Klinik-Imperium:Marseille verkauft sein Lebenswerk

Marseille-Kliniken klagen auf Fördergelder

Seniorinnen vor dem Wohnpark Wolmirstedt, der zu den Marseille-Kliniken gehört.

(Foto: Peter Förster/dpa)

Der schillernde Hamburger Unternehmer schlägt 46 Altenheime an französische Investoren los. Betroffen sind 4000 von knapp 5000 Arbeitsplätzen seines Imperiums. Der Deal bringt bis zu eine halbe Milliarde Euro.

Von Uwe Ritzer

Viel hat nicht gefehlt, und aus seinem ersten Pflegeheim wäre nichts geworden. Zu Beginn der 1980er-Jahre war das. Ulrich Marseille war Ende 20, und um die für den Bau noch fehlenden 127 000 D-Mark von der KfW-Bank zu bekommen, brauchte er ein Empfehlungsgutachten der Industrie- und Handelskammer. Doch deren Hauptgeschäftsführer zog nicht recht. "Machen Sie sich doch nicht unglücklich mit der Altenpflege", habe er ihn gewarnt, erinnert sich Marseille.

Knapp dreieinhalb Jahrzehnte später ist Ulrich Marseille, 61, nicht nur einer der streitbarsten und schillerndsten Unternehmer dieses Landes, sondern auch einer der größten privaten Heimbetreiber. Ihm und seiner Frau Estella-Maria gehören mehr als drei Viertel der Aktien der Hamburger MK-Kliniken AG; er selbst fungiert dort als Aufsichtsratsvorsitzender. Nun macht das Unternehmen richtig Kasse, denn es stößt seine Altenheimsparte ab.

Wie Ulrich Marseille der SZ sagte, wurde der Betrieb von 46 Heimen der stationären Altenpflege mit insgesamt 5400 Heim- und etwa 4000 Arbeitsplätzen an die französische Investorengruppe Chequers Capital verkauft. Damit verlieren die MK-Kliniken AG die meisten ihrer knapp 5000 Beschäftigten sowie etwa zwei Drittel des Umsatzes. Marseille kündigte an, das Unternehmen umzubauen und neu auszurichten.

"Ich habe keine Lust mehr, mich im harten Tagesgeschäft zu bewegen", sagt Ulrich Marseille

Bereits Ende Juli wurden die Kaufverträge mit Chequers unterschrieben, Ende Oktober soll das Geld fließen. Marseille spricht von "mehreren hundert Millionen Euro" Kaufpreis; dem Vernehmen nach sollen es um die 300 Millionen Euro sein. Das wäre mehr als der Jahresumsatz von 214 Millionen Euro (Geschäftsjahr 2015/2016).

In einem nächsten Schritt steht der Verkauf dazugehöriger Immobilien an. Sie dürften nach Einschätzung von Insidern noch einmal 200 Millionen Euro in die Kasse des MK-Konzerns spülen. Damit würde sich das Gesamtvolumen des Deals auf etwa eine halbe Milliarde Euro belaufen. Der Erlös soll im Unternehmen bleiben. "Eine Ausschüttung ist derzeit nicht geplant", sagt Marseille. Überlegt er es sich doch noch anders, müsste eine Hauptversammlung zustimmen, was angesichts der Mehrheitsverhältnisse reine Formsache wäre.

Verkaufsgerüchte kursierten in der Branche schon länger. Am Ende des Bieterprozesses setzte sich Chequers Capital gegen einen holländischen und einen amerikanischen Interessenten durch. Die Franzosen übernehmen die Heime über die jeweiligen Tochtergesellschaften der nicht börsennotierten MK-Kliniken AG. Zu dieser gehören auch in Zukunft unter anderem 20 stationäre Pflegeeinrichtungen sowie etwa 1500 Wohnungen in Einrichtungen für Betreutes Wohnen.

