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Struktur-Rückbau in den Regionen
Wenn das Krankenhaus schließt

Erst die Grundschule, dann die Post, schließlich das Krankenhaus: Werden in einer Kommune Strukturen abgebaut, ist sie nicht mehr attraktiv für junge Menschen. Sie wandern ab, Häuser stehen leer, verfallen. Bei den Zurückgebliebenen macht sich Perspektivlosigkeit breit und das Gefühl, vom Staat keine Hilfe erwarten zu können.

Von Christoph Richter | 30.12.2017
    In Genthin wurde ein intaktes Krankenhaus geschlossen
    In Genthin wurde ein intaktes Krankenhaus geschlossen (Christoph Richter / Deutschlandradio)
    Große Möbelwagen mit dem roten Johanniter-Schriftzug stehen vor der Tür des zuletzt 35-Betten-Krankenhauses in Genthin, einer 15.000 Einwohner-Stadt an der Bahnstrecke Berlin-Magdeburg. Kühlschrank große Gerätschaften werden abtransportiert.
    Bis Ende September war das Johanniter-Krankenhaus Genthin noch in Betrieb. Jetzt sind die Rollläden runtergelassen, das Klinik-Gelände ist verwaist. Die Menschen in der Stadt sind erschüttert, dass man ihr völlig intaktes Krankenhaus einfach so geschlossen hat.
    "Katastrophe, fehlt allen. Versteht keiner …"
    Versteht keiner, meint die Frau. Ihren Namen will sie nicht nennen. 40 Jahre hat sie als Buchhalterin für die Johanniter gearbeitet. Nächstes Jahr hätte das rot- geklinkerte Krankenhaus, das sich in einer parkähnlichen Anlage befindet, das 150. Gründungsjubiläum gefeiert. Doch dazu kommt es nun nicht mehr. Erst im Sommer gab es deshalb eine Demonstration. Anwohner zogen mit einem Sarg durch die Straßen und trugen die Stadt symbolisch zu Grabe. Denn der Struktur-Rückbau versetzt die Menschen in Genthin in große Sorge.
    "Langsam aber sicher stirbt die Stadt, so das Gefühl hat man, ja."
    "Was haben wir denn noch in Genthin? Eine tote Stadt."
    30 bis 40 Minuten bis zum nächsten Krankenhaus
    Das Krankenhaus Genthin war landesweit als Diabetes-Klinik anerkannt und besaß neue, hochmoderne Diagnostik-Apparaturen wie einen Computertomographen. Technik, die nun ins 40 Kilometer entfernte Stendal gebracht wurde - ins dortige Johanniter-Krankenhaus.
    "Viele Menschen, die nicht fahrtüchtig sind, wie kommen die so schnell nach Stendal, wenn was ist? Man hat ja nicht immer jemand, der dabei helfen kann. Ich kenne das."
    Umzugswagen transportieren alles weg
    Umzugswagen transportieren alles weg (Christoph Richter)
    Andere werden ins Krankenhaus nach Brandenburg an der Havel oder nach Burg fahren müssen. Zwischen 30 und 40 Minuten Fahrtzeit braucht man dorthin schon, sagen die Genthiner. Nach Meinung des Sozialverbandes Deutschland ist eine "adäquate Versorgung der Patientinnen und Patienten gefährdet". Der Sozialverband verweist auf eine Empfehlung des sogenannten Gemeinsamen Bundesauschusses, kurz GBA. Das ist das oberste Gremium der Selbstverwaltung von Ärzten, Krankenkassen und Krankenhäusern in Deutschland. Der Bundesausschuss spricht von einer Gefährdung der flächendeckenden Versorgung, wenn Patienten mehr als 30 Minuten brauchen, um ins nächste Krankenhaus zu gelangen. 99 Prozent aller Deutschen haben nach Angaben des GBA damit kein Problem. Die Menschen in Genthin jetzt aber schon. Beate Bröcker, die Staatssekretärin im Sozialministerium von Sachsen-Anhalt, versteht die Aufregung nicht. Durch den Wegfall des Krankenhauses wird in Genthin keine medizinische Versorgungslücke entstehen, sagt sie.
