Psychiatrie
Als Genesungsbetreuer: Kliniken stellen vermehrt Ex-Patienten ein

Immer mehr psychiatrische Kliniken setzen auf die Hilfe ehemaliger Patientinnen und Patienten. Auch im Kanton Zürich.

Thomas Münzel
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Im Sanatorium Kilchberg wurde 2010 zum ersten Mal im Kanton Zürich eine frühere Psychiatriepatientin angestellt. (Archiv)

Im Sanatorium Kilchberg wurde 2010 zum ersten Mal im Kanton Zürich eine frühere Psychiatriepatientin angestellt. (Archiv)

ZVG

Das Sanatorium in Kilchberg hat 2010 als erste psychiatrische Klinik im Kanton Zürich eine frühere Psychiatriepatientin als Peer-Mitarbeitende, sprich als Genesungsbetreuerin angestellt. Heute sind bereits acht ausgebildete Peers in Kilchberg tätig (das englische Wort «peer» bedeutet ebenbürtig, gleichrangig). Eingesetzt werden sie in der Leitung von verschiedenen Gruppenangeboten, bei Einzelgesprächen, bei der Leitung von Anti-Stigma-Seminaren, bei Dozententätigkeiten in der Aus- und Weiterbildung von Fachpersonen und in der Weiterentwicklung von Konzepten und Angeboten der Klinik.

Botschafter der Hoffnung

«Peer-Mitarbeitende sind Botschafter der Hoffnung und Zuversicht, dies gleichermassen für unsere Patientinnen und Patienten als auch für unsere Klinik mitarbeitenden», sagt Gianfranco Zuaboni, Pflegewissenschaftler und Leiter der Pflegeentwicklung im Sanatorium Kilchberg. Peers seien als Psychiatrieerfahrene für neu Erkrankte auf ihrem Genesungsweg die idealen Begleiter. «Genesungsbetreuer sind zudem der lebende Beweis dafür, dass selbst bei schweren psychischen Leiden eine Gesundung und damit einhergehend ein sinnerfülltes Leben möglich ist.» Den Peer-Mitarbeitenden sei es über ihre Tätigkeit gelungen, sich in kurzer Zeit als neue Berufsgruppe im Sanatorium Kilchberg zu etablieren, sagt Zuaboni.

In den beiden kantonalen psychiatrischen Kliniken sind inzwischen ebenfalls Psychiatrieerfahrene tätig. Die Integrierte Psychiatrie Winterthur-Zürcher Unterland (IPW) beschäftigt seit Anfang 2014 Peer-Mitarbeitende. Man wolle künftig noch weitere Peers anstellen, heisst es auf Anfrage. Aktuell werde ein entsprechendes Projekt auf einer Akut-station der Erwachsenenpsychiatrie begleitet und evaluiert. In der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich (PUK) ist gegenwärtig erst eine Peer-Mitarbeitende im Einsatz. Die Anstellung weiterer Peer-Personen werde derzeit im Rahmen eines separaten Projekts geprüft, heisst es vonseiten der PUK.

«Zeitgemäss»

Der Zürcher Gesundheitsdirektor Thomas Heiniger begrüsst das Engagement von Peers in den Zürcher Kliniken ausdrücklich. Der Recovery-Ansatz (siehe Kasten rechts) und der gezielte Einsatz von Peers zählten zu den «zeitgemässen Versorgungselementen» im Bereich der Psychiatrie, sagt er auf Anfrage. «Speziell ausgebildete Peers können ihr Erfahrungswissen aus einer eigenen psychischen Erkrankung und Genesung an Menschen weitergeben, die sich in einer akuten psychischen Krise befinden», hält Heiniger fest. «Dies kann Patientinnen und Patienten im entsprechenden Behandlungs- und Betreuungsumfeld zusätzlich stützen und stärken.»

Er weist zudem darauf hin, dass die Sicht von Betroffenen und diejenige von Fachpersonen auf eine Behandlung unterschiedlich sein können. Genau in diesem Zusammenhang könnten Peers «eine Brückenbauerfunktion einnehmen».

Genesung möglich

Das Recovery-Konzept ist von Psychiatrieerfahrenen in den 1990er-Jahren in den USA entwickelt worden. Ihr Leitgedanke: Es ist möglich, von schweren psychischen Leiden zu genesen. Gemeinsam mit engagierten Fachleuten setzen sich Betroffene für eine Behandlung ein, in der ein ganzheitlicher Blick auf Psychatriepatienten im Fokus steht. Die Recovery-Bewegung ist in der Schweiz seit zehn Jahren der Ausgangspunkt für die sogenannte Peer-Arbeit. Psychiatrieerfahrene Genesungsbegleiter bringen in hiesigen Kliniken ihre Erfahrung ein – und unterstützen so Betroffene auf
ihrem persönlichen Weg der Heilung. (tm)