Für den Verkauf macht Ulrich Marseille hauptsächlich persönliche Gründe geltend. "Ich will nach so vielen Jahren nicht mehr die Verantwortung für so viele Mitarbeiter tragen", sagte er. "Ich habe keine Lust mehr, mich im harten Tagesgeschäft zu bewegen und muss auch niemandem mehr beweisen, dass ich es kann, am wenigsten mir selbst." Stattdessen wolle er künftig "mehr von meinen drei minderjährigen Kindern haben". Abgesehen von diesen persönlichen Gründen sei der Zeitpunkt günstig, weil sich am Gesundheitsmarkt für derartige Einrichtungen aktuell gute Preise erzielen ließen. Das hat mit steigender Nachfrage zu tun. In einer Gesellschaft, die immer älter wird, wächst der Bedarf nach stationären Einrichtungen in der Altenpflege. Hinzu kommt, dass das damit verbundene laufende Geschäft auf der Einnahmenseite durch Rente, Pflegeversicherung und Sozialkassen staatlich unterfüttert ist, was Investoren eine gewisse Sicherheit garantiert.

Ganz aus dem Geschäftsleben zurückziehen will sich Ulrich Marseille nach dem Verkauf dennoch nicht. Mit den vielen Millionen aus dem Geschäft im Rücken, soll die MK-Kliniken nach seinen Vorstellungen ein bereits bestehendes Geschäftsfeld ausbauen, nämlich die Entwicklung und den Vertrieb von spezieller IT für den Klinik- und Heimbetrieb. Zudem will Marseille eine Beteiligungssparte aufbauen, über die MK-Kliniken im In- und Ausland bei Unternehmen aus der Gesundheitsbranche einsteigen soll.

Schlechte Pflege, falsche Arzneien: Immer wieder gab es Ärger mit den Altenheimen

Mit den 46 Altenheimen stößt Marseille nicht nur das bisherige Kerngeschäft ab, sondern auch eine Sparte, die ihm und seiner Firma in der Vergangenheit immer wieder Ärger und Imageprobleme einbrachten. So schloss vor einigen Jahren die Heimaufsicht im Rhein-Kreis Neuss in Nordrhein-Westfalen zwei MK-Einrichtungen wegen schwerer Mängel in der Pflege und der Arzneimittelversorgung der Bewohner. Zu Recht, sagt Marseille heute. Es habe sich um "Fälle von reinem Missmanagement gehandelt, weil die zuständigen Vorstände und Geschäftsführer trotz klarer Signale und Hinweise der Heimaufsicht versagt haben". Statt zu handeln, hätten die Manager "nichts getan und dem Aufsichtsrat gegenüber die Zustände auch noch schöngeredet". Deswegen habe man sie zwischenzeitlich auch gefeuert; zwei Ex-Vorstände hat die MK-Kliniken AG in diesem Zusammenhang auf 5,7 Millionen Euro Schadenersatz verklagt.

Dass Ulrich Marseille offen und öffentlich über seine Geschäfte spricht, kommt nicht oft vor; obendrein gilt sein Verhältnis zu Teilen der Medien - vorsichtig formuliert - als angespannt. Dem Nachrichtenmagazin Der Spiegel schickte er einst eine Rechnung über 199,20 Euro Bearbeitungsgebühr für eine Nicht-Auskunft. Es ging um eine Anfrage wegen einer angeblichen, in Wahrheit aber nicht erfolgten Beteiligung Marseilles an einer Kaution für den abgestürzten Star-Manager Thomas Middelhoff. Der saß in besseren Zeiten mal im Aufsichtsrat bei MK-Kliniken.

Zuletzt machte Marseille Schlagzeilen in Zusammenhang mit der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten. Denn beide waren einst Geschäftspartner, die miteinander Bürotürme in deutschen Großstädten bauen wollten. Daraus wurde nichts, was Marseille im Nachhinnein allerdings nicht sonderlich grämt. Denn Donald Trump, so seine Erfahrung, halte sich nicht an einmal geschlossene Verträge.

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