    "Es ist jetzt halt so, wie es ist. Das ist keine Frage von glücklich oder nicht glücklich. Sondern es ist eine Frage, was findet stattdessen da statt."
    Doch genau das ist bis heute völlig ungeklärt.
    "Schließung hätte ohnehin erfolgen müssen"
    Der evangelische Johanniterorden will sich nicht in einem Interview äußern. Der Krankenhausbetreiber schreibt stattdessen in einer Stellungnahme, dass es keinen schleichenden Abgang der Johanniter aus Genthin gegeben habe. Die Schließung hätte laut Landeskrankenhausplanung 2019 ohnehin erfolgen müssen. Weil in Genthin jährlich eine Million Euro Verlust gemacht wurde, habe man jetzt schon die Notbremse gezogen.
    "Selbstverständlich. Die Bevölkerung ist zu recht immer noch stinksauer, dass diese Entscheidung doch umgesetzt wurde. Gleichwohl gilt es für uns in Verantwortung Stehende zu gucken, wie es weitergeht. Es ist ja nicht unsere Entscheidung gewesen, dass das Krankenhaus geht. Da steht man etwas hilflos daneben, weil man es vor Ort irgendwie auch verantworten muss", sagt Thomas Barz. Er ist der Bürgermeister, parteilos. Nennt sich Krisenverwalter. Und stöhnt darüber, dass Bund und Länder Geld für Trappgänse, Rot-Milane und Wölfe hätten, aber die Kommunen in der Provinz komplett ausbluten lassen würden.
    Beschlossen wurde der Wegfall des Krankenhauses 2004, also vor 13 Jahren. Zu einer Zeit als der zwischen Magdeburg und Berlin liegende Landkreis Jerichower Land massiv vom wirtschaftlichen Niedergang und demografischen Wandel geprägt war. Ein Genthiner Traditionsbetrieb, ein zum Henkel gehörendes Waschmittelwerk, schloss 2009 seine Tore. Vor dem Mauerfall waren dort noch bis zu 1.700 Menschen beschäftigt. 18 Grundschulen, 16 Sekundarschulen und fünf Gymnasien wurden in der Region dicht gemacht. Demografen hatten nämlich einen massiven Rückgang der Bevölkerung prognostiziert. Und sich gewaltig geirrt, wie der Bürgermeister heute betont:
    "Natürlich. 2004 als dieser Beschluss damals gefallen ist – kein Mensch wusste doch, was in 17 kommt. Wir haben eine ganz andere Bevölkerungsentwicklung, wir hatten zwischendurch die Flüchtlingssituation. Wir haben ganz andere Zahlen, als sie sich damals dargestellt haben. Mit den Zahlen von damals kann man die Entscheidung nachvollziehen. Jetzt ist aber der Punkt, es sind nun mal tatsächlich andere Zahlen, jetzt muss man auch mal den Mut haben, andere Wege zu gehen.
    Ein fatales Signal
    Mit seiner Stadt geht es längst wieder bergauf, sagt der Bürgermeister. Zehn neue Unternehmen seien in Genthin zwischenzeitlich neu ansässig geworden, die rund 500 Mitarbeiter beschäftigen. Der Industriepark sei heute nach Bitterfeld-Wolfen der zweitgrößte in Sachsen-Anhalt. In dieser Zeit das Krankenhaus zu schließen, sei ein fatales Signal.
    "Ja, natürlich, da bricht im Stadtviertel was weg. Sei es der kleine Imbiss um die Ecke, sei es die Tasse Kaffee, die beim Bäcker getrunken wird. Das ist dann Wirtschaftskraft, Kaufkraft, die wegbricht, die man schlichtweg braucht, wenn man etwas wirtschaftlich betreiben will."
