundliche, professionelle Abgeklärtheit aus, die Ärzte auszeichnet. Als wären Schicksale nicht ihre alltäglichen Begleiter, als müsste sie nicht auch mal lebenswichtige Entscheidungen treffen.

Seit fünf Jahren arbeitet die Medizinerin Graf im Westallgäu-Klinikum. „Ich habe mich bewusst für diesen Standort entschieden“, erzählt die Oberbayerin, die aus der Nähe von Ingolstadt kommt. „Viele Medizinstudenten zieht es in die Großstädte.“ Graf jedoch habe der Standort in Wangen gereizt. Für ein solch kleines Haus gebe es ein „großes Spektrum“ an Fachgebieten, so Graf.

Trend zur Zentralisierung

Das ist auch der Infrastruktur geschuldet. Nach der Schließung der Krankenhäuser in Isny und Leutkirch sichert der Standort Wangen die medizinische Versorgung für Bewohner aus dem westlichen Allgäu bis in den bayerischen Raum hinein. Junge Menschen kommen hier in der Geburtsstation auf die Welt, Radiologen durchleuchten Patienten, Knochenbrüche werden zusammengeflickt.

Der Trend zur Zentralisierung betrifft nicht nur das westliche Allgäu. Seit Jahren sinkt die Zahl der Krankenhäuser und Kliniken in Baden-Württemberg. Komplexe medizinische Behandlungsangebote werden an einem Standort gebündelt. Laut der baden-württembergischen Krankenhausgesellschaft (BWKG) gab es hierzulande 1990 noch 317 Krankenhäuser, im Jahre 2016 noch 266. Die Anzahl der Betten ist in dieser Zeit von 69 328 auf 55 940 gesunken.

Hochbetagte Patienten

Im Westallgäu-Klinikum stehen 228 Betten, 75 davon sind für die Innere Medizin vorgesehen. Für die Patienten in dieser Abteilung ist Graf zuständig. Die Assistenzärztin, die kurz vor dem Abschluss ihrer internistischen Fachausbildung steht, leitet an diesem Morgen die Visite. Insgesamt 17 Menschen besucht Graf in der internistischen Station 3. „Die Patienten hier sind größtenteils älter, meistens 70 Jahre aufwärts“, erzählt Graf. Die Patientin in einem der Zimmer gehört zu den Hochbetagten. Die 70 hat sie weit überschritten, wie sie sagt. Sie schiebt hinterher: „Ich fühle mich sehr gut aufgehoben, tres bien, very beautiful.“ Seit vier Tagen, liege sie nun im Westallgäu-Klinikum, nachdem die zu Hause keine Luft bekommen hatte. „Da war etwas Wasser in der Lunge“, erzählt Graf. „Wann darf ich nach Hause?“, fragt die Patientin. „Am Montag“, erklärt Graf.

Nach sieben Tagen wird die Seniorin wieder entlassen. Diese Liegezeit ist der Landesdurchschnitt. Im Schnitt vergingen 2016 7,3 Tage von der Aufnahme bis zur Entlassung. Auch diese Zahl ist in den vergangenen Jahren stetig gesunken. Zum Vergleich: 1990 haben Menschen im Schnitt noch 13,5 Tage pro Jahr im Krankenhaus verbracht.

„Wir sind dazu angehalten, die Patienten so schnell wie möglich wieder zu entlassen“, sagt Graf. „Das ist von der Politik so gewollt. Man will sparen, möglichst gute Medizin betreiben, aber möglichst wenig an Geldern einsetzen.“ Die Patienten werden entlassen, sobald der akutstationäre Behandlungsbedarf nicht mehr besteht. Besonders deutlich wird dies im Jahresvergleich von Patientenzahl und der Gesamtzahl der Behandlungs- und Pflegetage. Rund 1,6 Millionen Patienten lagen 1990 gut 21,6 Millionen Tage lang in den Südwest-Kliniken. Im vergangenen Jahr waren es fast 2,17 Millionen Patienten – für deren Genesung waren 15,8 Millionen Tage vorgesehen.

Die Regeln der Ökonomie scheinen im Gesundheitswesen – gerade in Bezug auf Krankenhäuser – außer Kraft gesetzt. Trotz immer mehr Patienten sind viele kommunale Kliniken von einem Gewinn oder gar einem ausgeglichenen Jahresergebnis weit entfernt. Dem Krankenhaus Rating Report des RWI-Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung zufolge hatten 40,2 Prozent der Krankenhäuser im Land 2015 ein negatives Jahresergebnis erzielt. Laut der BWKG decke sich das auch mit den Ergebnissen des sogenannten BWKG-Indikators. Demnach waren im vergangenen Jahr 44,7 Prozent der Südwest-Kliniken defizitär. In Bayern hat jede zweite ein Defizit ausgewiesen.

Generell finanzieren Krankenhäuser den laufenden Betrieb aus Mitteln der Krankenkassen, die Investitionen teilen sich Bundesländer und Kommunen. Vielerorts werden diese Mittel jedoch zur Deckung der laufenden Kosten eingesetzt. Die BWKG sieht im Land einen jährlichen Investitionsbedarf von 600 bis 650 Millionen Euro, „während sich die zur Verfügung gestellten Investitionsmittel aktuell auf 455 Millionen Euro belaufen“.

Sparzwang überall

Der Sparzwang liege auf allen Krankenhäusern, sagt Dr. Jan-Ove Faust, Direktor Medizin und Pflege der Oberschwabenklinik GmbH, zu deren Verbund auch das Westallgäu-Klinikum gehört. „Auf der einen Seite haben wir höhere Kosten durch steigende Tariflöhne und allgemeine Preissteigerungen. Auf der anderen Seite bewegt sich die Vergütung durch das Fallpauschalensystem zunehmend nach unten“, so Faust. Zwar steigerten sich die Bemessungsgrundlagen jedes Jahr etwas. „Aber die fangen die grundsätzliche Kostenentwicklung nicht auf.“ Das Fallpauschalensystem wurde 2004 eingeführt. Patienten werden seitdem als Fall abgerechnet, mit einer bestimmten Pauschale für die jeweilige Behandlung. Dieses System hat die „Liegetage“ abgelöst – bezahlt wurde früher pro Tag.

Für die Zukunft glaubt Faust, dass es schwierig bleiben wird. „Die Ansprüche steigen: durch die Notfallversorgung, durch die vorübergehende Aufnahme von Menschen, die auf einen Platz in einem Pflegeheim warten. Zudem wird die ambulante Versorgung ausgedünnt, weil nicht mehr so viele Hausarztpraxen zur Verfügung stehen.“ 2016 kamen 15 108 Menschen in die Notaufnahme des Westallgäu-Klinikums.

Die Belastung merkt auch Assistenzärztin Graf. Im Bereitschaftsdienst ist sie auch für die Notaufnahme zuständig. „Uns geht die Arbeit nicht aus“, so Graf. Manchmal sei es stressig, „weil man nicht weiß, was alles kommt“. Sagt sie mit einem entspannten Lächeln.