Bersets luftige Prämienversprechen

Die Krankenkassen sollen die Einsparungen des Tarmed-Eingriffs bereits für 2018 berücksichtigen. Die Versicherer befürchten, dass Ärzte und Spitäler die Tarifkürzungen über die Menge kompensieren.

Christof Forster, Bern
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Die Gesundheitskosten steigen. Um dagegenzuhalten, stehen nun die Vergütungen der Ärzte im Visier. (Bild: Gaetan Bally / Keystone)

Die Gesundheitskosten steigen. Um dagegenzuhalten, stehen nun die Vergütungen der Ärzte im Visier. (Bild: Gaetan Bally / Keystone)

Für die Prämienzahler war es eine gute Nachricht: Der Tarifeingriff des Bundesrats führe zu Einsparungen von jährlich 470 Millionen Franken, kündigte Gesundheitsminister Alain Berset Mitte August an. Damit werde der Prämienanstieg 2018 um rund 1,5 Prozentpunkte gedämpft. Dies bedeute einen Prämienaufschlag um 2,5 bis 3,5 Prozent statt um 4 bis 5 Prozent, gab der Kassenverband Curafutura gleichentags bekannt. Mit dem Eingriff in den Ärztetarif (Tarmed) will der Bund zu hoch angesetzte Vergütungen von bestimmten Leistungen von Ärzten und Spitälern im ambulanten Bereich kürzen.

Laut Santésuisse «gefährlich»

Doch womöglich haben sich die Prämienzahler zu früh gefreut. Noch ist unklar, ob die Einsparungen auch tatsächlich realisiert werden. Der erste Tarifeingriff des Bundesrats von 2014 hat nämlich gezeigt, dass die Ärzte die Kürzungen auf anderen Positionen kompensieren können. Der Bund hat jetzt zwar versucht, Schlupflöcher zu stopfen. Doch laut Branchenkennern bietet ein Einzelleistungstarif wie der Tarmed eine Fülle von Umgehungsmöglichkeiten. Von Spitälern sei hinter vorgehaltener Hand zu hören, sie würden einfach anders abrechnen. Die Tarifeinschnitte lassen sich auch über eine Mengenausweitung kompensieren.

Auf Kritik bei den Versicherern stösst nun vor allem das Vorgehen des Bundes. Die Kassen begrüssen den Tarifeingriff, halten aber die Berücksichtigung des Spareffekts für die Prämien 2018 für verfrüht. Die Bedenken der Branche hat der Kassenverband Santésuisse vergangene Woche in einem Brief an den Bundesrat geäussert. Das Schreiben ging nicht nur an den zuständigen Gesundheitsminister, sondern an alle Mitglieder der Regierung. Der Einbezug der prognostizierten Kosteneinsparungen bereits für 2018 sei «gefährlich». Es gebe keine gesetzliche Grundlage, die es den Versicherern erlauben würde, in der Zukunft anfallende allfällige Kosteneinsparungen bei der Prämienberechnung zu berücksichtigen.

Wie üblich hatten die Versicherer bis Ende Juli beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) ihre Prämien zur Genehmigung eingegeben. Nach dem Entscheid des Bundesrats von Mitte August erhielten die Kassen die Vorgabe, ihre Prämien für 2018 mit den geplanten Einsparungen neu zu berechnen. Doch dazu fehlten nur schon die entsprechenden Unterlagen, kritisiert Santésuisse-Direktorin Verena Nold. Die Verordnung mit den Details zum Tarifeingriff wird voraussichtlich erst im Oktober publiziert. Die Prämien für das nächste Jahr gibt der Bund indes üblicherweise in der letzten Septemberwoche bekannt.

Das Bundesamt für Gesundheit lässt die Einwände nicht gelten. Der Tarifeingriff sei genügend dokumentiert, die Branchenverbände hätten entsprechende Unterlagen erhalten, sagt Helga Portmann vom BAG: «Die Kassen sind aufgerufen, eine bestmögliche Schätzung zu machen.» Die Prämienberechnung basiere immer auf einer Kostenschätzung. Überdies handelt es sich hier laut Portmann um keinen neuen Vorgang. Die Versicherer hätten auch frühere Tarifänderungen in die Prämien einkalkuliert, wenn sie im Folgejahr wirkten. Das BAG habe zudem versucht, Schlupflöcher zur Umgehung des Tarifeingriffs zu stopfen.

Angefragte Versicherer liessen sich nicht in die Karten blicken, ob sie der Vorgabe des BAG nachkommen. Die geplanten Einsparungen seien «pure Augenwischerei», sagte Concordia-Chef Nikolai Dittli der «Luzerner Zeitung». In der Vergangenheit habe jede Tarifänderung zu höheren Kosten geführt.

Prämiensprünge befürchtet

Laut Nold wäre es seriös, zuerst mit dem Tarifeingriff Erfahrungen zu sammeln und Kosteneffekte ein Jahr später in die Prämien einzurechnen. 2018 zu viel verlangte Prämien könnten über einen Prämienausgleich im Folgejahr zurückerstattet werden. Santésuisse befürchtet, dass mit dem jetzigen Vorgehen die Prämien 2018 zu tief ausfallen. Dies führe dann 2019 zu abrupten Korrekturen nach oben. Zusammen mit weiteren geplanten, teilweise fragwürdigen Reformen (Neueinteilung der Prämienregionen, tieferer Rabatt bei höchster Franchise) müssten einige Versicherte mit massiven Prämienaufschlägen von 20 Prozent und mehr rechnen. «Dann wird der Ruf nach Revolution und nicht mehr Evolution im Gesundheitswesen ertönen», sagt Nold.

Nicht von der Hand zu weisen ist der Eindruck, dass Berset mit der Prämiendämpfung ein politisches Zeichen setzen will. Mitspielen mögen dabei auch die ihm nachgesagten Gelüste auf einen Wechsel in ein anderes Departement. Mit dem Druck auf die Prämien ist er nicht der Erste im Innendepartement. Seine Vorgänger Ruth Dreifuss und Pascal Couchepin haben jeweils mit dem Griff in die Reserven der Kassen die Prämiensituation geschönt.