    Bürgermeister Thomas Barz
    Bürgermeister Thomas Barz (Christoph Richter)
    Für ihn ist ein Krankenhaus nicht einfach nur ein Krankenhaus. Sondern eine Einrichtung, die den Menschen Sicherheit vermittelt. Barz Vorwurf: Die Johanniter seien sich der Verantwortung für die Region nicht bewusst. Die Enttäuschung beim Bürgermeister sitzt hörbar tief. Barz hat den Kampf für eine medizinische Versorgung seiner 15.000 Bürger noch nicht aufgegeben.
    "Es gibt erste Pläne, wie wir damit umgehen. Wir überlegen jetzt wie wir das Gebäude der Rettungsstelle und das Bettenhaus entwickeln können, welche Gesundheitsvorsorge da rein kann. Wir sind mit einem Operationszentrum im Gespräch, das diese Dienstleistung anbietet."
    Bevölkerungsstabilisierend und identitätsstiftend
    Damit aber müssten die Johanniter einverstanden sein. Denn es heißt, sie möchten ihr leerstehendes Klinik-Gebäude nur dann verpachten, wenn sich darin kein Konkurrent niederlässt.
    Das Krankenhaus, die Grundschule, auch die Schwimmhalle, das Kino, die Postfiliale oder der Tante Emma-Laden um die Ecke – das Stadtoberhaupt nennt all diese Einrichtungen Bevölkerungsstabilisierend, weil sie identitätsstiftend sind und das soziale Miteinander fördern. Für die Attraktivität von Kleinstädten und Dörfern, auch für junge Familien sind sie immens wichtig. Machen diese Einrichtungen dicht, kann das für eine Kommune verheerend sein und den Niedergang bedeuten.
    "Für die Regionen, gerade die entlegenen Regionen, besteht dann die Gefahr, dass sich dann eine Abwärtsspirale auf tut", sagen Sozialgeografen - wie Manuel Slupina vom Berlin-Institut. Ein Think-Tank, der sich mit Fragen regionaler und demografischer Veränderung beschäftigt.
    "Dass mit dem Weggehen der Menschen, mit den schrumpfenden Einwohnerzahlen immer mehr Versorgungseinrichtungen schließen. Und dass dadurch die Attraktivität gerade dieser Dörfer weiter abnimmt. Und die kaum noch Möglichkeiten haben, neue Zuzügler zu gewinnen."
    Ähnlich sieht es Klaus Friedrich, langjähriges Mitglied im Demografie-Beirat des Landes Sachsen-Anhalt. Wenn man sich die Statistischen Jahrbücher von 1991 bis 2015 anschaut, werde man sehen, wie sich die Wanderungsbewegung zwischen den neuen Ländern und dem früheren Bundesgebiet stabilisiert hat, so der Sozialgeograf. In den Jahren 2014 und 2015 gingen nur noch 3.000 Menschen mehr weg als kamen:
    Anpassung bitter nötig
    "Es ist vielleicht aus Sicht der planenden Behörden und der Planungsverantwortlichen verständlich, dass man mittelfristige Planungen durchführt. Man muss sie aber immer wieder den konkreten, veränderten Gegebenheiten wieder anpassen, also nachjustieren. Und gerade in demografischer Hinsicht sind wir in Ostdeutschland doch in einer Situation, dass die Trends sich sehr kurzfristig ändern. Und derzeit können wir in Ostdeutschland eine gewisse Stabilisierung der demografischen Situation auf einem relativ niedrigen Niveau feststellen. Ich würde also sagen, eine solche Planung sollte an die demografischen Gegebenheiten angepasst werden, das ist bitter nötig", so der emeritierte Professor von der Universität Halle-Wittenberg. Am liebsten wäre ihm, das Land Sachsen-Anhalt würde langfristige Vorgaben wie die Krankenhausplanung komplett über Bord werfen.
    "Ja wir sagen, schaut Euch die Situation in den betroffenen Regionen genauer an. Sagt nicht, das ist der ländliche Raum und das ist eine Kategorie, sondern schaut genau hin, wo die Bedarfe sind. Das muss man nicht auf Landkreisebene machen, da muss man noch tiefer hinuntergehen. Da muss man sich möglicherweise die örtliche Situation anschauen. Das heißt, ich würde dafür plädieren: Gebt den Menschen, die vor Ort in der Region das Bestimmen haben, also den Regionalplanungsgemeinschaften, den Kommunal-Verantwortlichen in der Planung mehr Rechte und auch mehr Stimmrechte. Dann wird sicherlich eine etwas adäquatere und der Situation gerechtere Lösung erreicht."
    Junge Leute – die sogenannten Familienwanderer – ziehen nur dann neu zu oder wandern eben nicht ab, wenn es am Ort die Schule oder den Bäcker gibt. Haltefaktoren bzw. Versorgungsanker nennen das die Soziologen. Und auch ein Krankenhaus sei ein wichtiger Faktor, um die Abwärtsspirale zu stoppen, meint Klaus Friedrich.

    "Von ganz hoher Bedeutung natürlich für die Menschen dort. Um sich in der ländlichen Region als Subjekt zu fühlen, Identität zu entwickeln. Das sind ja wichtige Dinge zur Lebensgestaltung. Und wenn die wegbrechen, dann sieht man das als Verlust von Identität. Sonst wird das Gefühl der Leute immer stärker, wir sind in einer abgehängten Region und wir leben in einer abgehängten Region. Und junge Leute wollen das nicht."
    Wegweiser in einem Krankenhaus mit der Aufschrift: Zu den Stadionen
    Krankenhaus Seehausen: Wohin geht es zu den Stationen? (Christoph Richter)
    Entscheidungen wie mit einem Feldstecher
    Sozialgeograf Klaus Friedrich spricht von autoritärer Bevormundung durch die Landesparlamente und Bundesministerien, die aus der Ferne – wie mit einem Feldstecher - entscheiden würden, was für eine Region, eine Stadt oder ein Dorf das Richtige für die Zukunft ist.
    Thomas Barz nickt. Der Wissenschaftler spricht ihm aus der Seele. Wenn die Jungen gehen und nur die Alten bleiben, dann veröden Kommunen wie Genthin, klagt der Bürgermeister. Das Johanniter-Krankenhaus hätte er am liebsten selber geführt.
    "Wenn die Stadt Genthin in einer vernünftigen finanziellen Situation gewesen wäre - Klammer auf, was nicht im Ansatz der Fall ist, Klammer zu - vielleicht wäre es ja möglich gewesen, das selber zu führen. Von mir aus auch unwirtschaftlich."
    Es gehe schlicht um das Überleben der Dörfer, der ländlichen Regionen, sagt Demografie-Experte Friedrich noch. Seiner Meinung nach wird die Bedeutung dieses Lebensraums für die Gesellschaft unterschätzt. Immerhin leben 40 Millionen Deutsche – also die Hälfte der Gesamtbevölkerung – auf dem Land. Er fordert nachhaltige Konzepte von der Politik.
    "Ich bin dafür, dass wir immer darauf setzen – selbst wenn es schwer wird – wieder junge Leute zu gewinnen, in diese Regionen zu kommen. Das sind innovative Leute, das können so genannte Raumpioniere sein. Und ich plädiere eigentlich immer für eine jungendorientierte Regionalpolitik. Das ist aber bei uns aber noch gar nicht stark verbreitet. Das Konzept, dass man an die Jugend denken muss - vor allem als Träger von Innovation, als Träger von Zuzug, als Träger von Stabilisierung."
    Zu starre Auflagen, veraltete Verwaltungsvorschriften, rigide berufsständische Regelungen, die neue und innovative Ideen behindern, beklagt auch der Demografie-Experte Manuel Slupina vom Berlin-Institut. Und nennt das Beispiel einer seiner Meinung nach pfiffigen Idee: den Apothekenbus. Nach Angaben des Braunschweiger Thünen-Instituts für ländliche Räume gibt es dort nur für zehn Prozent der Menschen eine Apotheke in "fußläufiger Entfernung". Die mobile Lösung könnte Abhilfe schaffen, das deutsche Apothekengesetz erlaubt allerdings nur ortsansässige Betriebe. Einen Apothekenbus darf es daher bisher nicht geben.
    Starrsinn weit entfernter Behörden
    Kein Einzelfall, sagt Slupina. Viele Ideen, die den Menschen in abgehängten Regionen helfen würden, scheitern am Starrsinn weit entfernter Behörden:
    "Zum einen muss die Politik offen sein für neue Lösungen. Und dieses Zusammenspiel von Leuten vor Ort, die einen gewissen Missstand sehen, die sehen, ok hier bricht immer mehr weg, ich kann nicht mehr einkaufen gehen, der Bus fährt nicht mehr, die Schule wird geschlossen. Gleichzeitig ich mach mich auf, um neue Lösungen zu suchen. Da müssen in kommunaler und politischer Ebene Ansprechpartner da sein, die offen dafür sind und die es dann auch mit ihren Mitteln versuchen zu unterstützen."
    Auch Geldinstitute haben in der Region Strukturen abgebaut. Im Kreis Jerichower Land, wo auch Genthin liegt, hat etwa die Sparkasse in den letzten Jahren drei von 17 Filialen geschlossen. In einer Region, in der etwa 40 Prozent der Bevölkerung 65 Jahre und älter ist, ist das verheerend. Denn viele Ältere sind nicht sonderlich mobil. Und mit dem ohnehin ausgedünnten öffentlichen Nahverkehr kann der Besuch der Bank schnell zur Tagesreise werden. Im Nachbarlandkreis, im brandenburgischen Havelland, hat man sich deshalb etwas einfallen lassen. Dort fährt mehrmals in der Woche ein roter Sparkassenbus über die Dörfer:
    "Ich fahre gerne zu den Kunden aufs Land raus. Erstens hat man ein ganz anderes Verhältnis zu den Kunden als in der Stadt. Und zweites: Ich sage mal, es sind viele ältere Leute, die nicht mehr mobil sind und die haben immer den Bus vor Ort, haben kurze Wege. Und müssen nicht erst in den Bus steigen und in die Stadt fahren und da ihre Bankgeschäfte machen. Und das Verhältnis ist persönlicher als in der Stadt."
    Mobile Lösung
    Jörn Obermaier sitzt hinter einer dicken Scheibe aus Panzerglas, er steuert den Bus. Im Dorf angekommen, verwandelt er sich in einen freundlichen Geld-, Kredit- und Rentenberater. Die Beträge, die er auszahlt, sind klein. Die Freude, die er hinterlässt, groß. Und ein höflicher Plausch mit seinen Kunden ist auch noch drin:
    "Wieviel brauchen wir denn?"
    "30 gib mir mal. Kontoauszug auch da?"
    "Ja!"
    "Hier ist es wenigstens schön warm."
    "Ich warte auf den Schornsteinfeger."
    "Eine Unterschrift bitte…."
    Nach einem genauen Fahrplan steuert Obermaier die rote Filiale auf Rädern über die kleinen, fast verlassenen Dörfer im westlichen Havelland. Am Heck ist in großen Buchstaben das Motto seines Arbeitgebers zu lesen: ´Nähe ist bei uns kein Zufall, sondern Absicht`. Für den Berliner Sozialgeografen Manuel Slupina der richtige Ansatz, den Menschen in ländlichen Regionen zu zeigen, dass man sie nicht vergisst.
    "Dafür müssen diese Dörfer eine gewisse Infrastruktur bieten, also da muss eine Kita sein, eine Grundschule sein. Damit sie diese Wanderungsgruppe – die für ländliche Regionen interessant ist – auch anziehen kann."
    Alleine stemmen können Kommunen dies jedoch nicht. Sie benötigen Unterstützung – von der Politik, der Verwaltung, aber auch von Unternehmen und öffentlichen Institutionen.
    Schild mit der Aufschrift "Intensivstation Zentrum für ambulantes Operieren CT" im Krankenhaus Seehausen.
    Im Krankenhaus Seehausen wird per Tele-Medizin gearbeitet (Christoph Richter)
    Im altmärkischen Seehausen gibt es dafür ein Beispiel. Agaplesion, eine gemeinnützige Aktiengesellschaft der evangelischen Kirche, betreibt hier das Krankenhaus. In einer nur 5.000 Einwohner zählenden Hansestadt, die idyllisch in Elb-Nähe liegt, im Dreiländereck Sachsen-Anhalt, Niedersachsen und Brandenburg.
    Während im 70 Kilometer entfernten Genthin das Krankenhaus geschlossen hat, hält der hier Krankenhausbetreiber die kleine Klinik mit nur 112 Betten am Leben - mittels Tele-Medizin. In Seehausen können Patienten – Durchschnittsalter 59 Jahre – beispielsweise mit einem geliehenen Computertomografen untersucht werden. Da vor Ort aber keine Radiologen arbeiten, werden die Patienten-Daten ins saarländische Dillingen geschickt und dort auf einem Server abgelegt.
    Auf den die behandelnden Ärzte in Magdeburg oder Stendal dann Zugriff haben.
    Mögliche Win-Win-Situationen
    "Der Radiologe, der sich auf das System in Dillingen aufhängen kann, der kriegt eine Information, dass ein Bild zu befunden ist und kann sich dann eben das Bild anschauen. Wir sind glücklich und sehr dankbar und freuen uns, dass man hier die Dinge pragmatisch sieht."
    Erzählt Maria Theiß, die Krankenhausmanagerin. Weil man die Kosten für den Patiententransport zum nächsten CT einsparen kann, ist der Erhalt der Notaufnahme im Krankenhaus Seehausen gesichert. Eine Win-Win-Situation nennt Theiß das und lächelt.
    "Das ist für uns eine sehr wichtige Sache. Weil ich komme als Krankenhaus, an einer Computertomografie als Diagnostikverfahren nicht mehr vorbei. Ich muss das anbieten. Wir hätten sonst ganz große Probleme weiter so die Notfallversorgung aufrecht zu erhalten, wie wir das tun. Akute Baucherkrankungen, Knochenverletzungen - oft müssen die erstmal mit einer Computertomografie diagnostiziert werden, damit der Arzt ein genaueres Bild kriegt, eine genauere Idee kriegt, an was leidet dieser arme Mensch jetzt."
    Das geht aber nur, weil das Krankenhaus vom Land Sachsen-Anhalt dafür eine Sondergenehmigung erhalten hat. Denn eigentlich ist es nicht gestattet, dass Ärzte Bunde aus der Ferne erstellen.
    Das Krankenhaus Seehausen ist ein helles, lichtes Haus, außen rot-verklinkert. An den Wänden hängen Bilder, gemalt von Kindern benachbarter Schulen, im Atrium lädt ein kleines Bistro zum Kaffee trinken ein. Hektik gibt es nicht. Stattdessen ist der Umgangston freundlich. Hier weiß man, um die Verantwortung für die Menschen in der Region.
    "Wenn der Malermeister seine Aufträge vom Krankenhaus bekommt, dann kann auch er Arbeitsplätze schaffen. Und so setzt sich das fort. Und so wird auch eine Region wirtschaftlich am Leben erhalten. Dann geht mir der Edeka nicht aus dem Ort weg, weil hier genügend Menschen sind, die arbeiten, Geld haben, um dort einkaufen zu gehen. Und vielleicht siedelt sich mal wieder ein Gastronom an, wer weiß."